Editor

JLLT edited by Thomas Tinnefeld
Showing posts with label 91 Tinnefeld. Show all posts
Showing posts with label 91 Tinnefeld. Show all posts
Journal of Linguistics and Language Teaching
Volume 6 (2015) Issue 1

Maxi Krause & Per Baerentzen: Spatiale Relationen kontrastiv. Deutsch - Dänisch. Tübingen: Julius Groos 2010, 266 Seiten (Spatiale Relationen - kontrastiv; Bd. 1; hrsg. von Maxi Krause) (ISBN 978-3-87276-900-8)
und
Maxi Krause & Irene Doval: Spatiale Relationen kontrastiv. Deutsch - Spanisch. (Spatiale Relationen - kontrastiv; Bd. 1; hrsg. von Maxi Krause) Tübingen: Julius Groos 2011. 312 Seiten (ISBN 978-3-87276-901-5)
Die beiden vorliegenden Bände, die hier gemeinsam behandelt werden, da sie den Bereich spatiale Relationen in analoger Weise behandeln, beziehen sich auf das Sprachenpaar Deutsch-Dänisch zum Einen und das Sprachenpaar Deutsch-Spanisch zum Anderen. Der beiden Werken inhärente Grundgedanke ist derjenige, dass spatiale Relationen - also räumliche Beziehungen im weitesten Sinne des Begriffs - im Deutschen anders ausgedrückt werden als im Dänischen einerseits und im Spanischen andererseits. Die spatialen Relationen werden in beiden Bänden separat für das Deutsche einerseits und das Dänische bzw. Spanische andererseits herausgearbeitet und zudem innerhalb der beiden Sprachenpaare miteinander kontrastiert.
Beide Werke sind parallel aufgebaut; die Systematik ist einheitlich. Der jeweils erste Teil enthält die Darstellung der spatialen Relationen des Deutschen (I: 15-137 und II: 138)1. Da dieser Teil unabhängig von der jeweils anderen untersuchten Sprache auf das Deutsche beschränkt ist, ist er - ganz folgerichtig - in beiden Bänden weitgehend identisch. Der jeweils zweite Teil beider Werke umfasst kontrastiv gestaltete Übersichtstabellen zum Deutschen und Dänischen (I: 137-152 und II: 139-161). Teil III beider Bände stellt die Darstellung der spatialen Relation der jeweils kontrastierten Sprache dar, also des Dänischen (I: 153-252) einerseits und des Spanischen (II, 163-291) andererseits. Es folgt jeweils ein Verzeichnis der Tabellen (I: 251-252 und II: 293-294), ein Verzeichnis der Quellen und der Siglen (I: 253-255 und II: 295-300), die Bibliographie (I: 257-258 und II: 301-302) sowie ein Wörterverzeichnis Deutsch (I: 259-264), ein Wörterverzeichnis Dänisch (I, 265-266) und ein Wörterverzeichnis Spanisch (II: 309-312).
Der für beide Bänder gewählte Ansatz ist ein jeweils einheitlicher, was den Vorteil hat, dass dadurch die Möglichkeit besteht, ihn auf die unterschiedlichsten Sprachenpaare anzuwenden. Hierin liegt - dies sei bereits an dieser Stelle erwähnt - ein grundlegender Wert dieser Reihe. Ein weiterer grundlegender Wert besteht darin, dass die hier vorliegenden Beschreibungen der spatialen Relationen für das Dänische und das Spanische nach Aussage der jeweiligen Autoren wohl die ersten ihrer Art sind (I: hinterer Buchdeckel; II. hinterer Buchdeckel).
Die Notion Spatiale Relation wird im vorliegenden Kontext im konkreten Sinne wie auch - dies ebenso folgerichtig und erwartbar - im abstrakten Sinne verstanden. Somit werden auch Ausdrücke wie an etwas hängen und sich über etwas hinwegsetzen als spatiale Relationen klassifiziert (I / II,15f). Macht der Leser2 sich diese Verhältnisse klar, erkennt er rasch, welch enorme Bedeutung spatiale Relationen für die Sprache haben.
Für den schulgrammatisch gebildeten Leser - nicht natürlich den Linguisten - ist die gewählte Terminologie bisweilen gewöhnungsbedürftig. So wird hier nicht der erwartbare Begriff Präposition verwendet, sondern der fachlich zutreffendere Begriff Adposition (I / II: 16), der auch solche Wortgruppen einschließt, in denen das einem gegebenen Nomen hinzugesetzte Element eine Postposition darstellt. Präpositionen und Postpositionen werden hier somit in dem Oberbegriff Adposition zusammengefasst, was wissenschaftlich korrekt und zugleich sprachlich ökonomisch ist. Die zusätzlich zu den Adpositionen untersuchte grammatische Kategorie sind die Adverbien (I / II: 16). Somit liegt eine Beschränkung auf nicht-flektierende Ausdrucksmittel unter Nicht-Berücksichtigung von Verbalpartikeln sowie substantivischen und adjektivischen Präfixen vor (I / II: 16).
Das Kapitel zum Ausdruck der spatialen Relationen im Deutschen beginnt mit der Festlegung der zentralen Begriffe, die jeweils mit einer Vielzahl von Beispielen unterfüttert werden (I / II: 15ff). Berücksichtigt werden:
  • Adpositionen (über die Brücke, dem Freund entgegen, wegen der Kinder / der Kinder wegen (I / II: 17ff), hin und her) mit ihren Verbindungen (Er geht hinauf; Er ging in das Haus hinein; Los, rein ins Haus)3 (I / II, 19ff),
  • die Determination von Raumteilen (vor / hinter / neben dem Haus) (I / II: 21f),
  • der Ausdruck von Prozessen (Er stellt das Fahrrad vor das Haus) (I / II: 22) und syntaktische und semantische Relationen zwischen Bezugsgegenstand und Teilnehmer (Er sprang von der Straßenbahn ab; Sie kuschelt sich an ihn) (I / II: 23f).
Zudem werden berücksichtigt:
  • die Kasuswahl in Relation und Prozess bzw. bei Statik und Dynamik (Sie tanzten auf die Bühne; Sie kamen von links, tanzten über die Bühne und verschwanden rechts) (I / II: 25ff),
  • pragmatische Gesichtspunkte unter der Fragestellung, ob spatiale Relationen grundsätzlich eine wo-Frage beantworten, was verneint wird (vgl. Wie komme hier zum Bäcker? - Über die Brücke dann nach links) (I / II: 29), sowie
  • die Frage nach möglichen Substituten für Präpositionalgruppen (Endlich hatte er das richtige Haus gefunden. Er ging hinein. Drinnen war es angenehm kühl) (I / II: 29ff).
Diese Einführung in die Thematik grenzt den Untersuchungsgegenstand funktional ein; der Leser erfährt unmittelbar, welche Art von Informationen er von den beiden Werken erwarten darf.
Interessant ist die in Kapitel 2 folgende Systematisierung spatialer Relationen (I / II: 37ff), die hier wie folgt vorgenommen wird:
  • System A (ohne Bezug auf die drei Achsen oben-unten, vorne-hinten, rechts-links) mit den Subsystemen INTER, Verfolgen, Annäherung und Ausweichen
  • System B, als Sonderfall der Determinationen und Relationen des Systems A, also mit Bezug auf diese drei Achsen
  • System C als Lokalisierung hinsichtlich eine gegebenen Grenze, bezogen auf die soeben erwähnten drei Achsen, und
  • System D: Ko-Okkurrenz.
Die Systeme sind im Einzelnen wie folgt untergliedert: Das Substystem INTER in System A bezieht sich auf lokalokative (statische), direktive, perlative, ablative Relationen wie auch auf diejenige der Fortbewegung in gleicher Richtung und gleicher Geschwindigkeit (I / II: 41ff sowie I: 161 und II: 175). Das Subsystem des Verfolgens definiert die Art und Weise der Dislokation der beiden involvierten Teilnehmer, die sich gleich oder ungleich schnell oder gemeinsam in gleicher Richtung und mit gleicher Geschwindigkeit bewegen können (I / II: 43ff sowie I: 164ff und II: 178ff). Das Subsystem der Annäherung betrachtet diese statisch oder dynamisch (I / II: 46ff sowie I: 168ff und II: 185ff). Das Subsystem des Ausweichens bezieht sich auf Kollisionen, die möglich oder ausgeschlossen sind (I / II: 75ff sowie I: 193ff und II: 216ff).
System B berücksichtigt jeweils die drei erwähnten Achsen in direktiver (Wohin?), perlativer (über + W- ? / Wo...durch?) und ablativer (Woher?) Relation (I / II, 39f und 87ff sowie I: 201ff und II. 225ff). System C bezieht sich auf die Lokalisierung mit Bezug auf eine Grenze, die zwischen außen und innen, oben und unten oder auch in Bezug auf einen Beobachter liegen kann. Es erfasst zudem komplexe Relationen die einen Achsenbezug aufweisen (z.B. Auf- oder Abwärtsbewegungen an einer Sache entlang, Fortbewegungen in der Horizontalen, jeweils mit oder ohne Kontakt zu einer anderen Achse (oben bzw. unten) (I / II: 40 und 105ff sowie I: 221ff und II: 255ff). Das System der Ko-Okkurrenz schließlich umfasst die statische, direktive und die ablative Relation (I / II: 40 und 117 sowie I: 233ff und 269ff).
Diese Systeme werden in Teil I der beiden Bände (I / II: 41-137) in akribischer Manier für die untersuchten Sprachen beschrieben, was anhand einer Vielzahl von Beispielen geschieht und dort, wo dies hilfreich erscheint, mit Hilfe in den Text integrierter Graphiken zur Verdeutlichung der jeweils behandelten spatialen Relation erfolgt. Zur Erhöhung der Übersichtlichkeit wird dieser erste Teil - also die Analyse zum Deutschen - durch die Präsentation einiger funktionaler Tabellen - beispielsweise zu den statischen Relationen der Systeme A und B (I / II: 130) oder die perlativen Relationen aller Systeme (I / II: 133) - abgeschlossen.
In Teil II folgen kontrastiv angelegte Tabellen der Adpositionen und Substitute (I: 137ff, II: 139ff). Diese Tabellen beziehen sich auf die jeweiligen Teile I und II der beiden Bände und haben lediglich Übersichtscharakter, können also nach Aussage der Autoren die in diesen beiden Teilen vorgenommenen Kommentare und Analysen nicht ersetzen (I: 137, II: 139). Diese Tabellen, die aus der Sicht des Rezensenten den eigentlichen Kern des jeweiligen Bandes ausmachen, da nur sie kontrastiv angelegt sind, stellen gleichsam das Bindeglied der Analyse der Ausgangssprache (Teil I) und der jeweiligen Zielsprache (Teil III) dar. Sie sind in struktureller Sicht und aus dem Grunde, dass sie dem Leser die Orientierung erleichtern, wertvoll. Dadurch, dass hier jedoch keinerlei Satzbeispiele gegeben werden - was auch nicht intendiert ist, da diese ja in den beiden anderen genannten Teilen figurieren -, sind diese Tabellen in erster Linie für den informierten Leser - und hier im engeren Sinne den Linguisten - von Nutzen. Da sie zudem die Quintessenz der jeweiligen einzelsprachlichen Analysen darstellen, wäre es gegebenenfalls vorteilhafter gewesen, sie – wenn vielleicht auch in reduzierter Form, um allzu viele Wiederholungen und Doppeldarstellungen zu vermeiden – sowohl mit den allerwichtigsten Beispielen als auch mit einigen wenigen Analysen und Kommentaren zu versehen. Auf diese Weise könnten die Tabellen unabhängig von den übrigen beiden Teilen gelesen werden, wodurch dem Leser umständliche Vergleiche in den Teilen I und III der Bände erspart würden. Alternativ wären Querverweise zu den Teilen I und III für eine Erhöhung der Zugänglichkeit der Darstellung hilfreich gewesen.
In Teil III beider Bände steht die jeweilige Zielsprache - Dänisch (I: 153ff) und Spanisch (II: 163) - im Mittelpunkt. Die beiden Zielsprachen werden - logisch und konsequent - nach den gleichen Kategorien analysiert wie zuvor die Zielsprache Deutsch, also nach den Systemen A (I: 161ff, II: 175ff), B (I: 201ff, II: 225ff), C (I: 221ff, II: 255ff), Komplexe Relationen (I: 227ff; II: 263ff) und D (I: 233ff; II: 269ff) sowie der Kategorie Zwischen Raum und Abstraktion (I: 243ff; II: 281ff). Auch in diesem Teil folgen wieder Tabellen der Substitute aller Systeme (I: 245ff, II: 283ff). Wie dies auch für den jeweiligen Teil I der beiden Bände gilt, werden auch in Teil III die sprachlichen Gegebenheiten linguistisch exakt – und dabei gut verständlich - anhand zahlreicher Beispiele analysiert. Dabei kann festgestellt werden, dass sich dem aufmerksamen Leser durch die Lektüre der „Geist“ der jeweiligen Sprachen immer deutlicher erschließt. Die Analyse der Zielsprachen Dänisch und Spanisch anhand identischer Kategorien ermöglicht dabei eine - wenn auch vielfach implizite - Kontrastierung mit der Ausgangssprache Deutsch, die es ermöglicht, die beiden Sprachen zueinander in Beziehung zu setzen.
Das Verdienst der Beschreibungen liegt in ihrer linguistischen Qualität und der hohen Verständlichkeit der Beschreibungen und Analysen, was hier ausdrücklich positiv hervorgehoben sei. Die Darstellung ist äußerst reich an sprachlichen Details und erhebt einen geradezu exhaustiven Anspruch. Diese Detailfülle ermöglicht einerseits einen bemerkenswerten Facettenreichtum. Sie erfordert andererseits jedoch einen Leser, der dazu bereit ist, sich in den Gegenstandbereich Spatiale Relationen uneingeschränkt zu vertiefen: Für eine Lektüre gleichsam en passant sind beide Bände nicht geeignet. Vertieft der Leser sich jedoch in die Darstellung, dann erhält er einen erheblichen Erkenntnisgewinn. Dieser besteht nicht nur darin, gegebenenfalls für sich (neu) zu definieren, um was es sich bei den 'Spatialen Relationen' überhaupt handelt, sondern - ungleich wichtiger - auch darin, dass ihm die erhebliche Bedeutung dieser in der Sprache und für die Sprache vermittelt wird - und dies insbesondere in figurativer Hinsicht. Dieser nicht zu unterschätzende Erkenntnisgewinn wird noch dadurch erhöht, dass er auf nicht lediglich eine Sprache, sondern gleich auf ein Sprachenpaar pro Band bezogen und somit transferierbar wird.
Dabei ist das in den beiden Bänden verwendete Layout hilfreich. Dieses ermöglicht eine unmittelbare Identifizierung der Beispiele und somit eine assoziative Anbindung der theoretischen Ausführungen an die sprachliche Praxis. Innerhalb der Beispiel werden die relevanten Passagen durch Kursivdruck gekennzeichnet, was eine unmittelbare Orientierung ermöglicht. Gleichzeitig ist das Layout jedoch sehr dicht, was dem Leser eine recht hohe Rezeptionsdisziplin abfordert.
Mit den beiden von den Autoren - und in beiden Fällen federführend von Maxi Krause – vorgelegten, vollkommen parallel aufgebauten Bänden ist eine Grundlage geschaffen für die Untersuchung weiterer Sprachenpaare und somit für eine graduelle Erweiterung der kontrastiven Datenbasis. Zudem stellen die beiden Publikationen einen wichtigen Impuls für die Kontrastiven Linguistik dar, die in den vergangenen Jahrzehnten zu Unrecht erheblich vernachlässigt worden ist. Allein dieser Impuls kann als ein beträchtliches Verdienst der hier besprochenen Werke gewertet werden.
Wie bereits oben angedeutet, wäre es dabei jedoch zu begrüßen gewesen, wenn die Kontrastivität hier explizit - anhand einer durchgehenden, direkten Gegenüberstellung der beiden jeweiligen Sprachen - realisiert worden wäre und somit nicht mehr oder minder indirekt bliebe, indem – wie es hier der Fall ist – zwei unabhängige kontrastive Analysen für das Deutsche einerseits und die jeweilige Zielsprache andererseits durchgeführt wurden. Zwar wird im jeweiligen Teil II eine Synthese vorgenommen, diese verbleibt jedoch auf theoretischem Niveau und entbehrt jeden sprachlichen Praxisbezugs: Diese Synthese kann eine durchgehende kontrastive Darstellung nicht ersetzen.
Hingegen können die beiden Bände in fruchtbarer Art und Weise gleichsam als Steinbruch für die Erstellung jeweils einer Kontrastiven Grammatik der spatialen Relationen Deutsch - Dänisch bzw. Deutsch - Spanisch verwendet werden oder auch eingehen in eine allumfassende – also nicht auf die spatialen Relationen beschränkte - Kontrastive Grammatik Deutsch-Dänisch bzw. eine Kontrastive Grammatik Deutsch-Spanisch. Wenn die Bereitstellung einer Basis für solche kontrastive Grammatiken eines der Ziele der beiden vorliegenden Publikationen war, dann – dies darf hier betont werden – ist dieses uneingeschränkt erreicht worden.
Eine Einschränkung muss hinsichtlich der auf den jeweiligen hinteren Buchdeckeln angeführten Adressatengruppen („Lernende und Lehrende an Schulen und Hochschulen“) vorgenommen werden. Es ist aus der Sicht des Rezensenten eher nicht davon auszugehen, dass Schüler an weiterführenden Schulen die beiden Bänder zur Hand nehmen – und ob Lehrer an diesen Bildungsinstitutionen dies tun, sei dahingestellt, wenn es auch zu hoffen wäre. Auf Hochschulebene ist dies jedoch anders: Hier stellen beide Bände eine gewinnbringende Grundlage für linguistische Seminare dar.
Insgesamt liegen mit den beiden hier rezensierten Bänden wertvolle Publikationen vor, die es verdienen, in den verschiedenen Kontexten der (Kontrastiven) Linguistik und in solchen der Ausbildung von Fremdsprachenlehrern konsultiert zu werden.


