Journal of Linguistics and Language Teaching
Volume 3 (2012) Issue 2
Die Bedeutung von Formeln und Routinen
für den Erwerb des Deutschen
als Zweit- und Fremdsprache
Frank Kostrzewa (Karlsruhe, Germany)
Abstract (English)
Formulaic expressions and routines play an important role in the acquisition of German as the second or a foreign language. As unanalyzed complex structures, they lead to a higher degree of security in language production on the learner’s part and to a faster access to linguistic structures. It seems that the language acquisition process cannot only be regarded as a process of increasing complexity, but rather as one which also entails complex structures as a starting point that get gradually segmented and analyzed. In language acquisition, processes of construction and deconstruction seem to coexist with each of them playing a major role in the acquisition process. Whereas processes of this type have occasionally undergone investigation in the area of spoken language, there is only little documentation of the importance of formulaic expressions and routines for the acquisition of written language.
Key words: formulaic expressions, routines, German as a foreign language, German as second language, language acquisition process, spoken language, written language
Abstract (Deutsch)
Formeln und Routinen spielen eine wesentliche Rolle beim Erwerb des Deutschen als Zweit- oder Fremdsprache. Als zunächst noch unanalysierte komplexe Einheiten verschaffen sie Lernern ein höheres Maß an Sprachsicherheit und einen schnelleren Zugang zu sprachlichen Strukturen. Es hat den Anschein, dass der Spracherwerbsprozess nicht ausschließlich als ein Prozess der zunehmenden Komplexität zu verstehen ist, sondern zugleich auch als ein Prozess verstanden werden kann, an dessen Anfang komplexe Strukturen stehen, die allmählich segmentiert und analysiert werden und damit gewissermaßen als Prozess der Dekonstruktion von Komplexität zum Spracherwerb beitragen. Während Vorgänge dieses Typs für den Bereich der Mündlichkeit vielfach untersucht worden sind, liegen nur wenige Arbeiten vor, die auch auf die Bedeutung der Formelhaftigkeit für den Erwerb der Schriftlichkeit fokussieren.
Stichwörter: Formeln, Routinen, Deutsch als Fremdsprache, Deutsch als Zweitsprache, Sprachwerwerbsprozess, Mündlichkeit, Schriftlichkeit
1 Einleitung
Es wird heute im Allgemeinen davon ausgegangen, dass sich der Erwerb kleinerer sprachlicher Einheiten im Kontext größerer Einheiten vollzieht und dass sich Sprachenlernen im Wesentlichen als Sequenzlernen manifestiert (Rohmann 2005, Handwerker & Madlener 2009). So würden Lautsequenzen in Wörtern und Wortsequenzen in Phrasen und Sätzen erworben und grammatisches Wissen entwickele sich auf der Basis der Analyse memorierter Sequenzinformationen.
Der traditionellen Auffassung des L1-Erwerbs als einem Prozess der ausschließlich zunehmenden Komplexität mit einem allmählich einsetzenden Erwerb grammatischer Regeln wird heutzutage ein hierzu parallel ablaufender Erwerbsprozess gegenübergestellt, der in der allmählichen Auflösung bereits bestehender Komplexität und der zunehmenden Analyse zuvor unanalysierter Einheiten besteht (Edmondsons (1995) Routinen-führen-zur-Grammatik-Hypothese).
Peters (1983: 15) führt hierzu aus:
It seems that in the initial stages of first language acquisition and natural second language acquisition we acquire unanalysed chunks, but that these gradually get broken down into smaller components. (Peters 1983: 15)
Auch in der Interlanguage von L2-Lernern kommen Formeln und Routinen als Strukturen und Sätze vor, die Lerner ganzheitlich aus der Zielsprache übernehmen, ganzheitlich memorieren und invariant verwenden. Die Regeln der Zielsprache entwickeln sich dabei aus der Analyse der memorierten Einheiten.
Peters (1983: 57) nimmt an, dass es in der Sprache von Erst- und Zweitsprachenlernern vermutlich eine hohe Dunkelziffer unanalysierter formelhafter Einheiten gibt. So habe ihr drei Jahre und zwei Monate alter Sohn die ihm aus dem Englischen bekannte Fügung bow’n’arrow im Deutschen als Kompositum (Pfeilbogen) verwendet. Dabei wurde dieser Ausdruck, wie eine genauere Analyse ergab, sowohl zur Bezeichnung des Pfeils als auch des Bogens eingesetzt. Dieses ephemere Phänomen verschwand jedoch nach kurzer Zeit aus der Lernersprache und war hernach in dieser Form nicht mehr elizitierbar.
Formelhaften Elementen wird im Rahmen des L2-Erwerbs eine Reihe von Funktionen attribuiert, die unter anderem in einer größeren Sprachflüssigkeit und kognitiven Entlastung der Lernenden in der Sprachproduktion bestehen (Schmidt 1992). Nach Dechert (1983) steigt durch das Verfügen über formelhafte Elemente auch die Sprachsicherheit der Lernenden (islands of reliability).
Im Rahmen des vorliegenden Beitrags soll zunächst - auf der Basis fremder (Hakuta 1974, Müller 1991, Knapp 1992, Haberzettl 2005) als auch eigener Korpusdaten (Kostrzewa & Cheon-Kostrzewa 1997, Kostrzewa 2009) - die Bedeutung von Formeln für den L2-Erwerb im Bereich der Mündlichkeit herausgearbeitet werden. Dabei wird hinsichtlich des Erwerbs von Formeln zwischen Selbst- und Fremdkopien zu differenzieren sein.
Da Formeln jedoch nicht nur für die Entwicklung im Bereich der Mündlichkeit, sondern auch für die Entfaltung der schriftsprachlichen Erzählfähigkeit eine entscheidende Rolle spielen (Olhus 2005, Ballis 2008), soll auf der Folie der Mündlichkeit der Frage nachgegangen werden, welche Rolle feste Wortverbindungen und Phraseologismen für die Bewältigung narrativer Aufgaben spielen.
Zur Verfolgung dieser Fragestellung sollen daher formelhafte Sequenzen in den Texten erwachsener L2-Lerner des Deutschen (Erasmus-Studierende am Karlsruher Institut für Technologie und Studierende der Seouler Fremdsprachenuniversität) beschrieben und funktional analysiert werden. Dabei wird auch die Frage zu diskutieren sein, ob formelhafte Elemente in der Schriftlichkeit eine vornehmlich produktive Funktion besitzen oder aber auch der Rezipientenorientierung dienen (Wray 2002).
Eine weitere Fragestellung - die im Rahmen des vorliegenden Beitrags jedoch nicht erschöpfend verfolgt werden kann - betrifft die kognitionspsychologischen Implikationen der Verwendung von Formeln durch L1- und L2-Lerner. So muss der Frage nachgegangen werden, ob die Enkodierung und Verwendung von Formeln unter gedächtnispsychologischen Aspekten zu Lernvorteilen beim Spracherwerb führen kann. Pawley/ & Syder (1983) gehen davon aus, dass Formeln vermutlich sowohl ganzheitlich als auch in ihren Einzelelementen gespeichert werden, so dass in der kognitiven Repräsentation von Formeln und Routinen eine duale Kodierung sprachlichen Wissens bestehen könnte. Eine solche Form der Speicherung könnte eine enge Verknüpfung von Wortmarken und Konzepten und deren langfristige Verfügbarkeit ermöglichen. Die Repräsentation von Formeln scheint dabei die Ausprägung eines spezifischen Gedächtnistyps zu fördern, der heutzutage als Pattern-Gedächtnis bezeichnet wird.
