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JLLT edited by Thomas Tinnefeld

Journal of Linguistics and Language Teaching

10th Anniversary Issue (2020), pp. 89-98


Fremde Sprachen lernen durch die Lektüre öffentlicher Räume

 

Ulrich Schmitz (Duisburg-Essen, Deutschland)

  

Abstract (German)

Öffentliche Räume bieten ein ideales Gerüst zur Unterstützung beim Erlernen fremder Sprachen (scaffolding), denn hier erscheinen kurze, oft standardisierte und in leichten Variationen häufig wiederholte Texte an Stellen, deren vorstrukturierter situativer Kontext nur wenige Deutungen zulässt. Oft geben international verständliche semiotische Gestaltung (Textdesign, Typographie, Farbe) sowie zugehörige realistische oder ikonische Bilder zusätzliche Hinweise zur Entzifferung der Bedeutung. Außerdem erscheinen manche Zeichen im öffentlichen Raum mehrsprachig, so dass man im Idealfall von einer bereits bekannten auf eine noch unbekannte Sprache schließen kann. So können Anfänger öffentliche Plätze, Straßen und Gebäude als ersten immersiven Einstieg in ein fremdes Sprachbad nutzen, Fortgeschrittene aber als einen zusätzlichen Weg, neue Vokabeln und Wendungen zu lernen. In diesem Beitrag werden anhand konkreter Beispiele vier didaktisch-methodische Settings dafür vorgestellt. Hier geht es um Deutsch als Fremdsprache; das Modell lässt sich jedoch ebenso gut auf andere Sprachen in anderen Ländern übertragen.

Stichwörter: Öffentliche Räume, Fremdsprachenlernen, scaffolding, semiotische Gestaltung, ikonische Bilder, Immersion, Sprachbad, Deutsch als Fremdsprache

 


Abstract (English)

Public spaces provide an ideal framework to support learning foreign languages (scaffolding). This approach is fruitful because short, often standardized texts (sometimes repeated in slight variations) appear in places whose pre-structured situational context only permits limited interpretations. Internationally understandable semiotic designs (text design, typography, color) as well as realistic or iconic pictures often provide additional clues for learners to decipher meanings. In addition, some signs in public spaces are multilingual, so that ideally, learners can transfer knowledge from a language already known to new language. In this way, beginners can use public places, streets and buildings as a first immersive introduction to a foreign language, while advanced learners can use them as an additional way to learn new vocabulary and phrases. In this article, four methodological settings are presented and exemplified. the target being German as a foreign language. However, the model presented here can just as well be transferred to other languages in other countries.

Keywords: Public spaces, foreign language learning, scaffolding, semiotic designs, iconic pictures, immersion, German as a foreign language

 

 


1   Linguistic Landscapes als zu lösende Rätsel

Der öffentliche Raum ist übersät mit Auf- und Inschriften aller Art. Abbildung 1 zeigt eine Straßenecke in Dortmund-Nordstadt(1):

Abb. 1: Straßenecke in Dortmund-Nordstadt(2)

Wer an dieser oder einer ähnlichen Straßenecke steht und die Sprache, die hauptsächlich zu sehen ist, überhaupt nicht beherrscht, wird zunächst etwas ratlos sein. Ähnlich wie ein kleines Kind beim mündlichen Spracherwerb wird er oder sie versuchen, sich zusammenzureimen, was die einzelnen Wörter und Texte wohl bedeuten. Wenn unsere ratlose Person, nennen wir sie Pat, grundsätzlich (hier lateinische Schrift) lesen kann, wird sie ein Verständnis von Sprache und Schrift überhaupt mitbringen und vermuten, dass man die jeweilige Bedeutung aus dem räumlichen und situativen Kontext wenigstens teilweise erraten oder gar erschließen kann. Dabei helfen ihr visuelle Indizien: Viele Schriftzeichen im öffentlichen Raum erscheinen an ganz bestimmten standardisierten Stellen (z.B. auf Verkehrszeichen), und oft gibt ihre visuelle Gestaltung oder zusätzliche Bebilderung weitere Hinweise, die auch unabhängig von der jeweiligen Landessprache mehr oder weniger international ähnlich, also bereits bekannt sind.(3)