Rezensent:
Prof. Dr. Thomas Tinnefeld
W3-Professur für Angewandte Sprachen
Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes
Waldhausweg 14
66123 Saarbrücken
Deutschland
E-Mail: thomas.tinnefeld@htw-saarland.de



1 Zur Erleichterung der Lesbarkeit wird auf die beiden Bände hier nicht durch die Nennung der jeweiligen Autoren verwiesen, sondern auf Band 1 der Reihe - den Vergleich Deutsch-Dänisch - durch die römische Ziffer I und auf Band 2 der Reihe - den Vergleich Deutsch-Spanisch - durch die römische Ziffer II.
2 In der vorliegenden Rezension wird aus Gründen des besseren Textverständnisses jeweils die maskuline Form der erwähnten Adressatengruppen verwendet.

3 Bei den hier zitierten Beispielen werden die in den Originalen vorgenommenen Kursivierungen nicht übernommen. Die hier vorgenommenen Kursivierungen sind vielmehr funktional für die vorliegende Rezension.

Journal of Linguistics and Language Teaching 
Volume 5 (2014) Issue 2
S. 259-268


Bürgel Christoph & Dirk Siepmann (Hrsg.): Sprachwissenschaft - Fremdsprachendidaktik: Neue Impulse. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren 2013 (Thema Sprache - Wissenschaft für den Unterricht; Bd. 6). 225 Seiten. (ISBN 978-3-8340-1208-1)

Der vorliegende Sammelband, der die wissenschaftlichen Ergebnisse des ersten der von den beiden Herausgebern etablierten Osnabrücker Symposien aus dem Jahre 2011 präsentiert, verfolgt die Zielsetzung, eine weitergehende Verbindung zwischen der Sprachwissenschaft einerseits und der Fremdsprachendidaktik voranzutreiben, und folgt damit einem Trend, der sich  seit einigen Jahren auf diesem Gebiet abzeichnet. Auf diesem Hintergrund werden vier Bereiche genauer untersucht. Bei diesen handelt es sich um:
  die von Phraseologie- und Kollokationsforschung erarbeiteten und für die Erlernung von Fremdsprachen nutzbaren Ergebnisse,
  die von der Sprachwissenschaft für die Erstellung von Curricula und Lehrmaterialien verwertbaren Erkenntnisse,
   Implikationen der Forschung zum Zweitsprachenerwerb und zur Lernersprache und
• die mögliche Nutzung übersetzungswissenschaftlicher und textlinguistischer Erkenntnisse für den Fremdspachenunterricht.

Dabei soll sowohl der Forschungsebene - im Hinblick auf eine engere Verbindung zwischen linguistischer Forschung und sprachdidaktischen Handlungskonzepten - als auch der Ebene praktischen Unterrichtens - einer verbesserten Integration sprachwissenschaftlicher und prasixrelevanter Inhalte des Lehramtsstudiums - Raum gegebenen werden (Vorwort (o.S.)). Hierfür bestehe die Notwendigkeit, die Ergebnisse der Sprachwissenschaft mehr und besser als bisher verfügbar zu machen (ibid.).

