Volume 6 (2015) Issue 2
Wolfgang
Reumuth / Otto Winkelmann: Praktische Grammatik der spanischen
Sprache. 6. Auflage. Wilhelmsfeld: Egert 2011 (XVIII + 486 Seiten)
(ISBN 978-3-936496-34-5).
Die
vorliegende Rezension, die sich auf die Praktische Grammatik der
spanischen Sprache bezieht, ist Teil der weithin bekannten Reihe
von Grammatiken parallelen Titels. Die Rezension ist entsprechend in
enger Verbindung zu sehen mit unserer Rezension der Praktische(n)
Grammatik der englischen Sprache (Hutz & Khairi-Taraki 2008)
(Tinnefeld 2010). Auch für die vorliegende Rezension gilt, dass bei
der Besprechung von Grammatiken nicht alle relevanten Gesichtspunkte
Erwähnung finden können, sondern dass - allein aufgrund des Umfangs
einer solchen - naturgemäß eine Beschränkung des
Darzustellenden vorgenommen werden muss.
Die
Adressaten der vorliegenden als “Lern- und Nachschlagegrammatik“
(V und hinterer Buchdeckel) ausgewiesenen Grammatik - die jedoch
ebenfalls in Ausrichtung und Umfang eher eine Referenzgrammatik
als eine Lerngrammatik
darstellt, sind Studierende der Hispanistik und Schüler1
der Sekundarstufe II (V) und „alle, die sich gründliche Kenntnisse
der spanischen Sprache aneignen wollen“ (hinterer Buchdeckel).
Hiermit ist ein Vorschlag umgesetzt worden, den wir in der oben
genannten Rezension formuliert hatten und der - allgemein ausgedrückt
- darin besteht, nicht nur Studierende
der behandelten Sprache als Zielgruppe zu benennen, sondern diese auf
andere Adressaten auszuweiten. Diese deutliche Erweiterung möglicher
Zielgruppen ist daher als erfreulich zu werten.
Die
vorliegende Grammatik ist als Ergänzung zu dem jeweiligen, im
Unterricht verwendeten Lehrwerk konzipiert (V) und bezieht sich auf
das Kontinentalspanische, wobei jedoch ebenso „die wichtigsten
Besonderheiten des lateinamerikanischen Spanisch“ (V)
berücksichtigt werden. Auch die vorliegende Grammatik ist eine
Satzgrammatik; auch hier werden sämtliche Beispielsätze in
deutscher Übersetzung geliefert (V), was als lernerfreundlich zu
sehen ist.
Eine
Besonderheit des Layouts dieser sechsten Auflage der vorliegenden
Grammatik ist, dass die traditionell in dieser Grammatikreihe
enthaltenen Kästen nunmehr farblich hervorgehoben sind, und dies in
differenzierter Form: für Formen und Beispiele durch hellblaue und
in allen anderen Fällen durch hellgraue Unterlegung (V). Auch
hierdurch ist erfreulicherweise ein Vorschlag unserer eigenen
Rezension aufgegriffen worden, der darin bestand, die ehemals rein
weiß gehaltenen Kästen grau zu schattieren.
Der
Aufbau der vorliegenden Grammatik entspricht weitgehend derjenigen
dieser Reihe, im Einzelnen gibt es jedoch Abweichungen und
unterschiedliche inhaltliche Zuschnitte einzelner Kapitel. Bei den -
auch hier an der Schulgrammatik orientierten - Kapiteln dieser
Grammatik handelt es sich um die folgenden:
2.
Das Substantiv (20ff)
3.
Der Artikel (45ff)
4.
Die Demonstrativa (72ff)
5.
Die Possessiva (78ff)
6.
Die Indefinita (86ff)
7.
Die Zahlwörter (114ff)
8.
Die Interrogativa (127ff)
9.
Die Personalpronomen (134ff)
10. Die Relativpronomen (151ff)
11.
Das Adjektiv (159ff)
12.
Die Formen des Verbs (179ff)
13.
Der Gebrauch der Formen des Indikativs (209ff)
14.
Der Gebrauch des subjuntivo, des Imperativs und des
Konditionals (220ff)
15.
Der Gebrauch des Passivs (240ff)
16.
Das reflexive Verb (246ff)
17.
Der Gebrauch von ser und estar (262ff)
18.
Die Partizipien (275ff)
19.
Das Gerundium (284ff)
20.