Unten links in Abb. 1 zum Beispiel kennt Pat das textlose Halteverbotsschild aus anderen Ländern. Auch das ebenfalls textlose, schwarzweiße ikonische Fahrradschild im Vordergrund mit den beiden kleinen Pfeilen wird sie problemlos als Hinweis auf einen vorbeiführenden Fahrradweg erkennen, vermutlich jedoch ohne einen Zusammenhang mit dem ganz anders formatierten Schild darüber zu erahnen, das einen beschrifteten breiten weißen Pfeil auf blauem Grund zeigt. Auch das große rote gotische A-Signet mehrfach unten rechts im Bild und rechts oberhalb der Bildmitte dürfte ihr nur geläufig sein, wenn sie häufig in Deutschland unterwegs war und es ihr jemand erklärt hätte. Die meisten anderen Textstücke werden ihr erst einmal fremd sein.

Wer in fremden Ländern durch öffentliche Räume geht und sich darin zurechtfinden muss, wandert mit Leib und Seele durch semiotische Rätsel, die teils leicht, teils schwer zu lösen sind. Das ist etwas sehr viel Unmittelbareres, als Sprachen durch Bücher, im Klassenzimmer oder auch per Internet zu erlernen. Allerdings geht es nur um Schrift, fast immer sogar nur um einzelne Wörter oder sehr kleine Minitexte (wie in Abb. 1). Mündlichkeit und Interaktion fehlen völlig, es sei denn, man geht gezielt in Gruppen durch die Stadt. Aber selbst dann kann ein Herumstrolchen in fremden sprachlichen Landschaften für Anfänger nur ein erster Einstieg in fremde Sprachen sein – oder aber für Fortgeschrittene ein zusätzlicher Weg, neue Vokabeln und kleine elliptische Wendungen zu lernen.

Damit gibt es vier didaktische und entsprechende methodische Settings, Auf- und Inschriften in öffentlichen Räumen zum Sprachlernen zu nutzen:

(a) individuell als Anfänger

(b) individuell als Fortgeschrittener

(c) in Anfängergruppen und

(d) in Fortgeschrittenengruppen

In jedem Fall kann man die allgegenwärtige Beschriftung öffentlicher Räume zum Sprachenlernen nutzen. In dem genannten beschränkten Rahmen (nur sehr kleine schriftliche Texte) geht es kaum motivierender und effizienter.

Im Hinblick auf Setting (a) lässt sich Folgendes festhalten: Sofern Pat die Bedeutung von Apotheke aus bisher bekannten Sprachen (wie z.B. Dänisch oder Polnisch) nicht erschließen kann, wird sie ins Fenster des Geschäfts rechts im Bild schauen, dann sehen, dass vorzugsweise Medikamente verkauft werden, und daraufhin mit ein wenig Intelligenz abduktiv schließen, dass das an dem Geschäft vielfach angebrachte A-Signet eine Abkürzung für das ebenfalls häufig zu lesende Apotheke sein dürfte – ein ganz anderes Wort als das bisher bekannte pharmacy, farmacia o.ä. zusammen mit dem international gebräuchlichen grünen Kreuz als Signet. Damit könnte Pat auch auf die Idee kommen, die weißen Schilder mit schwarzem Text unten rechts an der Säule richtig als Schilder von Arztpraxen zu identifizieren, die in ähnlicher Gestaltung häufig in der Nähe von Apotheken zu finden sind. Möglicherweise könnte Pat weitere Vokabeln auf diesen Schildern erkennen und aus dem Kontext verstehen.

Wenden wir uns nun dem Einbahnstraßen-Schild zu. Ähnlich gestaltete Schilder –ohne oder mit Aufschrift in der jeweiligen Landessprache – gibt es in vielen Ländern der Welt. Zusammen mit dem weißen Pfeil könnte so unmittelbar auf die Bedeutung des Wortes Einbahnstraße geschlossen werden. Überhaupt hilft die international oft ähnliche semiotische Gestaltung funktional ähnlicher Zeichen an bestimmten Plätzen im öffentlichen Raum beim Verständnis ihrer Bedeutung und ggf. auch ihrer Aufschrift. In unserem Beispiel etwa dürfte das oberste blaue Zeichen am Pfahl (samt Nummern darunter) auf Anhieb als Straßennamen-Schild zu erkennen sein. Da wir A schon als Abkürzung von Apotheke verstanden haben, wäre es hier vielleicht nur ein kleiner Schritt, str. als Abkürzung von Straße zu erraten, das zwei Handbreit darunter ja in Einbahnstraße vorkommt.