Der Bereich Phraseologie- und Kollokationsforschung - und somit auch der gesamte Band - wird durch den Beitrag von Heinz-Helmut Lüger (Koblenz-Landau) eröffnet, der sich am Beispiel von Günter Grass' Roman Ein weites Feld mit dem Thema Feste Wortverbindungen im Übersetzungsvergleich (1-20) beschäftigt. Dabei geht er auf Probleme ein, die sich bei der Übersetzung von Mehrwortverbindungen vom Französischen ins Deutsche ergeben, wobei er  Fragen der Bedeutungskonstitution ebenso berücksichtigt wie die zu identifizierenden Bedeutungsebenen und die Leistungen dieser Ausdrücke für den (Kon)Text. Der untersuchte Roman von Günter Grass bietet sich dabei für eine Untersuchung wie die vorliegende in besonderer Weise an, da er sich einer Lektüre auf lediglich einer einzigen Sinnebene entzieht und  eine vielgestaltige Lektüre repräsentiert, die einen aktiven Leser voraussetzt (1). Nach einer Abgrenzung des Gegenstandsbereiches - von Wortpaaren, zweigliedrigen Vergleichen und phraseologischen Vergleichen über prädikative Konstruktionen und verbale Phraseolexeme bis hin zu festgeprägten Sätzen, geflügelten Worten und Slogans (2) - werden die Wichtigkeit und Vielschichtigkeit dieser Mehrwortverbindungen gewürdigt. Diese Vielschichtigkeit bewirke eine bereichernde Lektüre des Romans, jedoch erlange mit ihr auch die Frage nach der Übersetzbarkeit dieser Wortverbindungen Relevanz (4). Anhand allgemeiner Beispiele werden zunächst grundlegende Übersetzungsprobleme aufgezeigt: Wortverbindungen, die in beiden Sprachen vorhanden sind (z.B. dt. etwas auf dem Tablett servieren - fr. offrir qch sur un plateau[1]) (5) und die in aller Regel unproblematisch zu übersetzen sind. Ungleich problembehafteter sind solche Verbindungen, bei denen kein solches zielsprachliches Äquivalent gegeben ist oder bei denen eine semantische Verschiebung stattfindet (z.B. dt. Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie - fr. de l'eau au moulin de la social-démocratie) (6). Die frequenteste Kategorie bilden solche Wortverbindungen, die mit Hilfe nicht vorgeprägter Formulierungen übersetzt werden (dt. sich um Kopf und Kragen reden - fr. se griller politiquement) (7). In solchen Fällen, in denen kein zielsprachliches Äquivalent existiert, wird in der Übersetzung bislang stilistisch vereinfacht (z.B. dt. Knall auf Fall  - fr. à l'instant même) (7). Eine weitere Kategorie stellen solche Übersetzungen dar, in denen eine Null-Entsprechung im Deutschen durch eine Mehrwortverbindung im Französisch wiedergegeben wird (8). Feste Wortverbindungen haben im untersuchten Korpus im Wesentlichen zwei Funktionen - diejenige des Ausdrucks von Bewertungen und Einstellungen und diejenige der Textverflechtung und Textbildung. Im Bereich der erstgenannten Funktion stellt der Autor an den Beispielen Perlen vor die Säue werfen und sich nicht die Bohne kümmern fest, dass es aufgrund zielsprachlicher, oder kontextueller Gegebenheiten bisweilen geradezu unmöglich ist, Bedeutungsverluste beim Übersetzen zu vermeiden (9ff). Im Bereich von Textverflechtung und Textbildung - also der transphrastischen Verwendung von Mehrwortverbindungen - wird herausgearbeitet, wie diese auf textlinguistischer Ebene zur Eröffnung oder Beendigung von Äußerungssequenzen über die Themen Redefreiheit (z.B. dt. kesse Lippe mit der nur quantitativ im Sinne von 'Geschwätzigkeit' zufriedenstellenden französischen Übersetzung avoir la langue bien pendue) und persönliche Abhängigkeitsverhältnisse (z.B. jemanden am Haken haben, wobei der orientierungstiftende Charakter in der französischen Übersetzung durch die Verwendung unterschiedlicher Entsprechungen nicht erhalten bleibt) verwendet werden und somit zum Aufbau der jeweiligen Handlungsebene beitragen. Auf diese Weise können Mehrwortverbindungen die Ebene der Romanfiguren wie auch diejenige der Beziehung zwischen Autor und Leser zu konstitutieren helfen. Generell geht mit der Verwendung von Mehrwortverbindungen und dem mit ihnen verbundenen Hervorhebungseffekt somit die Steuerung der Aufmerksamkeit des Lesers und letztlich eine Steigerung der Attraktivität des jeweiligen Textes - hier also des ausgewählten Romans -  einher. Heinz-Helmut Lüger gelingt es, diese Zusammenhänge, die hier lediglich angedeutet werden können, auf gut nachvollziehbare Art und Weise zu präsentieren.

Susanne Dyka und Eva Scharf (Erlangen-Nürnberg) analysieren in ihrem Beitrag  die Präsentation phraseologischer Angaben in vier zweisprachigen Wörterbüchern Deutsch / Englisch und legen dafür das Duden-Oxford Großwörterbuch Englisch (2005) (DudOx), Das große Oxford Wörterbuch Englisch-Deutsch (22009) (GOW), das Langenscheidt Collins Großwörterbuch Englisch (2008) (LCGwE) und das Pons Großwörterbuch Englisch (2005) (PGW) zugrunde (21-42). In diesen Wörterbüchern wurden 60 Lemmata hinsichtlich der Darstellung von Mehr-Wort-Angaben (Schreibung der Autorinnen) analysiert. Dabei konzentrieren die Autorinnen sich auf den deutsch-englischen Teil der untersuchten Wörterbücher - somit auf denjenigen, der sprachproduktionsorientiert ist (im Unterschied zum englisch-deutschen Teil, der per definitionem nicht auf die Produktion, sondern vielmehr auf die Rezeption zielsprachlicher Texte abhebt) (22f). Untersucht wurden die jeweils zehn ersten Einträge von Adjektiven, Substantiven und Verben der zufällig bestimmten Buchstaben B und H. Als phraseologische Angaben wurden alle diejenigen Informationen gewertet, die den jeweils aufgeführten Äquivalenten folgen und mindestens ein weiteres Wort zuzüglich zum Lemma enthalten, wie auch solche Informationen, die in dem jeweiligen Wörterbuch als Wendungen ausgewiesen sind (23). Da die quantitative Behandlung phraseologischer Angaben tendenziell mehr oder minder proportional zu der Größe des jeweiligen Wörterbuches ist (30ff), wollen wir uns hier auf die qualitativen Ergebnisse beschränken. So konnte in den untersuchten Wörterbüchern die Tendenz ermittelt werden, dass phraseologische Angaben lediglich in Form von Mehr-Wort-Kombinationen dargestellt werden, nicht jedoch - wie dies im Sinne der Anschaulichkeit wünschenswert wäre - in Form von Satzbeispielen (34). Dabei ist jedoch auch das Problem zu benennen, dass in Satzbeispielen Kollokationen vom Lerner oft nicht bemerkt werden (35) bzw. - wie hier hinzugefügt werden kann - im Wörterbuch nicht als solche ausgewiesen sind. Zudem wird nicht eindeutig zwischen freien Kombinationen einerseits und Kollokationen andererseits unterschieden (35). Ein - auch aus Sicht des Rezensenten - erhebliches Rezeptionsproblem wird durch die sogenannten unechten Restriktionen generiert. Bei diesen handelt es sich um Fälle wie den von den Autorinnen zitierten, bei denen, z.B. im LCGwE, in dem Eintrag bärenstark das Äquivalent terrific angegeben wird und als Kollokation ein ~es Buch angeführt wird. Anstelle des ebenfalls möglichen Ausdrucks a terrific book wird jedoch der Ausdruck an amazing book aufgeführt, was beim Lerner den Eindruck suggeriert, dass der Ausdruck a terrific Book im Englischen nicht möglich sei - eine Information, die er dann - missverständlich - im Sinn einer Verwendungsrestriktion umdeutet (35f). Ein frequentes Problem ist schließlich, dass eine gegebene Mehr-Wort-Angabe nur mit Hilfe eines Beispiels illustriert wird, dass zu ihr jedoch kein Äquivalent angegeben wird (37). Als Konsequenzen für die Lexikographie ergeben sich aufgrund dieser Ergebnisse nach Ansicht der Autorinnen u.a. eine mögliche Aufnahme von Beispielen nur in der Zielsprache, nicht jedoch mit deutschen Übersetzung, die Vermeidung unechter Restriktionen, die typographische Kenntlichmachung echter Restriktionen und die - aus unserer Sicht sehr wichtige - Forderung der Einführung der lexikographischen Kategorie Kollokation. Des Weiteren seien wünschenswert: die Nutzung eines partiell onomasiologischen Ansatzes durch Zusammenstellung relevanter phraseologischer Angaben zu umfassenden Einträgen (z.B. zu dem Lexem bath die Hinzufügung von Informationen zu baden / Baden / Bad…), die ungleich prominentere Berücksichtigung von Sprachkorpora als bisher und eine insgesamt ungleich bessere Strukturierung phraseologischer Angaben, als es derzeit der Fall ist (38f). Wenn die aufgrund dieser Analyse aufgezeigten Probleme auch lediglich als ein erster Schritt in Richtung auf eine Verbesserung der lexikographischen Situation bezeichnet werden können, so ist dies doch unzweifelhaft ein wichtiger Schritt.

Auch der Beitrag von Krista Segermann (Jena) "Zur didaktischen Relevanz einer inhaltsorientierten Lexiko-Grammatik des Französischen" ist am Lerner orientiert (43-55). Bei dieser Grammatik, die im Internet unter der Adresse www.kristasegermann.de frei zugänglich ist, handelt es sich um ein Systematisierungs- und Nachschlageinstrument, das sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse in kreativer Weise didaktisch umsetzt, den Lernern von unmittelbarem Nutzen sein soll und von der Autorin seit Jahren mit großer Tatkraft vorangetrieben wird. Die Grammatik basiert auf dem Jenaer Bausteinkonzept. Dieses besteht aus den folgenden Bausteinen: Subjekt~, Objekt~, Verb~, Umstands~, Attribut~, Prädikativ~, Pronomen-Verb~, Infinitiv~, Verknüpfungs~, Frage~ und Redeformel~) (43ff). Bei deren Bearbeitung und Füllung, die dem Prinzip vom Inhalt zur Form folgt, steht jeweils der Lerner mit seinen potentiellen Kommunikationsbedürfnissen im Vordergrund (47ff). Ziel der Grammatik ist dabei letztendlich eine anschauliche Systematisierung der Grundstrukturen des Französischen und die Schaffung der Möglichkeit der Bewusstmachung dieser für den Lerner (49). Technisch ist die Grammatik untergliedert in ein nur dem Programmierer zugängliches Bauprogramm und ein an den Lerner gewandtes, jedoch nicht interaktives Benutzerprogramm (50ff). Dieses ist das eigentliche Nachschlage- und Lernwerk, das es dem Lerner erlaubt, seine individuelle Textproduktion zu verbessern, und durch seine interne Vernetzung der Erweiterung seines Wortschatzes Raum gibt. Dabei soll die Beschäftigung mit den jeweiligen Sprachstrukturen die Erlernung der diesen unterliegenden grammatischen Regeln ersetzen. Die Lexiko-Grammatik, die Lernern eine wertvolle Hilfestellung geben kann, ist prinzipiell sowohl für das Autonome Lernen als auch für eine Verwendung im Unterricht geeignet.