2 Formelhaftigkeit in mündlicher Sprachverwendung
2.1 Muttersprache
Die Formelhaftigkeit der Sprache ist ein Phänomen, das nicht nur das interimsprachliche System der Lernersprache betrifft, sondern allen modernen Sprachen inhärent zu sein scheint (Mejri 2007: 685). So weisen Wray & Perkins (2000) darauf hin, dass 70% der Sprachproduktionen erwachsener muttersprachlicher Sprecher als ‚formulaic’ gelten können. Nach Erman & Warren (2000) können 52% der schriftlichen und 58% der mündlichen Sprachproduktionen als vorgeformt klassifiziert werden. Coulmas (1986) differenziert die Formeln und Routinen hinsichtlich ihres Grades an Idiomatizität und Transparenz und der Möglichkeit ihrer regulären kompositionellen Bildbarkeit. So sei der Ausdruck einen Streit vom Zaun brechen unter synchronischer Perspektive nicht oder nur bedingt transparent und besäße daher einen hohen Grad an Idiomatizität, während die Kollokation sich die Zähne putzen regulär kompositionell gebildet werde (Frege-Prinzip, Kompositionalitätsprinzip) und daher einen hohen Grad an Transparenz bei einem gleichzeitig geringen Grad an Idiomatizität aufweise.
Kollokationen (purer Zufall) gelten insgesamt als eine durch Adjektiv-Nomen oder Nomen-Verb-Solidaritäten gekennzeichnete Gruppe, die als schwach idiomatisch bezeichnet werden kann. Zu den weiteren formelhaften Ausdrücken rechnet Coulmas (1986) feste Phrasen bzw. propositionale Phraseologismen (das schlägt dem Fass den Boden aus! Das ist ja die Höhe!), Sprichwörter bzw. topische Formeln (Morgenstund hat Gold im Mund) sowie Gemeinplätze bzw. Evidenzaussagen (Was man hat, das hat man. Was sein muss, muss sein). Einen besonderen Typus eines formelhaften Ausdrucks stellen komparative Phraseologismen dar (frieren wie ein Schneider, flink wie ein Wiesel), die durch eine Relationierung eines primum comparandum und eines secundum comparatum über ein tertium comparationis charakterisiert sind. Kinegramme (die Achseln zucken, über etwas die Nase rümpfen) dienen schließlich der sprachlichen Kodierung ansonsten nonverbalen Verhaltens.
Burger (2010) sieht aktuelle Entwicklungstendenzen in der Gruppe der geflügelten Worte (Sein oder Nichtsein, das ist hier die Frage), die momentan eine Modernisierung dergestalt erfahre, dass außer auf klassische Quellen (Bildungszitate) auch auf prosaische Quellen (Buch- und Filmtitel, Werbeslogans) zurückgegriffen werde. In den Medien würden geflügelte Worte oftmals eine Abwandlung oder Verfremdung erfahren. Solche okkasionellen Veränderungen von Phraseologismen dienten in erster Linie der Herstellung einer textuellen Kreativität. Von einer Phraseologisierung geflügelter Worte könne dabei insbesondere dann die Rede sein, wenn in ihrer Verwendung die Reminiszenz auf ihre Quelle verloren ginge.
Burger (2010) ergänzt die von Coulmas aufgeführten formelhaften Ausdrücke zudem um die Bereiche der Klischees (ein Schritt in die richtige Richtung) sowie der klischierten Komposita (Rentnerschwemme, Wendehals).
Roos (2001) betrachtet Formeln nicht primär als feste Wortgruppen, die eine „lexem- oder satzäquivalente Bedeutung haben“ (Roos 2001: 70), sondern betont ihren Signalcharakter in spezifischen pragmatischen Situationen. Dabei differenziert er zwischen sozialen, diskursstrukturierenden und expressiven Formeln. Bei den sozialen Formeln handelt es sich nach Roos (2001: 71) um Formeln, die dem Aufnehmen, Aufrechterhalten und Beenden sozialer Kontakte dienen. Formeln dieses Typus regeln nach Roos (2001) das „Miteinander in häufig wiederkehrenden Situationen“, wobei die angemessene Beherrschung und Verwendung dieser Formeln einen wesentlichen Teil der sozialen Kompetenz eines Sprechers ausmache. Als Untergruppen der sozialen Formeln können nach Roos (2001: 71, 72) insbesondere die Dankesformeln (Vielen Dank. Thanks a lot), die Grußformeln (Hi, how are you?), die Abschiedsformeln (So long. I’ll be seeing you), die Entschuldigungsformeln (Tut mir schrecklich leid. I’m so sorry) und die Glückwunschformeln (Alles Gute. Many happy returns of the day) gelten. Gelegentlich können diese Formeln als Einwortformeln auftreten. Evidenzen eines Auftretens in Paarformeln (adjacency pairs) oder Sequenzen finden sich jedoch deutlich häufiger. Burger (2007: 72) betont, dass die Antwortformel manchmal „aus einem Set ausgewählt“ werden kann. So kann es sich bei der Antwortformel unter anderem um eine Wiederholung der ersten Formel (Guten Tag - Guten Tag. How do you do? - How do you do?), um eine Variante der ersten Formel (Mach’s gut! - Mach’s besser! I’ll see you. - See you later.) oder aber um eine Komplementärformel (Vielen Dank! - Keine Ursache. Thank you. - Don’t mention i.t) handeln. Antwortformeln können nach Burger (2007: 72) obligatorisch oder fakultativ sein. Während zum Beispiel im Deutschen und Französischen eine Antwort auf eine Dankesformel zwingend erforderlich sei und damit Kommunikationszwang bestehe, könne die Antwortformel im Englischen weggelassen werden, ohne das Gebot der Höflichkeit zu missachten.
Diskurssteuernde Formeln dienen nach Roos (2001: 73) vor allem der Einleitung (Eröffnungsformeln), Aufrechterhaltung und Beendigung eines Gesprächs (Abschlussformeln). Eröffnungsformeln besitzen nach Roos (2001: 73) darüber hinaus auch die diskursive Funktion der Markierung der Übernahme der Sprecherrolle (Weißt du was? Tu sais?). Abschlussformeln signalisierten die Bereitschaft eines Interaktanten zur Abgabe der Gesprächsführung. Zu den weiteren diskurssteuernden Formeln rechnet Roos (2001) die Abschwächungsformeln (at any rate; de toute façon), deren Funktion im Wesentlichen darin besteht, durch die Abschwächung einer Aussage, die Möglichkeit der Akzeptanz derselben durch die weiteren Interaktanten zu erhöhen und die Betonungsformeln (Die Sache ist die), die eine evaluative Kraft besäßen und den vom Sprecher gewählten Kommunikationsfokus anzeigten. Metakommunikative Formeln (Verstehen Sie mich rech?, Do you see what I mean?) dienten schließlich vornehmlich der Verständnissicherung.