Der Infinitiv (291ff)
21.
Die Verbalperiphrasen (319ff)
22.
Die Ergänzungen des Verbs (331ff)
23.
Das Adverb (354ff)
24.
Verneinung und Einschränkung (363ff)
25.
Die Konjunktionen (370ff)
26.
Die Präpositionen (379ff)
27.
Die Struktur des spanischen Satzes (415ff)
28.
Die indirekte Rede (432ff)
29.
Die Wortbildung 439ff).
Es
folgen die „wichtigsten unregelmäßigen spanischen Verben (454ff)
und das „Wort- und Sachregister“ (461ff). Eine Auflistung der
„Abkürzungen und Zeichen“485f.) schießt die Grammatik ab.
In
der vorliegenden Rezension gehen wir analog zu dem Prozedere der
Rezension der Praktischen Grammatik der englischen Sprache vor
und wählen einige Kapitel aus, die deutschen Lernern im Spanischen
aus unserer Sicht besondere Schwierigkeiten bereiten. Die hier
herausgegriffenen Kapitel sind die folgenden:
- Die Demonstrativa (72ff)
- Der Gebrauch des subjuntivo, des Imperativs und des Konditionals (220ff)
- Der Gebrauch des Passivs (240ff)
- Der Gebrauch von ser und estar (262ff)
- Die Struktur des spanischen Satzes (415ff)
In
dem Kapitel zu den Demonstrativa (72ff) wird zunächst eine
Unterscheidung zwischen den Demonstrativadjektiven este
und ese vorgenommen, die sich - dies sei hier hinzugefügt -
für deutsche Lerner in ihrem Gebrauch lediglich durch eine relativ
geringe Trennschärfe auszeichnen. Zum Vergleich seien die zu beiden
Demonstrativadjektiven gegebenen Beschreibungen zitiert:
Este
wird für Personen und Sachen verwendet, die sich in der Nähe des
Sprechenden befinden. Diese Nähe bezieht sich nicht nur auf den
Raum, sondern auch auf die Zeit oder auf eine Äußerung, die gerade
gemacht worden ist oder unmittelbar bevorsteht. (72)
Der
Gebrauch von ese wird wie folgt beschrieben:
Ese
bezieht sich auf Personen oder Sachen, die sich in der Nähe des
Angesprochenen befinden, oder auf Äußerungen des Gesprächspartners.
(73)
In
Verbindung mit den in den Anmerkungen formulierten Hinweisen zur
Verwendung von este mit dem Bezug auf dt. ‚heute‘ bei der
Bezeichnung von Tageszeiten (esta maňana - ‚heute Morgen‘)
(73) und dem Verweis auf die abwertende Verwendung von ese
(ese tío - ‚der Kerl da‘) (73) ergibt sich für den
Lerner ein semantischer Eindruck, der hinsichtlich seines
potentiellen Erkenntnisgewinns durchaus belastbar ist und somit
für die Erlernung dieser Unterscheidung als hilfreich angesehen
werden kann. Die Unterschiedlichkeit von este und ese
im Vergleich zu aquel wird dabei hinreichend deutlich:
Aquel
bezieht sich auf Personen oder Sachen, die vom Sprechenden und vom
Angeredeten räumlich oder zeitlich weiter entfernt sind. (74)
Hinzu
kommt der folgende Hinweis:
Die
räumliche oder zeitliche Dreiteilung, die este, ese und aquel
ausdrücken, hängt von der Perspektive des Sprechers ab. Im
Sprachgebrauch kann durchaus ese anstelle von este oder
von aquel stehen. Dies gilt sowohl für die
Demonstrativadjektive als auch für die Demonstrativpronomen.
(74)
Dieser
Hinweis - die prinzipielle Abdeckung des semantischen Bereichs von
este und aquel durch ese - ist für die Leser -
und Lerner - von großem Nutzen. Problematisch ist hier jedoch, dass
von der „Dreiteilung“, die hier erwähnt wird, zuvor nicht die
Rede war. Der unbedarfte Lerner geht aufgrund dieser Beschreibung bis
hier lediglich von einer „Zweiteilung“ aus. Dieser Punkt könnte
bei der nächsten Auflage der Grammatik gegebenenfalls im Blick
behalten werden.
In
diesem Kapitel sind die Beispielsätze aufgrund ihrer Anschaulichkeit
und die Anmerkungen aufgrund ihres Detailreichtums sehr hilfreich.