Kurzum: Platzierung, materielle Grundlage und formales Design von Auf- und Inschriften im öffentlichen Raum wirken als erleichterndes Gerüst (Scaffolding) (z.B. Wood, Bruner & Ross 1976: 90f, 98), um das Verständnis von Wörtern und Texten zu unterstützen.

Einmal so weit gekommen, steht Pat hier mit dem gleichen Wissen vor dem gleichen Rätsel wie auch alle Menschen mit Deutsch als Erstsprache: Wie verhalten sich das Einbahnstraßenschild und das Fahrradschild zueinander? Dafür gibt es wenig Hinweise, nur Konventionen: Schilder, die an demselben Pfosten montiert sind, hängen oft (nicht immer) irgendwie zusammen. In unserer Kultur liest man von links nach rechts und von oben nach unten. Ganz unabhängig von der einzelnen Sprache steht das Thema (worum es geht) meist vor dem Rhema (was zum Thema zu sagen ist), das dann seinerseits wieder zum Thema für ein weiteres Rhema werden kann. Prototypisch sehen und lesen wir das an unserem Schilderpfahl, der wie eine vertikale Zeile wirkt, in der Bedeutung: Die Kielstraße ist eine Einbahnstraße nach rechts, doch Fahrräder dürfen in dieser Straße dennoch in beide Richtungen fahren. Dass das dritte Schild als Ausnahme zum zweiten Schild gilt, muss jeder – unabhängig von der Herkunftssprache – kulturell ebenso lernen wie etwa die Tatsache, dass die auf das dritte Schild aufgeklebten Sticker keinerlei juristische Bedeutung haben.

 

2   Unterschiedliche Diskurse im öffentlichen Raum

Somit wird klar, dass die verschiedenen Zeichen, Wörter und Texte im öffentlichen Raum unterschiedliche pragmatische und soziale Funktionen haben, wie das bei sprachlichen und anderen Zeichen ja immer der Fall ist. Scollon & Scollon (2003: 167) unterscheiden vier Diskurstypen in öffentlichen Räumen: regulatorisch (z.B. Verkehrsregelung), infrastrukturell (z.B. Hinweisschilder zu Straßeneinbauten), kommerziell (z.B. Werbung) und transgressiv (z.B. Graffiti).

In Abb. 1 sind Beispiele für alle vier Diskurstypen zu sehen. Das Einbahnstraßen-Schild steht für den regulatorischen Diskurs (hier mit rechtlicher Wirkung), das Straßennamenschild („Kielstr.“) für den infrastrukturellen Diskurs (hier mit orientierender Funktion), die Apothekenschilder vertreten den kommerziellen Diskurs (teils mit orientierender, oft mit werbender Absicht), und die aufgeklebten Sticker auf dem Fahrradschild sind transgressiv (illegitim und meist mit anonymem Absender).

Es liegt auf der Hand, dass die verschiedenen Diskurstypen in der Regel an dafür vorgesehenen Stellen stehen. Außerdem ziehen sie unterschiedliche Sprachregister und bevorzugen unterschiedliche visuelle Gestaltungen und Typographien. So wäre beispielsweise das „A“-Signet am Pfahl genau so fehl am Platze wie das Wort „Apotheke“ in der für Verkehrsschilder vorgesehenen Schrift(4). Je häufiger man durch öffentliche Räume streift, desto schneller und besser wird man die verschiedenen Zeichen den Diskurstypen zuordnen können: Scaffolding für Fortgeschrittene.