Expressive Formeln haben nach Roos (2001: 75) die primäre Funktion, positive als auch negative Emotionen zum Ausdruck zu bringen. Roos (2001: 75) zählt zu den pragmatischen Idiomen mit expressiver Funktion insbesondere Interjektionen des Typs du liebe Zeit, dear me, goodness gracious oder mon dieu. Roos (2001: 75) betont, dass durch dieselben expressiven Formeln sowohl freudige Überraschung (Du meine Güte, ist das schön, dich nach so langer Zeit wieder zu sehen!) als auch Verärgerung (Du meine Güte, warum hast du denn der Polizei nicht gesagt, was passiert ist?) markiert werden kann.
Insgesamt ist, unter Berücksichtigung der vielfältigen Präformiertheit der Sprache, Pinkers (1994) Einschätzung eines vollkommen freien und kreativen Generierens von Sprache in Frage zu stellen. Vielmehr muss Formelhaftigkeit als ein Wesenselement von Sprache schlechthin verstanden werden (Heinemann 1994: 38).
Ungeklärt ist in der linguistischen Diskussion nach wie vor die Frage nach dem minimalen beziehungsweise maximalen Umfang formelhafter Einheiten. Während Burger (2010: 15) den Satz als obere Grenze phraseologischer Verbindungen definiert, geht Feilke (2004) von der Existenz verfestigter sprachlicher Strukturen oberhalb der Satzgrenze aus. Schmale (2011) schlägt in der Bestimmung formelhafter Einheiten vor, das Kriterium der Polylexikalität durch das Kriterium der Polyfaktorialität zu ersetzen, da ansonsten Einwort-Routineformeln wie hallo oder tschüss aufgrund ihrer Monolexikalität aus der Gruppe der Formeln auszuschließen wären. Faktoren, die in ihrer Summe eine Polyfaktorialität konstituieren können, können nach Schmale (2011) verbaler, nonverbaler, situativer, kontextueller, sozialer, sequentieller oder textueller Natur sein. Schmale (2011: 181) erläutert die Polyfaktorialität der Routineformel tschüss dahingehend, dass in ihrer Verwendung drei Faktoren zusammenwirkten. So bestehe der erste Faktor in dem Lexem tschüss, der zweite in der pragmatischen Funktion des Abschiednehmens und der dritte in der Markierung der sozialen Beziehung zwischen den Aktanten, die als informell markiert werde.
Schmale (2011: 186) schlägt vor, definitorisch und klassifikatorisch auch solche präformierten Konstruktionseinheiten zu den Formeln hinzuzurechnen, die nicht den strengen Quantitäts- und Durabilitätskriterien formelhafter Einheiten entsprechen. Nur auf diese Weise könnten auch ephemäre Erscheinungen formelhafter Elemente (z.B. in der Jugendsprache) hinreichend Berücksichtigung finden.
2.2 Lernersprache
Die Verwendung von Formeln spielt sowohl für den L1- als auch für den L2-Erwerb eine entscheidende Rolle. So konnte Clark (1977) bereits nachweisen, dass Kinder in der Anfangsphase des Erstspracherwerbs unanalysierte Einheiten verwenden, die ihre sonstigen kreativen Sprachfähigkeiten bei weitem übertreffen. Edmondson betont (1995: 57), dass sich die Grammatik im Erstspracherwerb „aus internen Repräsentationen holistisch wahrgenommener Redewendungen“ ergebe und die Sprache von Kindern erst allmählich durch die Analyse der internen Struktur von Sprachsequenzen kreativ werde. Auch Aguado (2002) sieht in den zunächst unanalysierbaren Formeln die Basis kreativer Konstruktionen. L1-Lerner scheinen zunächst eine Sammlung formelhafter Ausdrücke anzulegen (Wray & Perkins 2000), wobei erst bei Erreichen einer kritischen Menge solcher Sequenzen ein Sprachmechanismus aktiviert werde, der die analytischen und kreativen Sprachfähigkeiten des Kindes entfalte.
Aguado (2002: 27) stellt fest, dass Formeln, trotz ihrer Bedeutung für einen idiomatischen und flüssigen Sprachgebrauch, hinsichtlich ihrer Funktionen für den L2-Erwerb nur in wenigen Forschungsarbeiten Gegenstand empirischer Forschung waren. Dies liege offenbar an dem hohen Komplexitätsgrad formelhafter Sprache im Besonderen und des Spracherwerbs im Allgemeinen. In der Erwerbsforschung (Schmidt 1992) besteht jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass die Automatisierung formelhafter Elemente zu einem flüssigen und korrekten Sprachgebrauch und zu einer kognitiven Entlastung des Lerners beitragen kann. Die auf diese Weise frei werdende kognitive Kapazität könne der Lerner nutzen, um lernersprachliche Hypothesen zu generieren und diese in der Interaktion zu testen. Aguado (2002) sieht im Formelerwerb einen Schlüssel zur sozialen und kulturellen Partizipation der Lerner an der Zielsprachengesellschaft. Die Kenntnis und angemessene Verwendung formelhafter Elemente sei unentbehrlich für die Akzeptanz eines Sprechers durch die Zielsprachengemeinschaft (Aguado 2002: 43).
Hakuta (1974) weist bezüglich des empirischen Herangehens an den Forschungsgegenstand der Formelhaftigkeit in der Lernersprache auf das Problem des Ausfindigmachens von Formeln im Datenmaterial hin. Die Identifikation von Formeln und Mustern in der Lernersprache sei komplex, da die Daten nicht einheitlich seien und letztlich vermutlich viele Formeln der Beobachtung des Forschers entgingen. Hakuta (1974) schlägt vor, Formeln und Muster in der Lernersprache nach dem Merkmal der Kontextinkongruenz zu identifizieren. Formeln und Muster seien dann diejenigen Elemente in der Lernersprache, die in ihrer Komplexität von dem ansonsten vorherrschenden Komplexitätsgrad abwichen.
Reuter (1985) schlägt vor, Formeln und Muster in der Lernersprache durch die Bestimmung der type-token-Anzahl und deren Relationierung zu identifizieren. Mithilfe dieses Instrumentariums konnte Reuter (1985) in seinen Untersuchungen feststellen, dass 10% aller types 50% aller tokens ausmachen und sich die types zudem zu immer wiederkehrenden Ketten verbinden. Diese Ketten könnten mit den festen Bestandteilen eines Musters korrespondieren.
Stein (1995) kritisiert die Dominanz von Produktanalysen in der Erforschung formelhafter Elemente in der Lernersprache. Analyseverfahren, die ausschließlich auf schriftlichen Textprodukten der Lerner basierten, erlaubten keinen Einblick in die Textgenese. Formeln und Routinen, die Lerner im Zuge eines Formulierungsprozesses in Erwägung ziehen würden, müssten sich nicht zwangsläufig im schriftlichen Text niederschlagen und würden sich so der Identifikation durch den Forscher entziehen. Als Alternative zu einer Produktanalyse schlägt Stein (1995) eine Verlaufsanalyse vor, die es erlaube, den gesamten Formulierungsprozess bis hin zur Niederschrift eines Textes nachzuvollziehen. Insbesondere die nicht beobachtbaren Teile eines Problemlösungsprozesses seien oftmals die für eine Analyse der kognitiven Prozesse bei der Entstehung eines Textes besonders interessanten und relevanten Bereiche. Gleichwohl sieht Stein (1995) ein methodologisches Problem der Verlaufsanalyse darin, dass verlaufsbezogene Daten zum einen nur schwer zugänglich sind und dass das laute Denken des Lerners oder das Anfertigen eines Gedankenprotokolls durch den Wissenschaftler zu einer Verzerrung der Daten führen könne.