Diese vermitteln dem aufmerksamen Leser einen sprachlichen
Eindruck, der die theoretischen Beschreibungen auf sinnvolle ergänzt.
Im
Bereich der Demonstrativpronomina sei hier lediglich auf deren
neutrale Verwendung verwiesen, bei der esto, eso und aquello
gemeinsam behandelt werden (75f). Hier ist der gewählte kontrastive
Ansatz mit dem Bezug zum deutschen Demonstrativum das von
Bedeutung. Dabei sei im Spanischen das Neutrum dann zu verwenden sei,
wenn ein Bezug auf einen bereits erwähnten Sachverhalt vorliege und
das deutsche Demonstrativum auf die Frage ‚Was ist das?‘
antworte; Genus- und Numerusausrichtung liege dann vor, wenn das
deutsche Demonstrativum sich auf näher zu bezeichnende Personen oder
Dinge beziehe (76). Diese Unterscheidung stellt für Lernende
einen hilfreichen Hinweis, auf dessen Basis eine sichere Verwendung
der Pronomina möglich ist.
Im
Kapitel „Der Gebrauch des subjuntivo, des Imperativs und des
Konditionals“ (220ff) wollen wir uns hier auf den Gebrauch des
subjuntivo beschränken, dessen Beschreibung ohnehin den
größten Teil dieses Kapitels ausmacht. Diese wird - aufgrund der im
Vergleich geringeren Komplexität des Gegenstandsbereiches nicht
unerwartbar, jedoch hier positiv vermerkt - durch den Gebrauch
des subjuntivo im Hauptsatz (220ff) eingeleitet. Die dort
aufgelisteten Automatismen der subjuntivo-Verwendung in
formelhaften Ausdrücken geben dem Lerner Sicherheit und mögen ihm
zusätzlich die Angst vor diesem Modus nehmen. Den größten Teil der
Darstellung macht naturgemäß die Behandlung des subjuntivo
im que-Satz aus (222f). Hier werden in dieser Reihenfolge
behandelt: der subjuntivo nach Ausdrücken der Willensäußerung
(222f), der subjektiven Bewertung (224ff), des Zweifels und der
Unsicherheit (227f), nach Verben des Sagens und Denkens (228f), im
vorangestellten Subjekt- oder Objektsatz (229f) sowie nach
bestimmten Konjunktionen (230). Hierauf folgt die Behandlung des
subjuntivo im Relativsatz (230ff) und die Zeitenfolge in
einem, den subjuntivo enthaltenden Nebensatz (232f).
Diejenigen Teile dieses Kapitel, die der Auflistung der
subjuntivo-Auslöser dienen (222-229), sind dabei mit
vergleichsweise wenigen Beispielsätzen versehen. Wenn die
Beispiele als solche die dargestellten Zusammenhänge auch
hinreichend deutlich werden lassen, so hätte eine Erweiterung der
Beispielsätze auf etwa die doppelte Anzahl deren Expressivität
dennoch stark erhöht und die Lesefreundlichkeit der Darstellung
weiter verbessert - dies umso mehr dann, wenn die dann neu
hinzugefügten Beispielsätze ebenso funktional und kommunikativ
verwendbar wären wie die bereits vorhandenen. Ebenso wäre es
möglich, die Darstellung der den subjuntivo auslösenden
Ausdrücke dadurch zu verbessern, dass diese nicht nur aufgelistet,
sondern in jedem einzelnen Falle mit der notwendig nach diesen
stehenden Konjunktion que versehen würden, also
beispielsweise nicht in der Form (224):
me
agrada sondern
so: me adrada que
es
agradable es
agradable que
me
alegra me
alegra que
basta basta
que
es
una bendición es
una bendición que
está
bien está
bien que
es
bueno es
bueno que
Mittels
einer solchen Darstellung würde bei denjenigen Lernern, die diese
Ausdrücke zu internalisieren versuchen, mnemotechnisch gleichzeitig
die Konjunktion que verankert und die Verwendung des gesamten
jeweiligen Ausdrucks somit sehr viel besser automatisiert, als dies
ohne die stetige Anführung der Konjunktion der Fall sein kann.
Hiermit würde den Lernenden eine funktionale Hilfestellung
angeboten. Dies gilt umso mehr, als einige der hier angegebenen
Ausdrücke auch als vollständige Sätze realisiert werden können,
dann jedoch mit dem subjuntivo nichts mehr zu tun haben (vgl.