 

3   Fremdsprachenlernen als Schnitzeljagd 

Und damit sind wir beim oben in Abschnitt 1 genannten Setting (b) für fortgeschrittene Einzel-Lerner und -Lernerinnen. Jetzt gehen wir davon aus, dass Pat schon ein wenig Deutsch beherrscht. Der öffentliche Raum kann nun vor allem zum Vokabellernen genutzt werden. Grammatik entfällt weitgehend, denn Texte im öffentlichen Raum sind für extrem kurze Wahrnehmungsspannen verfasst: Das Publikum eilt durch eine unüberschaubare Vielfalt sprachlicher und nichtsprachlicher Zeichen von höchst unterschiedlicher Relevanz und kann es sich kaum leisten, in sich kohärente längere Texte zu lesen. Deshalb greift die Konstruktion und Rekonstruktion visuell erschließbarer Bedeutung im öffentlichen Raum auf eine sehr effiziente Arbeitsteilung von vier Zuträgern zurück: 

i. erlerntes konventionelles Vorwissen der Adressaten, 

ii. Bedeutung des Erscheinungsortes(5),

iii.  visuelle Erscheinung (z.B. Typographie und ggf. zugehöriges Bild) sowie schließlich

iv.  Wörter und Wortketten.

An der Straßenecke in Abb. 1 etwa hat jeder Passant, auch wenn er kein einziges Wort der deutschen Sprache versteht: 

i. eine Ahnung sowohl von der Bedeutung des Stadtbildes allgemein als auch intuitives Wissen über unterschiedliche Diskurstypen.

ii. die (begründete) Vorstellung, dass die jeweiligen Zeichen irgendetwas mit der Stelle zu tun haben, an der sie sich befinden: So dürften die Schilder an genau diesem Pfahl Verkehrsschilder und nicht etwa Werbung sein. (

iii. auf der Basis der visuellen und typographischen Gestaltung, das Verständnis, dass „Lidl“ (ganz unten hinten im Bild erkennbar) nicht etwa ein Gattungsname - also eine unbekannte Vokabel – ist, sondern ein Eigenname, der stets in diesem Logo erscheint.

So steht der Fremdsprachenlerner also nur noch vor der Aufgabe, einzelne Wörter und gegebenenfalls Wortketten zu erschließen. Dabei hilft ihm, dass er sich kaum um Grammatik kümmern muss, denn wegen der genannten Arbeitsteilung wird man kaum grammatische Markierungen finden (in Abb. 1 zum Beispiel keine einzige), obwohl sie im Deutschen als einer herkömmlich eher synthetischen Sprache sonst viel häufiger vorkommen als etwa im Englischen. Allein schon weil Design viel an semiotisch ordnender Leistung übernimmt, bleibt für Grammatik nicht mehr viel zu tun (zur Arbeitsteilung zwischen Grammatik und Design: Schmitz 2017).

Abb. 2: Parkhaus am Hauptbahnhof Bochum (6)

 

Dies gilt auch für Abb. 2. Zwar finden wir fünf Pluralmorpheme, zwei davon bemerkenswerterweise bei Fremdwörtern aus dem Englischen (Fahrzeuge, Einsatzfahrzeuge, Services, Tage und Tickets. Außerdem steht auf dem Schild vorne links der bestimmte Artikel der hier im Genitiv. All das dürfte Pat aber keinerlei Probleme bereiten. Schwieriger sind schon einige Vokabeln. Selbst wenn Polizei bekannt ist – was genau heißt Bundespolizei? Wenn Pat es genau wissen will (was hier gar nicht notwendig ist), könnte sie es mit elementarer Kenntnis der Wortbildung deutscher Substantive erschließen. Sonst hilft simples Nachschlagen im mitgeführten Handy- oder Tablet-Wörterbuch. Ähnliches gilt für 17 Tage Erlebniswelt / Mit 100 % Ökostrom auf dem großen Plakat am Parkhaus. Konstruktiv etwas aufwendiger ist die Ellipse weiter unten Jetzt Tickets sichern! Das Ausrufzeichen deutet auf einen Imperativ hin. Das Verb sichern kann – wie die meisten Wörter – mehrere Bedeutungen haben; in Verbindung mit Tickets lässt es sich an dieser Stelle im kommerziellen Diskurs aber leicht disambiguieren.