Hakuta (1974) untersuchte in einer longitudinalen Studie den L2-Erwerb des Englischen durch ein fünfjähriges japanisches Mädchen und stellte dabei eine häufige Verwendung der formelhaften Struktur what do you fest:
What do you doing, this boy?
What do you do it, this froggie?
What do you doing?
Hakuta (1974: 288) bezeichnet die formelhaften Strukturen in der Lernersprache als prefabricated patterns. Diese würden vom Lerner häufig ohne Kenntnis der zugrundeliegenden grammatischen Struktur, aber in Kenntnis der Situation, die eine solche Struktur erforderlich macht, verwendet. Hakuta (1974: 290) unterscheidet bezüglich der formelhaften Strukturen zwischen den festen und invariablen Routineformeln (routines) und den Satzmustern (prefabricated patterns), die einen festen, nicht veränderbaren und einen variablen Bestandteil besitzen. Satzmuster (patterns) werden nach Hakuta (1974: 292) im Allgemeinen semantisch und syntaktisch korrekt gebildet und können ihrerseits in ein weiteres Satzmuster integriert sein. Im weiteren Verlauf des Spracherwerbs und der zunehmenden Analyse der Satzstrukturen komme es zu einer allmählichen Auflösung der Muster.
Müller (1991) stellte in der Untersuchung der Lernersprache des Probanden Gaetano fest, dass dieser, entgegen seinem sonstigen Sprachgebrauch, in bestimmten Situationen auf hochsprachliche und korrekte Strukturen zurückgreift:
Bettina: War das mit Musik, das Stück, oder wie?
Maria: e e (= verneint) die hann (= haben) nur geschwätzt!
Bettina: hann nur geschwätzt, ha ha ha (lacht freundlich amüsiert)
Heidi: un was hann se geschwätzt?
Maria: hm, do kann ich mich nimme (= nicht mehr) erinnere!
Gaetano: der erschte Satz war bestimmt: Guten Morgen ihr lieben Kinder!
Maria: e-e (verneint)
Lerner scheinen nach Müller (1991: 160) ein memorierendes Sprachwissen aktivieren und „unvergessliche Sätze“ produzieren zu können. Der Lerner erinnere sich in bestimmten Situationen an prototypische Begrüßungsformeln des Typs Guten Morgen ihr lieben Kinder und setze diese sprachlich korrekt und pragmatisch angemessen ein.
Knapp (1992) beschreibt Selbst- und Fremdkopien formelhafter Elemente in der Lernersprache von Englischlernenden. Bei dem Fall einer Selbstkopie handelt es sich um die Struktur he thinks the same way like you do, die von einer Lernerin, die als „Dolmetscherin“ in einem Gespräch zwischen einem Deutschen und einem Engländer fungiert, verwendet wird. Diese Formel wird zunächst zögerlich und nach längerer Planungszeit von der Lernerin produziert, um sich hernach zunehmend zu verfestigen:
Deutscher: Ja gut, das leuchtet mir in gewisser Weise ein, aber (…)
Dolmetscherin: Ähm Mr. D. says that ähm he thinks (0.3) the same way like you äh a little bit, but he also thinks that (…)
Deutscher: Okay (…), insofern äh glaub ich (0.3) könnt ich Herrn B. wohl auch zustimmen, in diesem Punkt.
Dolmetscherin: Ähm he says he thinks the same way like you do in äh that point.
Deutscher: Mhm ja (0.3) ich glaub wir könn das ma so stehnlassen, ich finde die Argumente ganz überzeugend und stimme ihm soweit schon zu, aber (…)
Dolmetscherin: Ähm Mr. D. says that ähm äh he he thinks the same way (0.3) like you do and äh in some of the ways, but he also thinks that (…)
(Knapp 1992: 2)
Die Formel he thinks the same way like you do scheint das Verb to agree zu ersetzen, das der Lernerin offenbar zum gegenwärtigen Zeitpunkt unbekannt ist. Während die erste Realisierung der Formel eine längere Planungszeit erfordert, die durch Pausen und Hesitationen markiert ist, wird die selbst generierte Formel hernach kopiert (Selbstkopie) und steht anschließend ohne größeren Planungsaufwand zur Verfügung. Die Verwendung der Formel scheint insgesamt die Flüssigkeit und Sicherheit der Sprachproduktion des Lerners zu erhöhen.
Der Fall einer Fremdkopie einer Formel liegt, wie die Rekonstruktion der Lernerreflexionen im Rahmen einer Retrospektion ergab, im Fall eines Englischlerners (L2) vor, von dem folgende Daten elizitiert werden konnten:
L: What shall we do to eaten? (spontane Lerneräußerung im außerschulischen Kontext)
- Was sollen wir trinken?
L: What shall we do to drinken?
- Was sollen wir spielen?
L: What shall we do to playen?
- Was soll ich spielen?
L: What shall I do to playen?
(Knapp 1992: 3)
Während die erste Produktion der Formel what shall we do spontan erfolgte, wurden die weiteren Lerneräußerungen durch Vorgabe eines deutschen Satzes bei anschließender Übersetzung des Satzes durch den Lerner elizitiert. In der Retrospektion offenbarte der Lerner den Ursprung der von ihm fremdkopierten Formel. Dabei handelt es sich um das Lied what shall we do with the drunken sailor. Das Wissen um diese Struktur scheint einen sicheren Wissensbestand zu bilden. Der Lerner greift auf dieses Wissen zurück, übergeneralisiert es jedoch in seiner Sprachproduktion dahingehend, dass er die Verbformen eaten, drinken und playen in Analogie zu drunken bildet.
Kostrzewa & Cheon-Kostrzewa (1997) berichten auf der Basis einer Longitudinalstudie über formelhafte Elemente in der Interlanguage einer erwachsenen koreanischen L2-Lernerin des Deutschen. Die Lernerin produzierte im Verlaufe der Datenerhebung unter anderem die folgenden Äußerungen:
ja: 1 uh: wa:s haben sie. Uh: uhm wie viel jahre … wie viel jahr e/ möchten Sie deine freund/ jahre
andere/ jem(an)d / was möchten sie 1 was möchten sie deine freund oder deiner ehepaar ehepartner/ uh:m welche … welche/welche möchten sie finden/ freund oder ehepartner
und uh: ggu ggu ggu ggu ggu gg u/ was uh:m welche type (AUF ENGLISCH) möchten sie / deine freund: uh: charakter
deine uh deine partner was: uh welche fäch … fakultät/ hast du deine freund oder ehepaar/abschluß gemacht
und uh: deine pat / partner/ uh was: 1 was haben sie deine partner … uh was haben deine partner/ uh: beruf/ wel … uh welche beruf / haben deine freund
freund suchen und eh und ja / ja was möchten … uh was möchten sie uh dass deine freund uh: körper … körpereinigschaften/pereigenschaften körper.eigenschaften uh warum möchten sie uh: dass deine uh: suche. (HUSTET) dass deine freund/ uh: groß als dich ja / ich glaube uh uh: groß oder
ja: und uh: uh:m was möchten sie 2 (HUSTET) deine freu … dein freund uhm pro monat 1 verdienen
und ich möchte meine uh: meine partner / meine part … meine partner: ist/ uhm gleich kultur … kultur haben/ weil uh:m
eltern oder 1 keine oh ja was ha … uh: möchten sie … möchten sie religion haben
familienstand/ welche/ welche gruppe haben uh: kennen sie die … deine bisherige familiensta … stand/ gehören 1 uhm familienstand zum beispiel uhm 2 ja (LACHT)
Folgende Strukturen in der Lernersprache sind besonders auffällig:
Was möchten Sie?