¡Basta! oder Está bien.). In diesem Zusammenhang sei
jedoch positiv hinzugefügt, dass die in den Anmerkungen gegebenen
Zusatzinformationen eine Bereicherung der Gesamtdarstellung
bewirken.
Wenn
der Gebrauch des Imperativs (233ff) auch weitgehend durch Formen des
subjuntivo geprägt ist, so erstaunt dennoch, dass dieser dem
subjuntivo-Kapitel subsumiert worden ist - eine Aussage, die
ebenso für das Konditional gilt, auch wenn eine enge Verbindung
zwischen diesem und dem subjuntivo besteht: Der Gebrauch
sowohl des Imperativs als auch des Konditionals wird im
subjuntivo-Kapitel beschrieben und nicht jeweils separat -
etwa im Anschluss an die morphologische Darstellung beider, die für
alle „Formen des Verbs“ gesamthaft in dem gleichnamigen Kapitel
erfolgt (179ff). Hier stellt sich - auch wenn die letztlich gewählte
Darstellung ebenso ihre Berechtigung haben mag - die Frage, ob es
nicht sinnvoller gewesen wäre, die jeweiligen Tempora und Modi nicht
zuerst jeweils morphologisch und direkt danach im Hinblick auf ihre
einzelnen Verwendungen zu präsentieren. Ein solcher gesamthafter
Ansatz würde den Lernenden zum einen eine bessere Übersicht
sowohl über die Formen als auch über die Funktionen
der unterschiedlichen Verbformen vermitteln und ihnen - ganz
praktisch - auch viel unnötige Blätterarbeit im Buch ersparen.
Trotz
dieser Kritikpunkte ist jedoch zu konstatieren, dass das Kapitel zum
subjuntivo gut verständlich geschrieben ist und die
Komplexität dieses Modus in einer Weise herunterbricht, die
durchaus das Prädikat ‚lernerfreundlich‘ verdient.
Der
erste Teil des Kapitels zum „Gebrauch des Passivs“ (240ff) ist
weitgehend erwartbar aufgebaut - mit einem grundlegenden Vergleich
von Aktiv- und Passivsatz (240f) und der Darstellung des
Zustandspassiv (242) und danach des reflexiven Passivs (242f). Dieser
erste Teil ist gut verständlich und ebenso strukturiert, und es
werden relevante Details behandelt, wie beispielsweise die (in
der Grammatik nicht so genannten) Agensergänzungen por, de
und por parte de (240f) und unterschiedliche Gesichtspunkte
der Passivierung transitiver Verben (241f). Hier bekommen die Lerner
eine hinreichende Orientierung hinsichtlich der Verwendung des
Passivs und ebenso - was sehr zu loben ist - hinsichtlich seiner im
Vergleich zum Deutschen ungleich geringeren Frequenz in der
spanischem Umgangssprache (240). Dennoch wäre es begrüßenswert
gewesen, wenn bereits dieser erste Teil des Passivkapitels noch
ausführlicher abgefasst worden wäre.
Der
zweite Teil des Kapitels zum Passiv ist kontrastiv ausgerichtet,
indem deutsche Passivkonstruktionen im Spanischen (243f) und die
Wiedergabe des deutschen ‚man‘ behandelt werden (244f). Dieser
Teil vermittelt dem Lerner lediglich eine begrenzte Orientierung
hinsichtlich des Passivgebrauchs. Eine Aussage wie:
In
einigen Fällen werden deutsche Passivkonstruktionen im Spanischen
durch andere Ausdrucksweisen wiedergegeben. (243)
der
dann 15 deutsche Satzbeispiele mit spanischer Übersetzung folgen,
ist so allgemein gehalten, dass dem Lerner - über die gegebenen
Beispiele hinaus - kaum ein generalisierbarer Erkenntnisgewinn
vermittelt wird. Wenn es auch zugegebenermaßen nicht einfach ist,
eine Kontrastierung des deutschen und des spanischen Passivs
vorzunehmen, so sind Aussagen dieser Allgemeinheitsstufe mit dem
aufgezeigten geringen Informationswert nicht zielführend. Hier wäre
ein den jeweiligen Beispielen folgender Kommentar vonnöten gewesen,
aus dem zumindest hätte hervorgehen werden müssen, dass hier eine
Systematisierung nur schwerlich vorzunehmen ist, dem Lerner
jedoch dringend empfohlen wird, sich selbst eine Liste deutscher
Sätze - gleichsam ein persönliches Korpus - anzulegen, in denen im
Spanischen eher das Passiv verwendet wird (und umgekehrt für die
Richtung Spanisch-Deutsch) - wodurch ihm zudem klar gemacht würde,
dass die vertiefte Erlernung einer Fremdsprache auch nach der Lektüre
einer Grammatik und der Aneignung des (Grund- und
Aufbau-)Wortschatzes auf Dauer weiter geht.