Den Bereich der Gestaltung von Curricula und Lehrmaterialien eröffnet der Beitrag von von Thomas Herbst (Erlangen-Nürnberg). In seinem Artikel Von Fledermäusen, die auch Schläger sind, und von Gerundien, die es besser nicht gäbe (57-76) zeigt er Möglichkeiten der Übertragung der Erkenntnisse der Korpuslinguistik und der Konstruktionsgrammatik auf die Wortschatzdarstellung von Englischlehrwerken und von Lernergrammatiken und geht dabei von einem fließenden Übergang zwischen den Bereichen Lexik und Grammatik - einem "lexikogrammatischen Kontinuum" (58) - aus. So reflektiere die Lehrwerkpraxis im Rahmen der Lexik seit Langem die Situation, dass dort - im Unterschied zu Wörterbüchern, die zu Einworteinträgen tendieren - unproblematisch auch solche Mehrworteinträge aufgenommen werden wie at all oder of course, die als Konstruktionen im Sinne Sinclairs zu verstehen sind (59f). Ein erhebliches lexikographisches Problem ergibt sich immer dann, wenn - wie in Lehrwerken allgemein üblich - einem englischen Lexem ein Beispielsatz mit einer entsprechend aktualisierten Bedeutung beigegeben wird, jedoch in den zu dem Lexem aufgeführten Bedeutungen auch solche semantischen Anteile vertreten sind, die durch den Beispielsatz nicht abgedeckt werden (60ff). Eine solche Darstellung kann bei den Lernern nur zu Verwirrung führen. In dieser Situation plädiert der Autor für ein splitting, also die Aufgliederung der gegebenen semantischen Information in Übereinstimmung mit dem jeweils gegebenen Beispielsatz - also beispielsweise für das Verb to change in der Bedeutung umsteigen die Angabe eines Beispielsatzes mit eben dieser Bedeutung des Verbs (60ff). Im Rahmen der Grammatik spricht er sich für eine striktere Trennung der Ebenen formale Einheiten als Bedeutungsträger, formale Homonymie oder Polysemie und Funktionen von Formen innerhalb von Konstruktionen aus (64f). Zudem sei von zentraler Bedeutung, dass in der grammatischen Terminologie nur solche Begriffe berücksichtigt würden, die für die jeweils gegebene Sprache auch von Relevanz sind. Für das englische gerund erkennt Herbst diese Notwendigkeit nicht. Hier spricht er sich dafür aus, keine Differenzierung zwischen gerund und participle mehr vorzunehmen, da diese funktional nicht gerechtfertigt sei, denn es bestehe zwischen beiden keinerlei morphologischer Unterschied, und ein Erkenntnisgewinn sei aus dieser Differenzierung auch nicht abzuleiten (65ff). In Lehrwerken und Curricula solle in Zukunft also auf diese terminologische Unterscheidung verzichtet werden. In diesem Sinne spricht sich der Autor für eine call-a-spade-a-spade-Grammatik aus, also eine solche, in der funktionale Gesichtspunkte eine zentrale Rolle spielen (71f). Die hier analysierten Bereiche sind nach Meinung Herbsts Anzeichen dafür, dass in der Fremdsprachendidaktik die Erkenntnisse der modernen Linguistik in Zukunft weit mehr als bisher beachtet werden müssen (73) - eine Auffassung, der voll zuzustimmen ist.

Peter Fenn (Ludwigsburg) beschäftigt sich seinerseits mit einem grammatischen Thema und stellt seinen englischsprachigen Aufsatz unter den Titel Applied linguistics and the teaching of grammar in a university EFL setting (77-102). Der Autor plädiert dabei für eine stärkere Vernetzung von Sprachwissenschaft, Angewandter Linguistik, sprachpraktischer Ausbildung und Fremdsprachendidaktik, wobei die Grammatikvermittlung - ihre Rolle und Funktion - in der Ausbildung künftiger Englischlehrer hier im Mittelpunkt steht. Dabei geht er zunächst auf das Verhältnis zwischen ‘reiner’ und angewandter Sprachwissenschaft ein und beklagt die Abkehrung Ersterer von strukturalistischen Prinzipien, wobei die Angewandte Linguistik strukturalistisch-deskriptiv orientiert blieb - ein Ungleichheitsverhältnis, das nach Ansicht des Autors bestehende Antagonismen stärke (78f). Die deutsche Englischlehrerausbildung kranke außerdem daran, dass sprachliche Gesichtspunkte aus dem Blickfeld gerieten, da sich dort einerseits hauptsächlich auf Lehrer- und Schülerverhalten konzentriert werde und andererseits fortgeschrittene Lerner und ihre sprachlichen Bedürfnisse kaum berücksichtigt würden. Hinzu komme bisweilen eine gewisse "Primitivität" grammatischer Erklärungen (80ff). Die sprachpraktische Ausbildung an der Universität werde in vielen Fällen im Sinne eines "practice by doing"-Ansatzes auf Konversation mit einem Muttersprachler reduziert und sei weitgehend fertigkeitsorientiert. Dabei seien konkrete und systematisch definierte Sprachlernziele eher die Ausnahme als die Regel. Zudem würden sprachpraktische Veranstaltungen bei Forschungsvorhaben meist außen vor gelassen (82ff). Nach diesen durchaus pointiert formulierten Anmerkungen präsentiert Fenn eine Analyse des englischen Present Perfect (85ff), die hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden kann. Hingewiesen sei hier lediglich auf die Berücksichtigung der sogenannten Reichenbach notation, in deren Rahmen die Parameter SprechzeitHandlungszeit und Referenzzeit von Bedeutung sind und die - nachdem sie jahrzehntelang unberücksichtigt geblieben ist - nun endlich in die Vermittlung des Englischen  Eingang finden solle (91ff). Nach seinen Schlussfolgerungen präsentiert Fenn - gleichsam als Zugabe - unter dem Titel Theory in practice - puzzles to ponder on (93ff) eine Reihe von Beispielsätzen, die er nach Reichenbach analysiert. Wenn der Autor in seinem Beitrag auch bisweilen sehr deutlich wird, so zeigt er doch Bereiche der Lehrerausbildung auf, die ein erneutes Nachdenken wert sind.

Claudia Polzin-Haumann (Saarbrücken) stellt das im Rahmen einer Kooperation der Universität der Großregion SaarLorLux (Universität des Saarlandes, Universität Luxemburg und Université de Lorraine,  Campus Metz) innerhalb eines Hauptseminars durchgeführte Pilotprojekt Mehrsprachigkeit - Umgang mit Wissen in multilingualen Kontexten - La gestion du savoir dans des contextes plurilingues vor (103-116). Im Mittelpunkt dieses Projektes standen offene Desiderata der Mehrsprachigkeitsforschung und Fragen der Sensibilisierung Lehramtsstudierender - und somit künftiger Fremdsprachenlehrer - für die vielfältigen Aspekte der Mehrsprachigkeit in Kommunikation, Wissenstransfer und Wissenskommunikation. Den Schwerpunkt der ersten Seminarsitzung in Luxemburg bildeten Fragen des institutionellen Umgangs mit Sprachenvielfalt, deren schulischer Frühbeginn und deren Implementierung in Bildungsinstitutionen. Im Mittelpunkt der Blockveranstaltung in Metz standen soziologische, soziokulturelle und soziolinguistische Gesichtspunkte - gerade auch im Verhältnis zwischen Standardsprache und Dialekt (Lëtzebuergisch). In der dritten Veranstaltung in Saarbrücken wurden die in Luxemburg zuvor gemachten Sprachaufnahmen wie auch ein gemeinsam entwickelter Fragebogen analysiert und zudem eine Einführung in das Konzept EuroComRom als Beispiel des interkomprehensiven Sprachenlernens gegeben (109f). Die Evaluation des Seminars durch die Studierenden war positiv, wobei sie besonders seinen internationalen und interdisziplinären Charakter würdigten (110ff). Die Ergebnisse des Projekts sind aus der Sicht der Autorin vielversprechend für das Saarland und die Großregion SaarLorLux, könnten aber durchaus auch für andere Regionen anregend sein (113).

Der Beitrag von Thorsten Piske (Erlangen-Nürnberg) zum fremdsprachlichen Frühbeginn eröffnet den dritten Themenereich des Bandes zu Zweitsprachenerwerbsforschung und Lernersprache. Der Autor analysiert die Faktoren Alter, sprachlicher Input, Geschlecht und Motivation im Hinblick auf die Ausspracheentwicklung und die Grammatikkenntnisse von Zweitsprachenlernern (117-144). Auf der Basis der Forschungsergebnisse der letzten zwei Dekaden ist zwar ein möglichst frühes Einsetzen des Fremdsprachenunterrichts von erheblicher Bedeutung (121f), noch wichtiger als dieses ist - nicht zuletzt für die Erlernung einer möglichst guten Aussprache - jedoch das Vorhandensein eines quantitativ intensiven und qualitativ hochstehenden fremdsprachigen Inputs (123ff), wobei hier durch bewusstmachende  Übungen ein weiterer Effizienzgewinn erzielt werden kann (127). Der Faktor Geschlecht spielt für die Erlernung der Fremdsprache im Sinne eines möglichst gering ausgeprägten Akzents hingegen wohl keine ausschlaggebende Rolle (128f). Der Faktor Sprachlernbegabung ist zwar als solcher eher als diffus zu werten, jedoch bringt die generelle Fähigkeit zur Imitation fremder Laute Sprachlernern allem Anschein nach Aussprachevorteile (129). Die Motivation der Lerner spielt hingegen für die Entwicklung einer möglichst akzentfreien Aussprache nahezu keine Rolle (130). Hinsichtlich des muttersprachlichen Hintergrundes der Schüler sollten Ausspracheübungen besser mit Blick auf diesen differenziert werden, als dass allen Schüler die gleichen Übungen präsentiert würden. Für den Erwerb grammatischer Kenntnisse sind solche Faktoren ungleich bedeutsamer als das Alter der Lernenden wie der zeitliche Umfang des Verweilens in fremdsprachigen Lernumgebungen, die Qualität des dabei erhaltenen Inputs und die Häufigkeit der Verwendung der Fremdsprache durch  die Lernenden (131ff). Auf dem Hintergrund dieser Forschungsergebnisse spricht Piske sich u.a. für eine Ausweitung des Immersionsunterrichts an Grundschulen aus (138). Die hier dargestellten Ergebnisse könnten - wenn sie konsequent auf die Praxis angewandt würden - zu einer erheblichen Effektivitätssteigerung des Fremdsprachenunterrichts führen, zumal Immersionsunterricht prinzipiell auf allen Lernstadien und in jedem Lernalter vorstellbar ist, was hier hinzugefügt sei.