Welche (…) möchten Sie?
Warum möchten Sie?
In diesen Strukturen wird ein Fragewort mit der anschließenden Struktur möchten Sie kombiniert. Es fällt dabei auf, dass die Anreden des Gesprächspartners uneinheitlich sind. Dieser wird zunächst mit Sie, in späteren Strukturen mit du angeredet:
Was möchten sie deine freund / oder deiner ehepaar ehepartner
Welche type (AUF ENGLISCH) möchten sie / deine freund: uh: charakter
Warum möchten sie … dass deine freund / uh. groß als dich
Da die Lernerin den Gesprächspartner ansonsten grundsätzlich duzt, scheint es berechtigt festzustellen, dass sie die oben genannten Strukturen mit den Elementen möchten Sie ganzheitlich und nicht in Kongruenz zu den nachfolgenden Elementen verwendet. Es ist wahrscheinlich, dass die Struktur möchten Sie von der Lernerin im Alltag gehört und kopiert wurde. Insofern handelt es sich um eine Fremdkopie. Die Lernerin scheint nur mit Mühe zu der anschließend vielfach verwendeten Struktur Fragewort + möchten Sie zu gelangen. Es zeigt sich im Folgenden deutlich, dass eine kommunikativ erfolgreiche Struktur anschließend in großer Häufigkeit auftritt. Die Lernerin scheint ihr kommunikativ erfolgreiches Verhalten selbst zu kopieren. Aus einer zunächst bestehenden Fremdkopie (fremden Inputs) wird allmählich eine Selbstkopie der eigenen Strukturen. Es hat den Anschein, dass die von der Lernerin verwendeten Formeln auch deswegen häufig verwendet werden, weil ihr zum Zeitpunkt der Aufnahme andere Modalverben als möchten noch nicht zur Verfügung stehen. Insofern liegt eine formale Reduktion vor. Unter Verwendung anderer Modalverben könnten sich folgende alternative Formulierungen ergeben:
Aktuelle Sprachverwendung der Lernerin
|
Alternativen
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wie viel jahre möchten sie deine freund?
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wie alt sollte dein freund sein?
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was möchten … uh was möchten sie
|
welche körpereigenschaften sollte
|
uh dass deine freund … körper …
|
dein freund haben?
|
körpereinigschaften / körpereigenschaften …
|
mein partner sollte der gleichen
|
ich möchte meine uh: meine
| |
partner/ gleich kultur … kultur haben
|
kultur angehören
|
Haberzettl (2005) untersuchte den Erwerb der Verbstellungsregeln bei Kindern mit russischer und türkischer Muttersprache und stellte dabei folgende Satzmuster in der Lernersprache eines türkischen Probanden fest:
Erstes Satzmuster: das + x
X wird als Nomen bzw. als Adjektiv realisiert.
das forosch
das baby
das milch
und das goroß
das goroße
Zweites Satzmuster: (das) + is + Art. + X
und das is ein fisch
guck is eine dinosauriers
is eine goroß
Drittes Satzmuster: das + is + X (erweitert), es + is + X (erweitert)
das is gelbe aber
das is ganz goroß
aber das is kleiner pinguin
und das heppo es is wech
Viertes Satzmuster: S + X + V
der nase isst
Fünftes Satzmuster: S + V + O/X
ich hab so lokomotive
wi habte zug
wi habte zu hause
(Haberzettl 2005: 181)
Haberzettl (2005: 181) kommt zu dem Ergebnis, dass sich in den jeweiligen Erwerbsphasen zwar eine für die Lernersprache typische Instabilität zeige, der Lerner jedoch andererseits auf feste Satzmuster zurückgreife, die ihm eine gewisse Sicherheit und Flüssigkeit der Sprache gewährleisteten. Die jeweiligen Strukturen seien von dem untersuchten Lerner relativ zeitnah nacheinander erworben worden, wobei sich gezeigt habe, dass er auch in späteren Erwerbsstadien auf die in früheren Phasen gelernten Strukturen zurückgreife (back-sliding). Die Übergänge zwischen den einzelnen Erwerbsphasen habe man sich als fließend vorzustellen.
In einer eigenen Studie (Kostrzewa 2009: 136) untersuchten wir das Vorkommen von Satzmustern in der Lernersprache eines deutschen Koreanischlernenden und stellten ein vermehrtes Vorkommen der folgenden Strukturen fest:
무슨 좋은 음악(이) 있어요? (어떤 좋은 음악이 나옵니까?
(Welche gute Musik gibt es im Radio? Gibt es gute Musik im Radio?)
무슨 좋은 생각(이) 있어요? (Was für eine gute Idee hast du?)
무슨 좋은 소식(이) 있어요? (Was für eine gute Nachricht gibt es denn?)
뭐 대해서 생각하고 있어요? (무엇을 생각해요? Woran denkst du?)
Auffällig in den produzierten Satzmustern ist eine Kombination eines Frageworts (무슨) mit einem Adjektiv (좋은) und einer Kopula (있어요) nach folgendem Muster:
Fragewort + Adjektiv („gut“) + Kopula
무슨 좋은 음악(이) 있어요?
(Welche gute (Musik) + Themamarker + Kopula)
무슨 좋은 생각(이) 있어요?
(Welche gute (Idee) + Themamarker + Kopula)
3 Formelhaftigkeit im Grenzbereich zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit
Polajnar (2011) beschreibt anhand von Werbeslogans, die sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Kontext Verwendung finden, wie Formeln nach ihrem erstmaligen Erscheinen in Werbekampagnen in anderen Kommunikationssituationen erneut aufgegriffen und rekontextualisiert werden. Die Rekontextualisierung vollziehe sich dabei nicht nur gruppenspezifisch (z.B. in der Jugendsprache), sondern werde insgesamt zu einem Teil der Alltagssprache. Interessante Werbeslogans fänden als eine Art von geflügelten Worten Eingang in das Sprachrepertoire. Die Beziehung zwischen Alltags- und Werbesprache sei reziprok dergestalt, dass einerseits die Werbesprache den alltäglichen Sprachgebrauch beeinflusse, andererseits aber auch Tendenzen der Alltagssprache in die Werbesprache einflössen. Polajnar (2011: 261) illustriert den Einfluss der Werbesprache auf die Alltagssprache anhand des Werbeslogans Alles Müller, oder was? Dieser Werbeslogan trete in verschiedenen lexikalischen Variationen (Alles Müller, oder wie? Alles Maier oder was?) auf. Es käme zu usuellen Abwandlungen auf der lexikalischen Ebene, die sowohl lexikalische als auch grammatische Phänomene einschlössen (Polajnar 2011: 262). Bezüglich der möglichen Variationen präsentiert Polajnar (2011: 263) ein Kookurrenzprofil mit den Elementen oder was:
Ko-Okkurrenzprofil zu oder was?
Alles Bio oder was?
Alles öko oder was?
Alles Müll oder was?
Alles Liebe oder was?
Alles Käse oder was?