Hinsichtlich
der Wiedergabe des deutschen ‚man‘ (244f) werden fünf Kategorien
aufgeführt, zu denen in einem Fall zwei Beispiele gebracht werden,
in den übrigen drei Fällen jedoch nur je ein Beispiel geliefert
wird. Nur zu einer Kategorie - der Wiedergabe von ‚man‘ „durch
die dritte Person Plural Aktiv“ (245) des Typs Man hat mich
nicht eingeladen - A mí no me han invitado - werden fünf
Beispielsätze gegeben. Für die restlichen vier Kategorien wäre
jedoch unbedingt eine größere Zahl an Beispielsätze notwendig, um
sie für die Lerner anschaulicher und besser memorierbar werden zu
lassen. Auch insgesamt ist mit Blick auf das Passivkapitel zu
konstatieren, dass es unbedingt ausführlicher gehalten sein sollte -
dies ebenso ein Appell an Autoren und Verlag hinsichtlich weiterer
Auflagen.
Ein
weiterer Brennpunkt der Erlernung des Spanischen ist die
Unterscheidung zwischen ser und estar, deren
Darstellung in der vorliegenden Grammatik aus diesem Grunde
nachfolgend untersucht wird (262ff). Ohne dass zunächst auf die
grundlegende Unterscheidung zwischen ser (zum Ausdruck des
durativen Seins) und estar (zum Ausdruck des temporären
Seines) eingegangen wird - was ein wichtiger und hilfreicher Hinweis
gewesen wäre -, wird zunächst ser beschrieben (262ff).
Diese
Beschreibung geschieht anhand von zehn Kategorien. Deren erste ist
zugleich die darstellungstechnisch problematischste und bezieht sich
auf den Gebrauch von ser
„bei
Substantiven, Pronomen und Infinitiven, die als Prädikativum
fungieren“ (262), worauf sieben Beispiele mitsamt der jeweiligen
deutschen Übersetzung folgen (u.a. Mi
padre es abogado,
Este
reloj es mío und
Esto
sería hacer lo contrario;
262)3).
Zum einen ist hier problematisch, dass der Terminus Prädikativum
nicht im Wort- und Sachregister (461ff) erscheint und dass zudem
nicht erwartet werden kann, dass der durchschnittliche Benutzer
dieser Grammatik mit diesem Begriff etwas anfangen kann. Zum
anderen sind die Beispielsätze aufgrund ihrer erheblichen
Unterschiedlichkeit dem Lerner nur bedingt hilfreich.
Die
folgende Beschreibung ist - im Unterschied zu dem soeben
dargestellten ersten Teil - durch Funktionalität geprägt und für
den Lerner informativ. So wird für den Gebrauch von ser mit
Adjektiven, „die charakteristische Eigenschaften einer Person
oder einer Sache ausdrücken“ (262), eine ausführliche Liste
geliefert (z. B. ser accidental, ser apto para, ser diferente
de, ser difícil, ser (im)probable, ser posible ser útil;
262ff), die dem Spanischlerner einen zuverlässigen Umgang mit diesem
grundlegenden Verb ermöglicht. Auch die anderen Kategorien, die
jedoch erneut mit noch mehr Beispielen hätten unterlegt werden
können - ser de (Besitzbezeichnung), der unpersönliche
Ausdruck es de, der Gebrauch von ser mit Zeitangaben
und Preisangaben, zur Hervorhebung von Satzgliedern, zum Ausdruck der
Bedeutung ‚stattfinden‘, für den Anfang von Märchen und zur
Passivbildung (264f) - sind funktional und in einer Weise
präsentiert, die einen zuverlässigen Umgang mit diesem Verb
gestattet.