Sabine Diao-Klaeger (Lyon) und Britta Thörle (Siegen) stellen in ihrem Beitrag die ersten Ergebnisse einer Pilotstudie zu der Verwendung von Diskursmarkern im Spracherwerb des Französischen vor - einem Bereich also, der bisher von der Spracherwerbsforschung weitgehend vernachlässigt worden ist (145-160). Diskursmarker wie ben, quoi, voilà oder et donc sind von erheblicher Bedeutung für das gesprochene Französisch, da sie Diskurs strukturierende Funktionen haben und nicht zuletzt als Signale des sogenannten turn taking dienen (146). Diskursmarker stellen für Lerner jedoch spezielle Probleme dar, da sie formal unbestimmt sind, unterschiedlichen Wortarten angehören und mit üblichen linguistisch-schulgrammatischen Mitteln (z.B. Weglassprobe, Erfragung oder Negationstest) nicht identifizierbar sind (146). Probanden der hier dargestellten Untersuchung waren Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen (Lehramt Französisch bzw. Spanisch, wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge und andere (geisteswissenschaftliche) Studiengänge), die für das Folgejahr einen Auslandsaufenthalt als Erasmusstudenten oder Fremdsprachenassistenten geplant hatten. Diese mussten drei Aufgaben erledigen: die Versprachlichung einer Bildergeschichte aus der Reihe Vater und Sohn, die Führung eines  Telefongesprächs mit einem Muttersprachler und die Planung einer Reise im direkten Gespräch mit einem Muttersprachler oder Nicht-Muttersprachler. Nach ihrer Rückkehr sollen den Studierenden nochmals Aufgaben vorgelegt werden, um festzustellen, ob sich durch den Auslandsaufenthalt in ihrem Gebrauch von Diskursmarkern Veränderungen ergeben haben (149). Im Rahmen eines formbezogenen Ansatzes lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine belastbaren Aussagen zu Frequenz und Variation der Verwendung von Diskursmarkern durch Lernende machen. Gleiches gilt für das Verhältnis von Transfer und Interferenz  (150f). Dagegen konnten am Beispiel von bien bzw. très bien erste Tendenzen hinsichtlich einer Übergeneralisierung von Diskursmarkern durch die Studierenden konstatiert werden, was jedoch noch durch weitere Untersuchungen bestätigt werden muss (152ff). In funktionaler Hinsicht konnten im Bereich des back-channeling Strategien festgestellt werden, bei denen die fehlende Beherrschung von Diskursmarkern durch nonverbale Signale oder die Wiederholung der Äußerungen des Partners kompensiert wurden (155). Hinsichtlich der Beendigung von Gesprächen mit Hilfe von Diskursmarkern wurden durchwachsene Ergebnisse ermittelt (155ff). Im Rahmen der beschriebenen Untersuchung war es bislang nur möglich, "Auffälligkeiten" der Lernenden in ihrer Verwendung von Diskursmarkern zu finden (157f). Exaktere Aussagen konnten bislang nicht getroffen werden. Hinzu kommt, dass die vorliegende Darstellung der Ergebnisse sich eher auf individuelle Verhaltensanalysen beschränkt als generalisierbare Ergebnisse ermöglicht. Für Letztere wird man die weitere Entwicklung der Pilotstudie abwarten müssen.

Marcus Callies (Bremen) beschäftigt sich ebenfalls mit einem Lernerkorpus, und dies im Rahmen der Lernerkorpuslinguistik als Brücke zwischen Sprachwissenschaft, Fremdsprachenerwerbsforschung und Fremdsprachendidaktik (161-188). Bislang existiert keine zuverlässige Definition der Notion fortgeschrittener Lerner bzw. near-native competence. Ebenso ist bislang nicht wissenschaftlich erforscht, ab welchem Zeitpunkt Lerner als fortgeschritten angesehen werden können, auf welche Weise sie sich von Lernern mittleren Sprachbeherrschungsniveaus unterscheiden und wodurch von Muttersprachlern (163). Antworten auf diese Fragen werden mit Hilfe des Corpus of Academic Learner English (CALE) zu geben versucht, das sieben wissenschaftliche Textsorten wie beispielsweise abstracts, research papers oder summaries abdeckt (165). Die einzelnen Texte des Korpus entstanden im Rahmen von Lehrveranstaltungen, an denen die beitragenden Englischstudierenden teilnahmen. Lerner, die Texte zum Korpus beisteuern, werden dabei über einen detaillierten, obligatorisch von ihnen einzureichenden Fragebogen, mit deren Hilfe wichtige Parameter erfragt werden, hinsichtlich ihres Sprachlernstandes erfasst (165). Auf der Basis von CALE sollen typische Problembereiche und Einflussfaktoren sowie Charakteristika der Lernervarietäten fortgeschrittener Sprecher erforscht werden (167). Im Anschluss an diese einführende Darstellung wird eine Fallstudie vorgestellt, in der die in wissenschaftlichen Texten geforderte Ausblendung des Autors, der sich möglichst nicht mit Hilfe der ersten Person Singular bezeichnen soll, erforscht wird - eine Sichtweise, die im englischen Sprachraum jedoch seit einiger Zeit im Umbruch befindlich ist und in unterschiedlichen Fachrichtungen verschieden gehandhabt wird  (167ff). Die im Korpus erhobenen Daten verweisen zum einen auf eine signifikante Überrepräsentation der ersten Person Singular und Plural, zum anderen auf eine Überrepräsentation formaler Subjekte wie it oder there, was - auch nach Aussage des Autors - zunächst widersprüchlich erscheint. Gleichzeitig sind (unbelebte, nicht-agentivische) Sachsubjekte im Korpus unterrepräsentiert (171ff). Ergebnisse wie diese sollten nach Meinung des Autors Eingang finden in Lehrmaterialien und in die Konzeption von Schreibkursen (Academic Writing) (177). Abschließend stellt Callies einige wichtige Vorteile von  Sprachkorpora zusammen, die gegenwärtig in der Sprachwissenschaft - und nicht nur dort - eine immer größere Bedeutung erlangen. Diese Vorteile beziehen sich im Wesentlichen auf die direkte Anwendbarkeit von Korpusdaten auf Unterricht und Unterrichtspraxis - und konkret auf die Erstellung von Unterrichtsmaterialien und die Bewertung sprachlicher Leistungen im Hinblick auf Korrektheit und Idiomatizität. Des Weiteren bieten Korpora Vorteile für die Unterscheidung zwischen korrektem und falschem Sprachgebrauch, die sich nicht nur auf den Unterrichtsalltag, sondern auch auf alle Ebenen der Lehrerausbildung beziehen lassen (177ff). Dabei verweist Callies jedoch zu Recht auf die Diskrepanz, die zwischen der Begeisterung der Korpuslinguisten zum einen und der Rezeption von Korpora durch praktizierende Lehrer zum anderen besteht (179f). Andererseits können Korpora zur Erfüllung vieler von Lehrern geäußerter Wünsche beitragen - wie z.B. einer verbesserten sprachlichen Aktualität von Lehrwerken, der Schaffung besserer und dabei normbezogener (elektronische) Nachschlagewerke und Hilfe bei der sprachlichen Korrektur von Klausuren (180). Der wesentliche Vorteil von speziellen Lernerkorpora, die bislang lediglich ein Schattendasein fristen, besteht darin, die Schwierigkeiten (individueller) Lernergruppen ermitteln und besser auf diese eingehen zu können. Der vorliegende Beitrag ist somit einem Bereich gewidmet, dem in der Angewandten Linguistik und der Fremdsprachendidaktik eine große Zukunft vorausgesagt werden kann - auch wenn es zunächst noch mehr als bisher notwendig sein wird, dessen Vorteile weithin bekanntzumachen.

Die beiden Herausgeber der hier besprochenen Bandes schließen diesen mit ihren Beiträgen ab. Diese konstituieren zugleich den vierten Großbereich, der dem potentiellen Nutzen von Übersetzungs- und Sprachwissenschaft für einzelne sprachliche Fertigkeiten gewidmet ist. Dirk Siepmann beschäftigt sich dabei mit dem Sprachmitteln im Fremdsprachenunterricht (189-208). Die von der KMK im Jahre 2012 beschlossene neue Prüfungsform Sprachmitteln wird  zunächst problematisiert. Dabei geht Siepmann von einer Gleichsetzung des Sprachmittelns mit dem Dolmetschen und Übersetzen aus und votiert gegen eine Abgrenzung zwischen beiden Bereichen, wie sie gegenwärtig in einschlägigen fremdsprachendidaktischen Artikeln und Handreichungen propagiert wird (190ff). Dabei kann seiner Ansicht nach nicht - wie häufig postuliert - davon ausgegangen werden, dass Ausgangs und Zieltext sich beim Übersetzen und Dolmetschen "vollständig" zu entsprechen hätten, bei der Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht hingegen lediglich eine Ähnlichkeitsrelation zugrunde gelegt werde. Die Annahme einer Identitätsrelation sei unrealistisch, da sowohl durch das Übersetzen und Dolmetschen einerseits als auch durch die Sprachmittlung andererseits Inhalte nur sinngemäß übertragen werden könnten, also keine Identitätrelation hergestellt könne (194f). Hinsichtlich einer möglichen Antwort auf die Frage, was das Adjektiv sinngemäß in diesem Zusammenhang bedeutet, sieht er die Skopos-Theorie von Reiß und Vermeer als eine mögliche Lösung, die dem Zieltext - nicht jedoch dem Ausgangstext - den Primat zuweist, wobei zugleich die Unterscheidung zwischen wörtlicher und freier Übersetzung obsolet wird, die Übersetzungskritik auf eine neue Basis gestellt und der linguistische Äquivalenzbegriff durch denjenigen der Funktionsadäquatheit ersetzt wird. Eine Übersetzung, deren Funktion sich von derjenigen des Originals unterscheidet, kann dabei nur adäquat, nicht jedoch äquivalent sein (195f). Siepmann betont, dass die Übersetzung auf diese Weise - ob man dies nun begrüße oder nicht - (wieder) Einzug in den Fremdsprachenunterricht hält (196). Dabei sieht er als Möglichkeit der Operationalisierung Gerzymisch-Arbogasts Aspektmatrix an, in der zwischen der Makrostruktur und der Mikrostruktur von Texten unterschieden wird (197). Diese Operationalisierung exemplifiziert er an der Kulturspezifik - die in dieser Matrix Teil der Makrostruktur ist -, deren Komplexität er anhand der Konzepte der amerikanischen eating utensil etiquette und dem britischen Verständnis des Begriffes pudding darstellt (197ff). Für die unterrichtliche Umsetzung des Spachmittelns seien prinzipiell alle grundlegenden Erkenntnisse von Übersetzungswissenschaft, Übersetzungsdidaktik und Schreibdidaktik von Bedeutung (200f). Global empfiehlt Siepmann dabei den Primat gesamthafter Übungen zum Verständnis der  Übersetzung vor Übungen zu Detailproblemen, die Nutzung einer erheblichen Vielfalt an Übungen, eine generelle Inhaltsorientierung aller Übungsformen, die Verwendung authentischen Spachmaterials mit realistischen Übersetzungsaufträgen sowie ein Besprechen der Übungen und eine schriftliche Fixierung der Lösungen (202). Im Anschluss werden die Schwierigkeiten des schulischen Sprachmittelns anhand eines einschlägigen Aufgabenvorschlages der KMK dargestellt und dessen prinzipielle Komplexität herausgearbeitet wie auch die Notwendigkeit einer exakten Formulierung der Arbeitsaufgaben und die Festsetzung eines realistischen Anspruchsniveaus postuliert, wofür Fremdsprachendidaktik und Übersetzungswissenschaft miteinander in Kommunikation treten müssen (202ff). Siepmann ist insgesamt sicherlich Recht zu geben, auch und nicht zuletzt dann, wenn er fordert, dass realistischere Zielsetzungen und ein realistischeres Anspruchsniveau bisweilen zielführender sein können als zu hoch angesetzte Ziele (205).