Morphologische und lexikalische Variationen stellt Polajnar (2011: 265) auch bei dem Werbeslogan (Geiz ist geil) mit den Varianten (Geiz ist geiler; Geist ist geiler) fest.
Laut Polajnar (2011: 266) wird der Werbeslogan auch in zahlreichen weiteren Kontexten zitiert, wobei im Laufe der Phraseologisierung der Bezug zur Originalquelle verlorenginge:
Der CDU-Generalsekretär (...) ruft mit dem der Werbung entliehenen Spruch „Geiz ist geil“ dazu auf, aus Protest die Bankverbindung zu wechseln.
„Geiz ist geil“ – aber manchmal auch ganz schön schwierig. Ein Internet-Angebot aus Nürnberg versucht nun, für den Verbraucher Schneisen in den Dschungel aus Sonderangeboten, Rabatten und Billigangeboten zu schlagen“.
Ernst (2011) erläutert in seinem Aufsatz Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann, wie Formelhaftes aus Film und Fernsehen Eingang in die Umgangssprache findet. Dabei sei auch in diesen Fällen der Ursprung einer Redewendung oftmals nicht mehr rekonstruierbar. Als Beispiel einer Redewendung, die Eingang in die Alltagsprache gefunden hat, nennt Ernst (2011: 220) die Formel Ein Angebot, das man nicht ablehnen kann. Diese sei auf den ersten Teil der Trilogie Der Pate von Francis Ford Coppola zurückzuführen:
Michael Corleone: My father made hin an offer he couldn’t refuse.
Kay: How that?
Michael: Luca Brasi held a gun to his head.
Eine weitere Formel filmischen Ursprungs findet sich laut Ernst (2011: 222) in der Wendung licence to kill (Lizenz zum Töten). Diese Formel entstamme den James Bond Filmen und werde vielseitig variiert (bei Google: Lizenz zum Plündern / Geld drucken / Schnüffeln / Nörgeln / Totlachen / Blödeln; in der Zeitschrift Men’s Health: licence to grill).
4 Formelhaftigkeit in schriftlicher Sprachverwendung
4.1 Muttersprache
Gülich (1997) schreibt den Formeln in der Schriftlichkeit eine textkonstituierende Funktion zu, wenngleich ihre Bedeutung oftmals nur gering und teilweise sogar gänzlich suspendiert sei. Die Verwendung formelhafter Elemente in der schriftlichen Textproduktion habe sowohl produktive als auch rezeptive Funktionen. Auch Wray (2002: 84) betont: “It seems reasonable to suppose that they are there to help the reader rather than the writer”. Šimunek (2007: 55) sieht die Funktion formelhafter Elemente bezüglich der Hörerzentrierung vornehmlich in der Schaffung eines erwartbaren und konventionell interpretierbaren Rahmens für den Rezipienten, der der sprachlichen und kognitiven Entlastung diene.
Gülich (1997: 147) sieht in formelhaften Strukturen unterschiedliche Grade von Festigkeit realisiert. Es gebe eine ganze Skala verschiedener Grade von Festigkeit, so dass die Stufen frei und fest lediglich als die äußersten Enden eines Kontinuums zu betrachten seien. Beispiele formelhafter Texte seien die Phraseoschablonen (von Tag zu Tag, von Hand zu Hand, von Mund zu Mund, Schritt für Schritt, Tag für Tag, er will und will nicht, er kommt und kommt nicht), die Satzmuster des Typs X ist X (sicher ist sicher, Urlaub ist Urlaub, geschenkt ist geschenkt) und die Satzmuster des Typs X bleibt X (doof bleibt doof).
Gülich (1997: 149) illustriert die Verwendung formelhafter Elemente in schriftlichen Texten am Beispiel von Danksagungen in wissenschaftlichen Texten, Weihnachts- und Neujahrwünschen sowie Todesanzeigen. Dabei sei ein formelhafter Text nicht als eine Aneinanderreihung formelhafter Ausdrücke zu verstehen, sondern werde aus konstanten inhaltlichen Komponenten gebildet, die eine Gesamtstruktur aufwiesen. Gleichwohl würden formelhafte Ausdrücke in formelhaften schriftlichen Texten selbstverständlich auch nicht fehlen. Beispiele solcher Ausdrücke seien unter anderen die Formulierungen an Eides statt, beehrt sich, gestattet sich oder gibt sich die Ehre. Die Basisform einer formelhaften Danksagung in einem wissenschaftlichen Text sei die einfache Dankesformel ohne Hinzufügung weiterer Elemente nach dem Muster:
Den Herren Professoren, L., H. und P., die die Arbeit durch zahlreiche Anregungen gefördert haben, bin ich zu großem Dank verpflichtet.
Diese Basisform könne jedoch eine Erweiterung durch ein zusätzliches informatives Element erfahren:
Die vorliegende Arbeit wurde am Institut für Radiochemie der Universität Karlsruhe durchgeführt. Herrn Prof. Dr. C. und Herrn Professor Dr. W. danke ich für die wohlwollende Förderung dieser Arbeit. (Gülich 1997: 149)
Teilweise finde eine hierarchische Gliederung der Bedankten in einer Dankesformel statt, so dass zunächst der Doktorvater und der Geldgeber sowie anschließend weitere Förderer der Arbeit, die Lebensgefährtin und die Schreibkraft genannt würden.
An dieser Stelle möchte ich allen danken, die mir bei der Abfassung der Schrift geholfen haben. Mein Dank gilt vor allem Herrn Prof. Dr. M., der meine Arbeit von Anfang an geleitet und sie in jeder Hinsicht gefördert hat. Großen Dank schulde ich auch Herrn Prof. Dr. E. für zahlreiche wichtige Hinweise, so zum Beispiel über das Homophonenproblem und den Vergleich mit der griechischen Sprache, die mir sehr geholfen haben. Auch Herrn Prof. Dr. W., der das Manuskript vor der endgültigen Fertigstellung durchgesehen hat, sage ich hiermit meinen besten Dank.
An dieser Stelle möchte ich meinen Eltern und Herrn Prof. Dr. M. dafür danken, dass sie mir die Wissenschaft als Weg zur Wahrheit gezeigt haben. Meiner Lebensgefährtin E. danke ich für ihr Verständnis und ihre immerwährende Unterstützung. (Gülich 1997: 149)
Antos (1986, 1987) sieht in Grußworten wissenschaftlicher Festschriften formelhafte Texte par excellence. Grußworte seien in Form und Inhalt in einem hohen Maße erwartbar und erfüllten daher die Kriterien, die für Phraseologismen gelten (Antos 1986: 282). Die Realisierung gleicher Sprachhandlungen wird nach Antos (1986: 282) nur in geringem Maße variiert, so dass die Formelhaftigkeit in Grußworten als eine Art Ritual zu begreifen sei.
Gülich (1997: 135) betrachtet die festen Satzmuster in Weihnachts- und Neujahrswünschen als formelhaft. Diese seien durch eine immer wiederkehrende Struktur gekennzeichnet. So werde in Anfangsstellung entweder der Verfasser der Wünsche als Subjekt oder aber der Adressat der Wünsche als Objekt genannt. Die Variation lexikalischer Elemente sei zudem gering. So solle das Weihnachtsfest zumeist froh, gesegnet, besinnlich oder schön, das neue Jahr hingegen gesund, erfolgreich, gut oder glücklich sein. Dabei gebe es nur eine geringe Anzahl an Adjektiven, die für beide Anlässe Verwendung fänden. Als Beispiele formelhafter Weihnachts- und Neujahrswünsche können nach Gülich (1997: 135) die folgenden gelten:
Die (...) Blumenbinderei wünscht allen ihren Kunden ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest sowie ein gutes und gesundes neues Jahr.