Auch
die Ausführungen zum Gebrauch des Verbs estar sind leicht
verständlich und sprachlich gut umsetzbar und umfassen sechs
Kategorien: den Ausdruck des örtlichen und des gesundheitlichen
Befindens, zur Bildung des Zustandspassivs, „in Verbindung mit
Adjektiven, die einen vorübergehenden Zustand bezeichnen“ (266)
(z.B. estar desnudo, estar dispuesto a, estar perplejo), „bei
den meisten Partizipien, die in der Regel einen vorübergehenden
Zustand bezeichnen“ (267) (z.B. estar abierto, estar cerrado,
estar encinta, estar provisto de) und mit bestimmten
Präpositionen (266ff). Die hier dargebrachten Listen von Ausdrücken
sind hochgradig konkret und vermitteln den Lernern eine hohe
Verwendungssicherheit. Es folgen Ausdrücke mit ser bzw.
estar, je nachdem, ob sie sich auf das Wesen von Personen oder
Dingen beziehen oder Aussagen „für eine bestimmt Gelegenheit“
(269) betreffen (z. B. ser / estar alegre, ser / estar claro,
ser / estar guapo). Wichtig und hilfreich ist, dass einige dieser
Ausdrücke nachfolgend anhand von Beispielsätzen illustriert werden,
hier exemplarisch:
-
Juanita es muy guapa.Juanita ist sehr hübsch.¡Que guapa estás hoy!)Wie hübsch du heute bist!
(270)
Danach
werden Adjektive mit einem erheblichen Bedeutungsunterschied bei
Verwendung mit ser bzw. estar aufgelistet, z. B.
ser bueno (‚gut sein‘) vs. estar bueno (‚gesund
sein‘) oder ser listo (‚schlau sein‘) vs. estar listo
(‚fertig / bereit sein‘) (271f), die ebenfalls anhand von
Satzbeispielen illustriert werden. Auch hier exemplarisch:
-
Tu amigo es muy listo.Dein Freund ist sehr schlau.La traducción tiene que estar lista el viernes a más tardar.Die Übersetzung muss spätestens am Freitag fertig sein.
(271)
In
analoger Darstellung folgt die Verwendung von ser und estar
mit bestimmten Partizipien, z. B. ser / estar abierto
oder ser / estar agradecido (272), d. h. ebenfalls wieder
anhand von Satzbeispielen. Hier in Auswahl:
-
Estas rosas son agradecidas.Diese Rosen sind dankbar.Te estoy muy agradecido por tu ayuda.Ich bin dir für deine Hilfe sehr dankbar.
(272)
In
gleicher Weise wird die Verbindung von estar mit Partizipien
dargestellt, bei denen sich ein Unterschied in der Übersetzung ins
Deutsche ergibt, z. B. ser aburrido (‚langweilig sein‘)
vs. estar aburrido (‚sich langweilen‘) oder ser leído
(‚belesen sein‘) vs. estar leído (‚gelesen werden‘)
(272f). Hier ebenso exemplarisch:
-
Esta película es aburridaDieser Film ist langweiligEstamos aburridos.Es ist uns langweilig.
(273)
Abschließend
folgt in der Grammatik eine Beschreibung der Verwendung von hay
mit Substantiven ohne Artikel oder mit unbestimmtem Artikel, mit
Indefinita und mit Zahlen (274f).
Die
in der Grammatik vorgenommene Darstellung, die hier zum Zwecke der
Anschaulichkeit ausführlich und in Andeutung der dort befindlichen
Tabellen erfolgt ist, kann mit Fug und Recht als lernerfreundlich und
hilfreich für die Erlernung des Spanischen eingestuft werden. Es
wird hier ein für deutsche Lerner nicht gerade einfaches Kapitel der
spanischen Grammatik so präsentiert, dass diesen - zumindest
theoretisch - ein zuverlässiger Umgang mit den beschriebenen
Sprachphänomenen ermöglicht wird: Schwieriges wird in erheblichem
Umfang vereinfacht, ohne dabei die reale sprachliche Komplexität
unzulässig zu reduzieren.