Im chronologisch letzten Beitrag des vorliegenden Bandes analysiert Christoph Bürgel Textsortenmerkmale zur Förderung von Lesekompetenz (209-225). Dabei verdeutlicht er Möglichkeiten der Nutzbarmachung der Textlinguistik für die Lesedidaktik.  Auf dem Hintergrund dessen, dass das Ziel des Sprachunterrichts, die Lernenden zu einem selbständigen Umgang mit authentischen Texten zu führen, bei weitem nicht immer erreicht wird, und im Bewusstsein dessen, dass die Anwendung effizienter Lesestrategien und ein solides Textsortenwissen den Leseprozess optimieren, ergibt sich für Bürgel das Desiderat, typische Textsortenmerkmale herauszuarbeiten, die sich lesemethodisch aufbereiten lassen (209ff). Zu diesem Zweck wählt er die Textsorte Bericht und differenziert sie in die Darstellungsformen Erzählung (für vergangene Ereignisse), Besprechung (für vergangene, gegenwärtige und zukünftige Ereignisse) und Exposé (für Argumente, Kommentare und Einschätzungen). Für die hier im Detail analysierte Textsorte Konfliktbericht wird eine Konzentration auf die Darstellungsform vorgenommen (211ff). Im Rahmen der Analyse je eines französischen (erzählenden) und eines spanischen (besprechenden) Konfliktberichtes werden deren wesentliche Merkmale herausgearbeitet (213ff). Im Sinne einer verallgemeinernden Analyse ergibt sich die Textüberschrift mit ihrer Konzeptualisierungsfunktion als wesentliches Layout-Merkmal. Hinsichtlich ihres Aufbaus folgen beide analysierten Texte dem Muster Konfliktauslöser - Konfliktabwicklung - Konfliktlösung. In dem erzählenden Bericht sind - bedingt durch seinen linearen Aufbau - die Konnektoren, die Zeitangaben und die Tempora in ihrer Verwendung signifikant, was lesedidaktisch von Relevanz ist, da diese Sprachmittel dem Rezipienten eine Orientierung bei der Lektüre geben. Der besprechende Bericht folgt dem Muster Konfliktzusammenfassung - Nacherzählung - Jetztzustand, wobei die inhaltliche Ausgestaltung von Konflikten kulturspezifisch ist. Auf der Basis seiner Analyse fordert Bürgel, als zusätzliche Kriterien der Textsortenklassifikation auch die Darstellungsformen Erzählung, Besprechung und Exposé in Betracht zu ziehen, was dann im Rahmen einer "applikativen Textlinguistik" didaktisch für die Rezeption und Produktion von Texten genutzt werden könne (219f). Im Hinblick auf die lesedidaktische Einsetzbarkeit diese Erkenntnisse schlägt Bürgel die Anwendung einer Filtermethode vor, die auf einer Ausdifferenzierung der beiden Verfahren skimming und scanning beruht: Der erste Filterdurchgang ist dabei der Layout-Durchgang, der zweite der Konnektoren-Durchgang und der dritte der Tempus-Durchgang, wonach die Lerner in der Lage sind, einen Bericht als narrativen, besprechenden oder exponierenden einzustufen. Im Rahmen einer Unterrichtseinheit ergibt sich dann eine Erarbeitungsphase, eine Übungsphase und eine Anwendungsphase (220ff). Dabei ist Bürgel sich darüber im Klaren, dass Leseverstehensleistungen nicht zuletzt auf vorhandener Fremdsprachenbeherrschung, Lesemotivation und bestehendem Sachwissen basieren (223), womit er sicherlich Recht hat.
Insgesamt kann dem vorliegenden Band attestiert werden, dass er seinem Untertitel - Neue Impulse - durchaus gerecht wird. Zwar stammen die darin vereinigten Beiträge aus recht  unterschiedlichen Bereichen und weisen somit eine gewisse Heterogenität auf, jedoch sind die einzelnen Artikel lesenswert und können sowohl dem Forscher als auch dem Lehrer die eine oder andere Anregung geben. Dabei gelingt es den Herausgebern in ihrem Vorwort, die einzelnen Beiträge logisch miteinander zu verknüpfen und sie in konsistenter Form zu präsentieren. In Titel und Vorwort des Bandes wird dabei nicht zu viel und auch nicht zu wenig versprochen: Der Leser bekommt in etwa, was er nach deren Lektüre erwarten kann. Dies ist ein Verdienst der vorliegenden Publikation. Für den Gesamteindruck des Bandes wäre es dabei noch vorteilhafter gewesen, wenn die im Vorwort ausgewiesenen thematischen Großbereiche auch in Kapitelform berücksichtigt worden wären und den Band dadurch auch makrostrukturell noch lesefreundlicher gestaltet hätten.

Hinsichtlich der den Beiträgen vorangestellten Abstracts ergibt sich eine Systematik, die sich dem Rezipienten nicht auf Anhieb erschließt: Das Abstract des englischen Beitrags von Peter Fenn ist auf Deutsch, alle anderen Abstracts der - deutschen - Artikel sind ebenfalls auf Deutsch. Hier hätte man sich durchaus vorstellen könnten, die Abstracts zu den deutschen Texten entweder auf Englisch oder in der jeweiligen Objektsprache - also der Sprache, über die geschrieben wird - zu präsentieren.

Die Lesefreundlichkeit hätte zudem dadurch weiter erhöht werden können, dass dem Band ein Sachregister beigegeben worden wäre. Man kann zu Sachregistern stehen, wie man mag - hilfreich sind sie allemal, zumal dann, wenn die anzunehmende Lektüre der Rezipienten nicht notwendigerweise das gesamte Buch umfasst.

Schließlich hätte man für eventuelle Rückfragen und zur besseren Orientierung derjenigen Leser, die nicht dem Hochschulkontext angehören, die Adressen der Autoren beifügen können und gegebenenfalls - gerade in Anbetracht der relativ begrenzten Anzahl an Autoren - ebenso deren Kurzbiographien.

Die hier aufgeführten Punkte mögen als Anregungen und Vorschläge verstanden werden, und nicht als Kritik - allenfalls als konstruktive. Der Rezensent weiß aus eigener Erfahrung, mit wie viel Detailarbeit die Herausgabe von Sammelbänden verbunden ist und dass es unmöglich ist, einen solchen in "perfekter" Form vorzulegen. Sein Bestreben war daher, einige Aspekte zu benennen, die in der zuvor beschriebenen Weise für weitere mögliche Auflagen dieses Bandes oder für künftige Publikationen gleicher oder ähnlicher Ausrichtung von Nutzen sein können.


Rezensent:
Prof. Dr. Thomas Tinnefeld
W3-Professur für Angewandte Sprachen
Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes
Waldhausweg 14
66123 Saarbrücken
Deutschland
E-Mail: thomas.tinnefeld@htw-saarland.de



[1] Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verweisen wir auf die jeweiligen Konstruktionen hier im Infinitiv und nicht in der syntaktischen Form, in der sie in den vom Autor zitierten Beispielen figurieren.
Journal of Linguistics and Language Teaching
Volume 4 (2013) Issue 1
pp. 153 - 164