Unseren Geschäftsfreunden und Kunden sowie allen Freunden und Bekannten wünschen wir ein frohes Weihnachtsfest und ein gesundes, erfolgreiches neues Jahr.
Meinen verehrten Kunden, allen Geschäftsfreunden und Bekannten ein frohes Weihnachtsfest und ein gutes neues Jahr.
Mit den besten Grüßen zum Weihnachtsfest verbinden wir unseren Dank für das Vertrauen zu unserem Haus und wünschen zum neuen Jahr Glück und Erfolg.
Gelegentlich findet nach Gülich (1997: 135) eine Abwandlung von Weihnachts- und Neujahrswünschen dergestalt statt, dass diese durch einen Informationszusatz den Charakter eines Werbetextes annehmen:
Taxi (...). Telefon (...) und (...). Unseren Fahrgästen danken wir für das uns entgegengebrachte Vertrauen. Wir wünschen Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und alles Gute für das neue Jahr.
Unseren verehrten Kunden und Liebhabern erlesener Volkskunstteppiche wünschen wir ein frohes, geruhsames Weihnachtsfest und ein gutes, erfolgreiches neues Jahr, verbunden mit dem Dank für die Treue zu unserem Haus und das Interesse an unseren Orientteppichen.
Todesanzeigen tragen laut Gülich (1997: 247) eine Reihe obligatorischer Elemente, zu denen der Name des Verstorbenen und die Namen der Leidtragenden gehören. Zudem muss dem Rezipienten der Anzeige die Tatsache des Sterbens mitgeteilt werden. Eingeleitet werden können die Todesanzeigen dabei durch formelhafte Strukturen nach folgendem Muster:
In stiller Trauer
In tiefer Trauer
In Liebe und Dankbarkeit
Zu diesen Angaben und Einleitungsformeln träten, ebenfalls obligatorisch, Angaben über Ort und Zeit der Beisetzung hinzu. Mögliche zusätzliche Hinweise beträfen die besonderen Modalitäten der Beisetzung:
im engsten Familienkreis
in aller Stille (die Beerdigung hat bereits „in aller Stille“ stattgefunden)
Während zur Charakterisierung des Verstorbenen zumeist auf Standardadjektive zurückgegriffen werde (lieb, geliebt, treusorgend, herzensgut), werde auf das Sterben in euphemistischer Form rekurriert (entschlief, Gott nahm zu sich in sein Reich, wurde von ihrem schweren Leiden erlöst, verließ mich, für immer verlassen, wurde von uns genommen, ist für immer von uns gegangen). Auf die Nennung des Verbs sterben werde im Allgemeinen verzichtet, wenngleich das Verb versterben gelegentlich Verwendung finde. Durch weitere Zusätze in Todesanzeigen gelinge es Textproduzenten zuweilen, ein Bemühen um die Vermeidung der ansonsten üblichen Formeln zu signalisieren (Gern hat er gelebt. Gerne hätte er weitergelebt).
Rolf (1993) stellte formelhafte Elemente in Bittbriefen fest, die er als nicht-bindende direktive Textsorten bei einseitigem Textproduzenteninteresse definiert. Der Produzent eines solchen Textes sei darum bemüht, eine direktive Kraft zu erzeugen, so dass die Aufforderung als die dominante Illokution des Bittbriefs zu verstehen sei. Während zu den obligatorischen Elementen die Sachverhaltsdarstellung und die Darlegung der Plausibilität des Anliegens gehörten, sei ein Dank am Ende des Briefs als Ersatz für eine abschließende Grußformel ebenso fakultativ wie eine erneute Wiederholung des Appells. Folgende formelhafte Formulierungen zur Realisierung der Illokution der Bitte seien in Bittbriefen häufig anzutreffen:
Deshalb bitte ich Sie sehr: Spenden Sie wieder! (…) Bitte helfen Sie
Deshalb bitte ich Sie heute sehr herzlich um Ihre Spende. (…) Bitte helfen Sie.
Bitte spenden Sie noch heute!
Ich bitte Sie herzlich: Spenden Sie!
Ich bitte Sie herzlich: Helfen Sie (…).
Ich bitte Sie sehr: Helfen Sie mit Ihrer Spende!
(…) das ist der Grund, warum ich Sie um Ihre Spende bitte.
Bitte helfen Sie, (…). Helfen Sie mit, (…). Bitte spenden Sie.
Bitte helfen Sie mit Ihrer Spende!
4.2 Lernersprache
Ballis (2008) führte eine Untersuchung zum formelhaften Sprachgebrauch in Schülertexten in der Sekundarstufe I durch und stellte dabei fest, dass die Vermittlung fester Wendungen dazu geeignet scheint, Textsorten (konkret Märchen) mit ihren Spezifika sowohl rezeptiv als auch produktiv besser zu erfassen. Zu dem gleichen Ergebnis kam auch Kostrzewa (2012), der L2-Lerner des Deutschen (Erasmus-Studierende am Karlsruher Institut für Technologie und koreanische Germanistikstudenten der Seouler Fremdsprachenuniversität) auf der Basis einer vorhergehenden Einführung in diese Textsorte Märchen produzieren ließ. Folgende formelhafte Formulierungen konnten dabei als auffällig registriert werden:
Erasmus-Studierende am Karlsruher Institut für Technologie:
Lerner A:
Es war einmal eine sehr schöne Prinzessin, die in einem sehr schönen Land lebte. Ihre Eltern waren schon alt.
Und die Moral von der Geschicht – gibt es nicht.
Lerner B:
Es war einmal ein König Krak, der legendäre Gründer der Stadt Krakau.
Dank des klugen und mutigen Schusterjungen wurde Krakau vom Drachen befreit. Von diesem Moment (an), waren alle glücklich und der Schusterjunge heiratete die Prinzessin.
Lerner C:
Es war einmal ein Tischler, der sehr reich war, weil er sehr (fleißig) arbeitete.
Die Kinder kehrten sich nach Hause zurück und lebten dort alle glücklich.
Lerner D:
Es war einmal ein Junge, der Jack hieß.
Die Bohnenranke ist mit dem Riesen runtergefallen, und dass war das Ende von Jack und die Bohnenranke.
Lerner E:
Es war einmal ein Mädchen, das mit ihrem Vater im Wald lebte.
Sie wohnten in einem großen Haus und waren sehr glücklich.
Das Mädchen lebte noch ein paar Jahren mit ihrem Vater. Aber sie verzichtete auf ihre Ausbildung nicht. Sie lernte immer wieder. Der Vater war damit sehr zufrieden und sie lebten noch lange glücklich und vergnügt.
Koreanische Studierende der Seouler Fremdsprachenuniversität
Lerner A:
Es war einmal ein gewachsener und naiver Königssohn.
Eines frühen Tages befahl der Königssohn seinen besten Knecht zur Übermittlung seines Briefes.
Lerner B:
Es war einmal ein Mann.
Es war einmal in dem Land ein alter Mann.
Lerner C:
Es war einmal ein alter Mann in einem Dorf. Als er eines Tages von dem Markt zurückkam, fiel er um.