Abschließend
sei nun das Kapitel Die Struktur des spanischen Satzes (415ff)
betrachtet. Der Satz bereitet in seinen komplexeren Varianten
deutschen Spanischlernern erfahrungsgemäß beachtliche
Schwierigkeiten. Generell kann hier festgestellt werden, dass auch
die für deutsche Lerner auch schwierigeren Zusammenhänge - wie
beispielsweise die Umstellung von Subjekt und Prädikat (481ff) oder
auch der Satz mit vorangestelltem (direkten oder indirekten) Objekt
mit dessen Wiederaufnahme durch das entsprechende Personalpronomen
(422f) - weitgehend in gut verständlicher und nachvollziehbarer Form
beschrieben sind. Um dieser Rezension, in der bisher eine
mikrostrukturelle Beschreibung praktiziert worden ist, eine
komplementäre Ausrichtung zu geben, ist es an dieser Stelle
angeraten, dieses Kapitel aus makrostruktureller Perspektive zu
betrachten. Dabei fällt auf, dass zwar die relevanten
intraphrastischen Aspekte - also diejenigen, die den Satz in
seiner inneren Struktur betreffen - umfangreich behandelt werden,
also beispielsweise - in Ergänzung zu den bereits erwähnten
Phänomenen - die Hervorhebung von Satzgliedern (423ff), die
Satzreihe (429f) und das Satzgefüge in seinen verschiedenen
Ausprägungen (430f). Was jedoch fehlt, ist die Behandlung des Satzes
in seinen inter- bzw. transphrastischen
Ausprägungen, also die Verknüpfung von Sätzen. In dieser fehlenden
Perspektive ist - dies muss hier leider recht deutlich formuliert
werden - ein deutliches Manko dieser Grammatik zu sehen: Sie geht
nicht über den Satz hinaus und negiert damit das Phänomen
Text vollkommen. Die Hinwendung zum Text, die in
der Praktischen Grammatik der englischen Sprache bereits
vorhanden war und in der zitierten Rezension auch entsprechend
festgestellt wurde (Tinnefeld 2010: 336f) fehlt hier in Gänze - und
dies in einer Zeit, in der die Textlinguistik seit langem als
etabliert betrachtet werden kann. Es manifestiert sich in der
vorliegenden Grammatik somit das, was die Grammatikographie des
Spanischen generell charakterisiert: ihr generelles Hintertreffen
gegenüber der Grammatikographie des Englischen und - in
eingeschränkter Form - auch gegenüber derjenigen des
Französischen. Jegliche moderne Grammatik - auch jegliche moderne
Satzgrammatik, die die vorliegende Grammatik ja ist - sollte daher
ein ausführliches Kapitel enthalten, in der zumindest
transphrastische oder - besser noch - textlinguistische Phänomene
beschrieben werden. Hier sei somit ein dringlicher Appell an
Autoren und Verlag formuliert, eine solche Beschreibung in die
nächste Auflage dieser Grammatik aufzunehmen. Ein solcher Schritt
würde die vorliegende Grammatik, die für Lerner - dies sei hier
nochmals betont - durchaus attraktiv ist, zu einem ungleich
wertvolleren Referenzwerk werden lassen.
Mit
Blick auf eine Gesamtwürdigung der vorliegenden Grammatik lassen
sich zudem folgende Gesichtspunkte anmerken, die ihrerseits auf dem
Hintergrund unserer Ausführungen zur Praktischen
Grammatik der englischen Sprache (Tinnefeld 2020: 337ff) zu sehen
sind:
- Auch in der vorliegenden Grammatik ist innerhalb der 29 Hauptkapitel keine hierarchische Untergliederung vorgenommen worden. Eine solche würde strukturell orientierten Lernern die Rezeption jedoch erheblich erleichtern.
- Hinsichtlich des Layouts ist auch hier anzumerken, dass es besser wäre, wenn Hervorhebungen der relevanten Strukturen innerhalb der in der Grammatik gegebenen Beispiele - beispielsweise durch Fettdruck - vorgenommen würden, was bislang leider nicht der Fall ist, jedoch die Orientierung des Lerners befördern würde.
- Auch in der vorliegenden Grammatik zu loben ist die verwendete Metasprache: Diese ist - wie bereits mehrfach erwähnt - in aller Regel gut verständlich und präsentiert die sprachlichen Zusammenhänge zudem in angemessener - also nicht unzulässig verkürzter - Form. Auch für diese Grammatik wäre jedoch das Vorhandensein eines Glossars mit den Erklärungen wichtiger, dort verwendeter Termini von Vorteil. Die Erstellung eines solchen sollte daher für künftige Auflagen in Betracht gezogen werden.