Huiqin Mao unter Mitarbeit von David Baumgärtner und Mingyue Liu: Lernwörterbuch Chinesisch. Die meistbenutzten Wörter der chinesischen Sprache. Hamburg: Buske 2011. 546 Seiten. (ISBN 978-3-87548-605-6; DVD beigefügt).
Das vorliegende Lernwörterbuch, umfasst 1200 chinesische Schriftzeichen, die gemäß der phonetischen Umschrift des Chinesischen – dem sogenannten Pinyin – geordnet sind (V). Diesen Schritzeichen sind mikrostrukturell pro Eintrag entsprechende Komposita zugeordnet, deren Gesamtzahl sich auf etwa 6000 beläuft (V). Idealtypisch sind dies somit in etwa fünf Komposita pro lexematischem Eintrag. Das vorliegende Wörterbuch deckt nach Angaben der Autorin die Stufen eins bis fünf des insgesamt sechsstufigen HSK (Hànyǔ Shuǐpíng Kǎoshì - 汉语水平考试)1 ab und wendet sich somit an eine Bandbreite von Rezipienten, die von Anfängern bis hin zu fortgeschrittenen Lernern reicht. Das Lernwörterbuch Chinesisch versteht sich zudem als "Phrasebook", das "als Ergänzung zu Lehrbüchern oder auch für die Text- und Übersetzungsarbeit" (V) verwendet werden kann. Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass dieser Anspruch einer Spagatbildung zwischen einem eigentlichen Lernwörterbuch und einem - per definitionem ungleich umfassenderen - Übersetzungs- und Lesewörterbuch in der Praxis kaum zu erfüllen ist.
Die Einträge der einzelnen Lemmata erfolgen alphabetisch und – bei Vorhandensein der gleichen Phoneme in mehreren Wörtern – intern nach deren Tonhöhe, vom ersten bis zum vierten, also vom hohen, über den steigenden, den niedrig-fallend-steigenden bis hin zum fallenden Ton. Wie in anderen Pinyin-basierten Wörterbüchern auch, ist die Auffindbarkeit von Lexemen somit weitgehend unproblematisch – unter der Bedingung, dass der Nutzer diese phonetisch mehr oder minder korrekt verstanden oder einen schriftlichen Zugang zur Pinyin-Umschreibung des jeweiligen Wortes hat. Diese Ordnung ist die einzige, die makrostrukturell angeboten wird. Es handelt sich somit um ein dominant unidirektionales Wörterbuch Chinesisch-Deutsch (und nicht auch um eines, das die Sprachrichtung Deutsch-Chinesisch berücksichtigt), was für Lernwörterbücher mehr oder minder üblich ist. Die durch diese Struktur erfolgte Ausschließlichkeit der Suche auf der Basis von Pinyin wird dadurch zu kompensieren versucht, dass das Wörterbuch zwei Indizes enthält, die weitere Suchwege zulassen:
  • einen „Index nach Anzahl der Striche von einem bis hin zu fünfzehn Strichen aufsteigend (532ff) und
  • einen „Pinyin-Index "(541ff).
Auch für Benutzer mit grundständigen Chinesischkenntnissen ist es somit möglich, selbständig chinesische Zeichen nachzuschlagen. Wenn dieser Ansatz auch ein sehr löblicher ist, so ist in diesem Kontext dennoch eine erhebliche Chance ungenutzt gelassen worden:
  • Der nach den jeweiligen chinesischen Zeichen geordnete „Index nach Anzahl der Striche“ enthält außer dieser Information lediglich die Zuordnung zu der Pinyin-Umschrift des jeweiligen Wortes. Mit dem Wissen um diese muss der Nutzer den jeweiligen Begriff dann im Hauptteil nachschlagen. Hier wäre es – wenn auch für die Autoren ungleich mühsamer und ebenso erheblich platzgreifender – wünschenswert gewesen, wenn zu jedem der dort in dieser Systematik aufgeführten Lemmata die mit dessen Hilfe verwendeten Komposita und deren Bedeutungen aufgeführt worden wären – wenn also alle 6000 dieses Wörterbuch konstituierenden Einheiten gleichsam auf einen Blick zugänglich wären. Ein solcher komplementärer Ansatz würde es dem Nutzer ermöglichen, die semantische Bandbreite, die die einzelnen Schriftzeichen abdecken, besser einzuschätzen und sich diese somit nachhaltiger einprägen zu können. Auf der Basis dieser Übersichtsinformation könnte der Nutzer dann den Hauptteil konsultieren und die darin befindliche Mikrostruktur zur Kenntnis nehmen. Mit dem gewählten Indexsystem wird ihm diese Möglichkeit jedoch genommen.
    Zudem wäre es wünschenswert gewesen, wenn in dem vorliegenden Index auch die jeweilige Seitenzahl angegeben wäre, auf der das jeweilige Lemma figuriert, oder wenn die einzelnen Lemmata durchnummeriert worden wären und in diesem Index dann die jeweilige laufende Nummer figurieren würde. Diese Informationen hätten es dem Nutzer des Wörterbuches ermöglicht, die gewünschten Informationen auch auf nicht-sprachlichem Wege zu finden, was die Zeit des Nachschlagens deutlich verkürzen würde.
Hinzu kommt in diesem Zusammenhang, dass die Lemmata des Hauptteils zwar alphabetisch nach Pinyin gegliedert sind, diese Pinyin-Umschrift jedoch nicht den Anfang des jeweiligen Eintrags bildet. Dieser wird von dem jeweiligen chinesischen Zeichen repräsentiert. Da das Auge des Nutzers gemeinhin auf den linken Teil der ersten Zeile eines Eintrags fällt und dort das entsprechende chinesische Zeichen figuriert, muss er – wenn er nach Pinyin sucht – immer zunächst einen Schritt nach rechts gehen, um sich zu orientieren. Da die Suche nach Pinyin in der täglichen Nachschlagepraxis erfahrungsgemäß die häufigere ist, hätte man sich als Nutzer die umgekehrte Reihenfolge gewünscht, also zuerst den, dem Ordnungsprinzip folgenden Eintrag des jeweiligen Zeichens in Pinyin und erst danach denjenigen des chinesischen Schriftzeichens selbst. Auch wenn es sich bei dem vorliegenden Wörterbuch nicht primär um ein Nachschlagewörterbuch handelt, wäre ein solcher Lemma-Aufbau für die Nutzer funktionaler gewesen.
  • Auch der Pinyin-Index hätte funktionaler gestaltet werden können, wenn er - zusätzlich zu der grundlegenden Zuordnung Pinyin - Schriftzeichen – zu den einzelnen Schriftzeichen die verschiedenen Komposita und deren Bedeutungen umfassen würde. Eine solche Informationsdarbietung hätte es den Nutzern ermöglicht, die gleichen mnemotechnischen Vorteile, wie sie soeben für "den Index nach Anzahl der Striche" dargestellt worden sind, auch für den Pinyin-Index zu genießen.
Natürlich entstünde durch die hier vorgeschlagene Informationsrepräsentation eine erhebliche Redundanz. Es ist jedoch ein Grundcharakteristikum von Wörterbüchern, dass die in ihnen enthaltenen Informationen zur Redundanz tendieren – man denke beispielsweise an die doppelte Aufführung von Informationen in zweisprachigen Wörterbüchern, in denen viele Informationen sowohl im Teil Fremdsprache - Muttersprache als auch im Teil Muttersprache - Fremdspracheerscheinen. Solchen Redundanzen verdanken Wörterbücher – auch Lernwörterbücher – jedoch einen Großteil ihrer Nutzbarkeit; solche Redundanzen erst lassen sie zu wirklichen Gebrauchswörterbüchern werden, die dem Lerner rasch und zuverlässig weiterhelfen.
Die prinzipielle sprachliche Unidirektionalität des vorliegende Lernwörterbuches wird durch das ganze Werk hindurch beibehalten. Es existiert also kein Register, in dem deutsche Begriffe aufgelistet sind, nach denen gesucht werden kann. Die Suchrichtung ist somit ausschließlich diejenige vom Chinesischen zum Deutschen. Auch hier ist eine Chance ungenutzt gelassen worden, denn die umgekehrt Suchrichtung vom Deutschen zum Chinesischen hätte das vorliegende Wörterbuch in dem von ihm abgedeckten Basisbereich des Chinesischen zu einen unabhängigen Wörterbuch werden lassen. Ohne die Möglichkeit jedoch, Begriffe auch vom Deutschen ausgehend nachzuschlagen, ist der Lerner auf ein weiteres grundständiges Wörterbuch angewiesen, das ihm die Verbindung deutscher Wörter mit den entsprechenden chinesischen Synonymen liefert. Diese Kritik gilt umso mehr auf dem Hintergrund des hohen Anspruchs des vorliegenden Wörterbuches, nicht zuletzt eine Ergänzung zu Lehrwerken darstellen und für die Text- und Übersetzungsarbeit von Nutzen sein zu wollen (s. weiter oben und V)
Grundsätzlich zu loben ist hingegen die Orientierung des Lernwörterbuches nach der Häufigkeit der dargestellten Einträge. Auch wenn dies im Grunde eine Selbstverständlichkeit ist, verdient dieser Gesichtspunkt hier dennoch eine Erwähnung.
Mikrostrukturell sind die einzelnen Lemmata wie folgt aufgebaut2- als Beispiel für den Aufbau der Artikel und die Abfolge der aufgeführten Informationen wählen wir hier das Verbgěi (geben) (135):
  • Haupteintrag: chinesisches Schriftzeichen (ohne deutsche Übersetzung), Pinyin-Umschrift des Zeichens in Klammern, Zuordnung zu der oder den Wortarten: gěi [V/Präp]. Dieser Teil ist weinrot unterlegt und unterstützt so die Orientierung des Nutzers graphisch. Rechts daneben auf dem Seitenrand befindet sich ein DVD-Symbol mit der Nummer der Spur, auf der dieser Eintrag dort in akustischer Form zu finden ist. Danach folgt der erste Eintrag des Lemmas in seiner deutschen Struktur: "j-m etwas geben" (135)
  • Hiernach folgen einer oder mehrere chinesische Beispielsätze zur Veranschaulichung der Verwendung des jeweiligen Lexems in dieser Bedeutung in doppelter Notation (chinesische Schriftzeichen und Pinyin direkt über diesen aufgeführt) mit der deutschen Übersetzung rechts neben dem Beispielsatz.
Beispiele3:
tā gěi le wŏ liăng běn shū
他 给 了 我 两 本 书。
Er hat mir zwei Bücher gegeben. (135)
wŏ gěi nĭ shí kuài qián
我 给 你 十 块 钱
Ich gebe dir zehn Yuan. (135).
zhège xuésheng gěi wŏ de yìnxiàng hěn hăo
 学生 给 我 的 印象 很 好
Dieser Student hat einen guten Eindruck bei mir hinterlassen. (135).
  • Danach folgen die weiteren Bedeutungen des jeweiligen Lexems in analoger Behandlung, jeweils mit Beispielen auf Chinesisch mit deren Übersetzung
Beispiel:
    - (Präp) für j-n, zugunsten einer Person mit den Beispielsätzen:
tā měi tiān gěi wǒ dă diànhuà
他  天  我 打 电话。
Er ruft mich jeden Tag an. (135)
wǒ gěi nĭ măi le yì tiáo yú
我 给 你 买 了 一 条 鱼。
Ich habe dir einen Fisch gekauft. (135)

tā gěi wǒmen jièshào le Zhōngguó de qíngkuàng
他 给 我们 介绍 了 中国 的 情况
Er hat uns etwas über China erzählt4(135)
jīntiān lǎoshī gěi wǒmen kàn diànyĭng le
今天 老师 给 我们 看 电影 了。
Heute hat der Lehrer uns einen Film gezeigt. (135)
    - (im Passiv) von j-m mit den Beispielsätzen:
    gěi rén dă le
    给 人 打 了
    verprügelt worden sein

      shǒujī gěi háizi nònghuài le
      手机 给 孩子 弄坏 了
      Das Handy wurde von dem Kind kaputt gemacht.
      qián gěi tā huā guāng le
      钱 给 他 花 光 
      Das Geld wurde von ihm komplett verbraucht. (135
(Für diese Verwendung werden die Synonyme jiào, ràng und bèi angegeben). (135)
  • Lassen mit den Beispielsätzen:
gěi wǒ kànkàn
给 我 看看
Lass mich einmal sehen!

gěi wǒ chángchang
给 我 尝尝
Lass mich einmal kosten. (135)
Diese Darstellung der verschiedenen Bedeutungen eines gegebenen Lexems erweist sich bei näherer Betrachtung als funktional, jedoch nicht sehr gut lesbar. Durch die im Vergleich zum deutschen Text sehr großen chinesischen Schriftzeichen ist das Layout zudem gewöhnungsbedürftig. Es könnte dadurch verbessert werden, dass die Beispiele nicht – wie geschehen – in Form eines in Wörterbüchern üblichen Fließtextes präsentiert würden, sondern in Form einer tabellarischen Übersicht (die wir hier mit Vorschlagscharakter absichtlich gewählt haben). Auf diese Weise würde die Rezeptionsgeschwindigkeit der Nutzer zweifelsohne gesteigert. Der erhöhte Platzbedarf, der durch eine solche Repräsentation entstünde, könnte dabei durch eine jeweils kleinere Schrifttype weitgehend ausgeglichen werden. Auch in dem weiter unten folgenden Beispiel haben wir diese Realisierung entsprechend umgesetzt.
Für Chinesisch-Novizen, die die in den Beispielsätzen vorkommenden Vokabeln noch nicht zu erkennen imstande sind, ergibt sich bei dieser Darstellung jedoch ein grundlegendes Problem: Die Struktur des chinesischen Beispielsatzes wird nicht nachgezeichnet; der Lerner weiß nicht, wie der jeweilige Satz aufgebaut ist, und kann daher aus den Beispielen kaum Nutzen ziehen. Würde der Satz nachgezeichnet, wie es in Lehrwerken mit sehr praktischem Anspruch bisweilen der Fall ist, so wäre der Verwendungswert dieses Lernwörterbuches für den Benutzer ungleich höher. Man könnte sich dabei – unter Verwendung der obigen Beispiele - eine Darstellung die die folgende vorstellen:
gěi
le
liăng
běn
shū.
Er / Sie
geben
(Vergangenheit)
ich
zwei
Stück
Buch
Er hat mir zwei Bücher gegeben.

oder:

Zhège
xuésheng
gěi
de
yìnxiàng
hěn
hăo.
这个
学生
印象
Dieser
Student
geben
ich mich
(Adjekti-
vierungspartikel)
Eindruck
sehr
gut.
Dieser Student hat einen guten Eindruck bei mir hinterlassen.
Bei einer solchen Darstellung ist es möglich, die Satzstruktur auf den ersten Blick zu verstehen und die gegebenenfalls neuen Vokabeln – wie hier yìnxiàng (Eindruck) - gleichsam en passantmitzulernen. Obwohl durch eine solche Maßnahme natürlich der Umfang des Wörterbuches ungleich größer würde, repräsentiert diese durch die damit verbundene, erhebliche Steigerung von dessen Nutzbarkeit und die erhebliche Erhöhung seines fremdsprachendidaktischen Wertes eine durchaus in Betracht zu ziehende Option.
Die zu den einzelnen Einträgen gewählten Beispiele sind in ihrer Mehrheit vergleichsweise nutzungsrelevant, d.h. sie können in fremdsprachlichen Situationen, die in den Zielländern auftretenden können, also mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verwendet werden. Beispiele hierfür sind:
nĭ jiào shénme míngzi
你 叫 什么 名字 ?
Wie heißt du? (288)

wŏ māma shì lăoshī
我 妈妈 是 老师
Meine Mutter ist Lehrerin. (276)

nà jiā cānguăn de fúwù hěn hăo.
那家 餐馆 的 服务 很 好
Der Service in diesem Restaurant ist sehr gut. (121)

qĭng shāoděng tā măshàng jiù lái
请 稍等 他 马上 就 来
Bitte warte einen Augenblick, er kommt sofort. (224)

zhù nín xīn de yì nián jíxiáng-rúyì
 您 新 的 一 年 吉祥 如意.
Zum neuen Jahr wünsche ich dir viel Glück und dass deine Wünsche in Erfüllung gehen. (187)
Die angeführten Beispiele beschränken sich dabei nicht auf die Gemeinsprache, sondern lassen sich in zahlreichen Fällen einzelnen Fachsprachen zuordnen:
shèngyú de zījīn kějĭ yònglái gòumăi xīn shèbèi
剩余 的 资金 可以 用来 购买 新 设备
Die überschüssigen Geldmittel können zur Anschaffung neuer Einrichtungen verwendet werden. (360)

zhèngfǔ gōngbù le yí xiàng xīn de fălìng.
政府 公布 了 一 项 新 的 法令
Die Regierung hat einen neuen Erlass bekannt gegeben. (140).
Fachsprachliche Elemente finden sich jedoch noch häufiger auf der terminologischen als auf der Satzebene:
shēnqĭngbiăo
Bewerbungsformular (22)
金融市场
jĭnróng shìchăng
Finanzmarkt (214)
商品
shāngpĭng
Ware, Handelsgüter (311)
输血
shūxuè
Bluttransfusion (375)
und ebenso auf derjenigen der Syntagmen und Redewendungen:
进货
jìnhuò
eine Warenlieferung bekommen (215)
升级
shēngjí
im Rang befördert werden (356)
Somit werden die höheren Stufen der Spracherlernung des Chinesischen - namentlich die vom Wörterbuch anvisierten Stufen 4 und 5 des HSK - mehr oder minder adäquat abgedeckt.
Das vorliegende Lernwörterbuch ist zudem recht reich an Kollokationen, die für die Erlernung jeglicher Fremdsprache eine große Hilfe darstellen:
生孩子
shēng háizi
ein Kind zur Welt bringen (357)
生效
shēngxiào
in Kraft treten (357)
Andere Beispiele sind dagegen situational in ihrem Gebrauchswert beschränkt, wie z.B.:
bù piàoliang jiù bú piàoliang ba zhĭyào néng chuān jiù xíng
不 漂亮 就 不 漂亮 只要 能 穿 就 行
Ob es schön aussieht oder nicht, ist egal, wichtig ist nur, dass du es tragen kannst. (224)

lùbiān zhòng le liăng pái shù
路边 种 了 两 排 树
An der Straßenseite sind zwei Baureihen gepflanzt. (305)

tā de jiāxiāng shān liánzhe shān
他 的 家乡 山 连着 山
In ihrer Heimat fügt sich Berg an Berg. (262)
Andere als Beispiele angeführte Sätze wird man im Kulturkreis der Zielsprache wohl eher nicht oder kaum äußern, wie beispielsweise:
wū lĭ jìngqiāoqiāo de yìdiănr dòngjìng yě méi yǒu
屋里 静悄悄 的 一点儿 动静 也 没 有
Im Zimmer war es ganz still, nichts rührte sich. (97)

zhè zhǒng shípĭn hán gài de chéngfèn bĭjiào duō
这 种 食品 含 钙 的 成分 比较 多
Dieses Nahrungsmittel enthält relativ viele kalziumhaltige Bestandteile. (46).

zuòjiā yào xuéhuì guānchá shēnghuó
作家 要 学会 观察 生活
Ein Schriftsteller muss lernen, das Leben zu beobachten. (148).
Einige deutsche Übersetzungen der Beispiele sind weniger idiomatisch, als man sich dies wünschen mag; deren Anzahl hält sich jedoch in Grenzen, und sie sind in vergleichbaren Publikationen zum Sprachenpaar Chinesisch-Deutsch ungleich häufiger anzutreffen:
jiēdào lùqǔ tōngzhīshū shí tā xīnzhōng chōngmăn le xĭyuè
接到 录取 通知书 时他 心中 充满 了 喜悦 
Als sie die Aufnahmebestätigung erhielt5 war sie von Freude erfüllt. (428)

nĭ rúguǒ bù jiānchí xuéxí de huà kǒuyǔ huì tuìbù de hěnkuài de
你 如果 不 坚持 学习 的 话 口语 会 退步 得 很快 的
Wenn du nicht konstant lernst, wirst du in der mündlichen Sprache schnell Rückschritte machen. (408)

luàn chī dōngxi duì wèi bù hăo .
乱 吃 东西 对 胃 不 好
Willkürlich zu essen6 ist nicht gut für den Magen. (273)
Mit Blick auf die Informationsdarbietung insgesamt kann festgehalten werden, dass diese in sprachsystematischer Form erfolgt, jedoch nicht – wie in Lernwörterbüchern für westliche Sprachen üblich – in thematischer Anordnung. Diese thematische Anordnung ist im Rahmen der Lexikographie für Lernwörterbücher heutzutage die übliche; jegliche sprachorientierte Darstellung - wie die alphabetische - ist zu Recht kritikabel. Im vorliegenden Falle des Bezugs auf eine typologisch von den westlichen Sprachen sehr weit entfernte Fremdsprache kann die gewählte sprachsystematische Anordnung der Einträge jedoch nicht nur gerechtfertigt, sondern vielmehr lobend hervorgehoben werden: Gerade diese Darstellung erlaubt es, lerntheoretisch wertvolle Assoziationsmöglichkeiten für die Nutzer zu schaffen, die durch eine thematische Anordnung nicht in gleicher Weise gewährleistet würden. Dieser Gesichtspunkt soll im Folgenden an dem Beispielshū (Buch) veranschaulicht werden. Dabei wollen wir uns der Übersichtlichkeit halber auf die Ebene der einzelnen Substantiveinträge beschränken und diejenige der Beispiele außer Acht lassen. An mikrostrukturellen Einträgen, die vom Lemma shū (374f) abhängig aufgeführt werden, ergeben sich7 dabei:
shūdiàn
Buchhandlung
说明
shuōmíngshū
Anleitung
zhèngshū
Zertifikat
shūxìn
Brief
shūbāo
Schultasche
shūběn
Buch
shū
Kalligraphie
shūjì 
Sekretär
shūjià
Bücherregal
Eine solche Übersicht über die verschiedenen, auf der Basis von shū gebildeten Komposita ermöglicht es dem Lerner, nicht nur dessen semantische Bandbreite zu erkennen, sondern die einzelnen Lexeme ungleich leichter zu erlernen, als wenn diese in anderer – beispielsweise thematischer – Form aufgelistet würden.
Von erheblichem Vorteil wäre es dabei gewesen, die aufgeführten Lemmata in einen Grund- und einen Aufbauwortschatz zu untergliedern. Eine solche Untergliederung würde es sowohl Chinesisch-Novizen als auch fortgeschrittenen Lernern ermöglichen, die für sie bestmögliche Lernstrategie zu entwickeln. Eine solche Untergliederung könnte dabei in doppelter Weise vorgenommen werden:
  • auf der Ebene der Lemmata und
  • auf der Ebene der Mikrostruktur, namentlich derjenigen der als Subeinträge aufgeführten Lexeme.
Zur Gewährleistung der Übersichtlichkeit einer solchen vierfachen Differenzierung könnten die entsprechenden Bereiche farblich unterschieden werden. Auch dadurch könnte die Nutzbarkeit des vorliegenden Wörterbuches gesteigert werden.
Diese Nutzbarkeit wird andererseits jedoch gefördert durch das Vorhandensein einer mp3-DVD, auf der mit einer Länge von etwa 17 Stunden 235 mp3-Files hörtechnisch abgebildet werden (V). Die Verfügbarmachung eines solchen Mediums stellt für das Lernwörterbuch Chinesisch einen erheblichen Vorteil dar.
Insgesamt weist das Lernwörterbuch Chinesisch zahlreiche Vorzüge auf und stellt eine mögliche Quelle der Erlernung dieser für westlicher Lerner nicht gerade leicht zugänglichen Sprache dar. Dennoch muss hier konstatiert werden, dass das vorliegende Wörterbuch sich eher für fortgeschrittene Lerner - nicht zuletzt zur Vorbereitung auf den HSK-Test - als für Anfänger des Chinesischen eignet: Ohne gewisse Grundlagen des Chinesischen ist das Wörterbuch – trotz der durchgängigen Verwendung von Pinyin und der lernerfreundlichen alphabetischen Ordnung auf Pinyin-Basis – kaum verwendbar. Für eine bessere Einbeziehung von Chinesisch-Novizen wären mindestens die Verbesserungen notwendig, die in der vorliegenden Rezension vorgeschlagen werden. Würden diese in weiteren Auflagen des Wörterbuches berücksichtigt, so könnte sich aus diesem Wörterbuch eine wertvolle Lernquelle zum Chinesischen entwickeln. Da diese hier vorgeschlagenen Modifikationen von ihrer Umsetzung her mit mehr oder minder begrenztem Aufwand möglich sind, sei hiermit an Autorin und Verlag appelliert, diese kurzfristig in Angriff zu nehmen, um somit den Lernern des Chinesischen eine wertvolle Hilfestellung zu leisten.

Rezensent:
Prof. Dr. Thomas Tinnefeld
W3-Professur für Angewandte Sprachen
Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes
Waldhausweg 14
66123 Saarbrücken
Deutschland
E-Mail: thomas.tinnefeld@htw-saarland.de
______________________________________
1 Der HSK stellt das chinesische Pendant zum englischen TOEFL dar.
2 An dieser Stelle, an der ein gesamter Eintrag des vorliegenden Wörterbuches skizziert wird, ist es unsere Absicht, diesen in seiner Systematik deutlich werden zu lassen, hingegen nicht diejenige, den Eintrag vollständig und in seinem Original-Layout wiederzugeben.
3 Der Übersichtlichkeit halber führen wir die Beispielsätze hier nicht in der im vorliegenden Wörterbuch gewählten Notation auf, sondern in deren Anordnung untereinander, die wir - wie noch ausgeführt werden wird - zudem als die für das vorliegende Wörterbuch geeigneteren Darbietungsform erachten.
4 Hierbei handelt es sich um eine recht freie Übersetzung des chinesischen Ausgangssatzes.
5 An dieser Stelle fehlt im Original das eigentlich notwendige Komma.
6 An dieser Stelle fehlt im Original das eigentlich notwendige Komma
7 In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass die in dieser Tabelle aufgelisteten Begriffe zum Teil einerseits den Status von Sub-Einträgen haben andererseits lediglich im Beispielteil aufgeführt sind. Hier wäre mehr Einheitlichkeit wünschenswert.