Weitere formelhafte Wendungen in der Lernersprache der koreanischen Studierenden der Seouler Fremdsprachenuniversität waren die folgenden:
Heute habe ich das Bibelstudium angefangen. Von alters her wünschte ich mich zu versuchen.
Wie Sie wohl wissen gibt es in Korea viele Sehenswürdigkeiten.
Ganz besonders durch eine Reise haben diese Sommer-Universitätsferien Eindruck auf mich gemacht. An dieser Reise habe ich einen Narren gefressen.
In den vorigen Sommerferien fühlte ich mich nützlich und unnützlich. Solches Gefühl hat man immer in den Ferien. Der Mensch ist ein reumütiges Tier.
Ich hab‘ keine Ahnung womit ich anfangen soll. Denn ich hab‘ vieles getan. Deshalb weiß ich nicht, was ich sagen will.
Aber um es kurz zu sagen. Es waren lustige und nutzbringende Sommerferien.
Wie gewöhnlich bin ich heute Morgen in die Messe gegangen. Das ist ein Muss am Sonntag für alle Katholiken.
Das Recht zum Wählen einer Religion ist ihr gutes Recht.
Seit ich in die Universität eingetreten bin, sind schon drei Jahre vergangen. Die Jahre sind nicht spurlos an mir vorübergegangen.
Ballis (2008: 21) geht auf der Basis ihrer empirischen Studie davon aus, dass formelhafte Strukturen eine zentrale Bedeutung für die Entwicklung der schriftlichen Erzählfähigkeit besitzen. Das Verfügen über Formeln und Phraseologismen diene als Ressource und Steigbügel für globalstrukturelle Entwicklungen. Auch Olhus (2005: 74) betrachtet den Erwerb von Phraseologismen als zentral für die Entwicklung der Erzählfähigkeit. Der Rückgriff auf feste Wendungen und Phraseologismen stelle für den Lerner eine Möglichkeit zur Bewältigung narrativer Aufgaben dar. Kinder würden bereits im Vorschulalter phraseologische Wendungen in der gesprochenen Sprache verstehen und produzieren. Hierzu gehörten neben Kollokationen und Routineformeln auch bereits idiomatische Wendungen.
5 Fazit und Ausblick
Formeln und Routinen können als ein zentraler Bestandteil der Interlanguage von L2-Lernern verstanden werden, und auch für den L1-Erwerb scheint zu gelten, dass sich die komplexe Grammatik dem Lerner durch die Speicherung memorierter Ganzheiten und deren sukzessiver Analyse erschließt. Der Erwerbsprozess besteht also nicht ausschließlich im Voranschreiten von elementaren zu komplexen Einheiten, sondern parallel hierzu auch in einer sich durch die zunehmende Segmentierungs- und Analysefähigkeit des Lerners allmählich auflösenden Komplexität. Der Prozess der Konstruktion wird gewissermaßen durch einen ihn begleitenden Prozess der Dekonstruktion ergänzt. Formeln und Routinen werden von Lernern im Zuge des Erwerbsprozesses entweder aus dem Umgebungsinput übernommen (Fremdkopie) oder aber selbst kreiert (Selbstkopie), wobei kommunikativ erfolgreiche Formeln und Routinen eine erhöhte Auftretenswahrscheinlichkeit besitzen. Insgesamt scheinen sich durch die Verwendung formelhafter Elemente insbesondere die Sicherheit des Lerners und die Flüssigkeit der gesprochenen Sprache zu erhöhen. Lerner orientieren sich zudem auch in der Korrektheitsüberprüfung ihrer eigenen Sprachproduktionen an memorierten Formeln. Hinsichtlich der Bedeutung von Formeln in den jeweiligen Spracherwerbsphasen gehen Krashen & Scarcella (1978) davon aus, dass die Beherrschung von Formeln insbesondere für diejenigen Lerner hilfreich ist, die erst über eine geringe Sprachkompetenz verfügen, während House (1995) Formeln und Routinen auch für die späteren Erwerbsstadien eine zentrale Bedeutung attribuiert. Weinert (1995: 199) vertritt die These, dass insbesondere erwachsene L2-Lerner vom Memorieren größerer formelhafter Einheiten profitieren könnten. Solche Einheiten könnten gewissermaßen als Prototypen noch nicht erworbener Strukturen gespeichert werden. Bei fortgeschrittenen Lernern sei zudem eine allmähliche Ausdehnung des mentalen Lexikons in ein Phrasikon vorstellbar.
Hinsichtlich der kognitionspsychologischen Implikationen einer Enkodierung formelhafter Strukturen geht Wray (1992) von einer dualen Kodierung von Formeln und Routinen aus. Diese würden zum einen holistisch und zum anderen sequentiell gespeichert. Formelhafte Einheiten würden auch dann nicht aus dem mentalen Lexikon getilgt, wenn der Lerner zu ihrer Segmentierung und Analyse in der Lage sei. Ellis (1996: 91ff) vermutet, dass Einheiten lexikalischer Items zunächst in Form phonologischer Ketten gespeichert werden. Erst zu einem späteren Zeitpunkt richte der Lerner seinen Fokus auf Kollokationen oder andere Bedeutungseinheiten. Eine syntaktische oder semantische Analyse formelhafter Einheiten finde zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht statt.
Hinsichtlich einer Vermittlung formelhafter Einheiten in gesteuerten Erwerbskontexten fordern Diehl et al. (2000: 340) eine gezielte Förderung des Einsatzes der von ihnen als chunks bezeichneten Einheiten. Das Chunking sollte gezielt als Lernstrategie im Unterricht vermittelt werden, um auf diese Weise das Pattern-Gedächtnis der Lerner zu schulen.
Hessky (1992, 159) betrachtet Phraseologismen, denen sie einen hohen kommunikativen Wert zuschreibt, als einen zentralen Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts. Insbesondere situative Stereotypien (nicht dass ich wüsste, wem sagst du das), Funktionsverbgefüge (zum Ausdruck bringen, Aufmerksamkeit schenken), spezifische Modellbildungen (Tag für Tag) und usuelle Kollokationen (sich die Nase putzen, jemandem unter die Augen kommen) sollten Gegenstand der unterrichtlichen Vermittlung sein. Köster (2001: 137f) schlägt vor, Phraseologismen anhand populärer Kleintexte zu vermitteln. Besonders der Variantenreichtum der in Horoskopen vorkommenden Phraseologismen scheint ihm für unterrichtliche Zwecke geeignet. Das Spektrum reiche dabei von Paarformeln (auf Schritt und Tritt, Klatsch und Tratsch, das Für und Wider), Gemeinplätzen (Versprechen sind schließlich dazu da, um gehalten zu werden; manchmal ist weniger mehr; niemand ist perfekt) und Kollokationen (Ideen: brillante, gute, neue, verrückte, ausgefallene, schräge, ungewöhnliche) über Funktionsverbgefüge (Entscheidungen treffen, in Angriff nehmen, Entschluss fassen, zur Ruhe kommen) bis hin zu somatischen Phraseologismen (etwas aus den Augen verlieren, die Augen offen halten, aus dem Bauch heraus handeln).
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Autor:
Prof. Dr. Frank Kostrzewa
Pädagogische Hochschule Karlsruhe
Institut für deutsche Sprache und Literatur
Bismarckstr. 10
76133 Karlsruhe
E-Mail: frank.kostrzewa@ph-karlsruhe.de