- Hinsichtlich des Layouts sei hier ein weiterer Gesichtspunkt vermerkt, der sich jedoch auch auf die übrigen Grammatiken der vorliegenden Reihe bezieht: Die in den Kästen aufgeführten Beispielsätze sind so gestaltet, dass zwischen ihnen keinerlei Zeilenabstand eingefügt ist, was die Lektüre bisweilen erschwert, zumal die Beispielsätze auch nicht im Blocksatz präsentiert werden. Es würde daher die Lektüre ungleich erleichtern, wenn zwischen den einzelnen Beispielen ein Zeilenzwischenraum eingefügt würde, das Layout also - am Beispiel der hier wahllos herausgegriffenen Voranstellung des Objekts im spanischen Satz und zudem durch die Hervorhebung der beschriebenen Sprachphänomene ergänzt (422) - nicht so wäre:
-
Los alemanes les gusta el flamenco.Al Gobierno no hay nada que reprocharle.Todo el dinero que ganan lo invierten en el extranjero.Den Deutschen gefällt der Flamenco.Der Regierung kann man nichts vorwerfen.Das ganze Geld, das sie verdienen, investieren sie im Ausland.
sondern
so:
-
Los alemanes les gusta el flamenco.Al Gobierno no hay nada que reprocharle.Todo el dinero que ganan lo invierten en el extranjero.Den Deutschen gefällt der Flamenco.Der Regierung kann man nichts vorwerfen.Das ganze Geld, das sie verdienen, investieren sie im Ausland.
- Positiv seien an dieser Stelle nochmals das generell recht hohe Verwendungspotential der Beispielsätze hervorgehoben wie auch der ausführliche Anmerkungsteil für die Beschreibung sprachlicher Feinheiten, der einen hohen Informationswert besitzt.
Insgesamt
stellt die Praktische Grammatik der spanischen Sprache für
die von ihr anvisierten Zielgruppen ein wertvolles Lern- und
Nachschlagewerk dar, von dem sie bei regelmäßigem Gebrauch und
aufmerksamer Lektüre viel profitieren können. Dem Attribut,
‚praktisch‘ zu sein, wird die Grammatik somit gerecht. Da viele
der dargebrachten spanischen Beispiele solche Äußerungen
darstellen, die auf lebensrelevante Situationen bezogenen sind bzw. -
mit ein wenig Phantasie - auf solche bezogen werden können, stellt
die Grammatik auch dann noch eine Quelle des Lernens dar, wenn die
wichtigsten Regeln bereits internalisiert sind. Sie bleibt in der
Lernbiographie ihrer Nutzer aufgrund ihrer Ausrichtung somit
lange aktuell.
Die
hier angesprochenen Kritikpunkte sind allesamt konstruktiv
ausgerichtet - mit Blick auf weitere Verbesserungen in der oder den
zu erwartenden Folgeauflage(n). Sie schmälern dabei in keiner Weise
den guten Gesamteindruck, den die Praktische Grammatik der
spanischen Sprache hinterlässt.
Literatur
Matthias
Hutz & Kathryn Khairi-Taraki (unter Mitarbeit von Wolfgang
Reumuth) (2008). Praktische Grammatik der englischen Sprache.
Wilhelmsfeld: Egert.
Tinnefeld,
Thomas (2010). Rezension zu Hutz & Khairi-Taraki (2008). In:
Journal of Linguistics and Language
Teaching 1 (2010) 2, 331-339.
Rezensent:
Prof.
Dr. Thomas Tinnefeld
Hochschule
für Technik und Wirtschaft (HTW) des Saarlandes
Fakultät
für Wirtschaftswissenschaften
W3-Professur
für Angewandte Sprachen
Waldhausweg
14
66123
Saarbrücken
Deutschland
E-Mail:
thomas.tinnefeld@htw-saarland.de
1Wir
verwenden hier die maskulinen Formen in ihrer generischen Funktion
als Verweis auf beide Geschlechter.
2Da
die jeweiligen deutschen Übersetzungen für den Fortgang unserer
Überlegungen nicht weiter relevant sind, werden sie hier nicht
angeführt. Dies gilt ebenso für alle nachfolgenden Fälle, in
denen die entsprechenden deutschen Übersetzungen nicht zitiert
werden.
3Da
die jeweiligen deutschen Übersetzungen für den Fortgang unserer
Überlegungen nicht weiter relevant sind, werden sie hier nicht
angeführt. Dies gilt ebenso für alle nachfolgenden Fälle, in
denen die entsprechenden deutschen Übersetzungen nicht zitiert
werden.