Ähnlich können Pat und jeder Fremdsprachenlerner sich durch semiotische und linguistische öffentliche Landschaften bewegen: linguistische Schnitzeljagd mit schnellen Erfolgserlebnissen. Auf diese Weise im räumlichen und visuellen Kontext gelernte Vokabeln werden später in der Regel auch selten vergessen.

 

 

4   In Gruppen durch sprachliche Landschaften streifen

So viel zum individuellen Fremdsprachenlernen im öffentlichen Raum. Geht das auch in Gruppen? Ja, und es macht mehr Spaß – egal ob mit oder ohne Lehrer (Setting (c) und (d)). Zunächst kann man alles auch in Gruppen genau so machen wie oben für einzelne Stadtbesucher beschrieben, nur dass man sich gegenseitig in welcher Sprache auch immer darüber austauschen kann. Hier einige weitere Vorschläge, zuerst für Anfänger, dann aufsteigend für fortgeschrittenere Lerner und Lernerinnen

(1) In kleinen Gruppen geht man durch ein vorher abgestecktes Gebiet (z.B. eine Einkaufsstraße) und fotografiert oder notiert sämtliche Texte, die mindestens ein Wort und höchstens einen vollständigen Satz umfassen. Schon dabei wird man merken, dass es weniger Verständnisschwierigkeiten gibt als man vorher befürchtete. Denn manches kann – wie oben beschrieben – aus dem jeweiligen räumlichen und visuellen Kontext erschlossen werden. Dabei kann man sich gegenseitig helfen. 

(2) Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum ist ein weiteres Hilfsmittel, Wörter und Texte in einer fremden Sprache zu erlernen. Manche Schilder funktionieren gerade so wie ein mehrsprachiges Wörterbuch (Abb. 3 und 4). Allerdings muss man kritisch damit umgehen: Wenn dank der unterschiedlichen Kompetenzen in der Gruppe falsche Übersetzungen auffallen, sollten mögliche Gründe für die Fehler diskutiert werden.

Abb. 3: Brautkleider (7)




Abb. 4: Drücken (8)

 

(3) Alle Mitglieder einer Gruppe können einzeln ausschwärmen, um sämtliche mutmaßlichen grammatischen Morpheme auf In- und Aufschriften in einem vorher abgesteckten kleinen Gebiet (z.B. dreißig Meter einer belebten Straße) zu notieren oder auf Fotos zu unterstreichen. Im anschließenden Gruppengespräch darüber werden zunächst die übersehenen oder die falsch markierten Stellen besprochen. Danach werden die richtig beobachteten grammatischen Markierungen auf ihre spezielle Form und ihre grammatische Funktion im jeweiligen Kotext hin analysiert.

(4) Ausgewählte elliptische Passagen, die nur wenige Wörter umfassen, werden zu kohärenten ganzen Sätzen ausformuliert. Vergleichsweise einfach geht das zum Beispiel mit der Aufforderung Drücken in Abb. 4. Etwas schwerer ist Brautkleider in Abb. 3 auszuarbeiten etwa zu „Hier gibt es Brautkleider.“ oder „Hier können Sie Brautkleider für 200 Euro kaufen.“ Auch Abb. 2 bietet Gelegenheit dazu, die elliptischen Texte zu ganzen Sätzen auszuformulieren und dann zu entscheiden, welche Version an diese Stelle besser passt und warum. Sehr schwer wird es mit den Schildern am Pfahl in Abb. 1, zum Beispiel so: „Die Kielstraße hier ist eine Einbahnstraße. Allerdings dürfen Fahrräder in beide Richtungen fahren.“ [Wieso hält man das für Fußgänger eigentlich für selbstverständlich?] Freilich sind das hier nur Anregungen anhand der Abbildungen. Wirklich fruchtbar wird das Lernexperiment erst, wenn man selbst auf die Straße, auf Plätze oder an und in Hauptbahnhöfe geht.

(5) In manchen Städten werden Flächen bereitgestellt, die man straflos mit Graffiti beschreiben kann. Hier könnte man Texte platzieren, die man vorher gemeinsam überlegt und in der neu erlernten Fremdsprache formuliert hat, um zum Beispiel auf ein bestimmtes Anliegen hinzuweisen.

(6) Am Ende dieses didaktischen Streifzuges durch sprachliche Landschaften kann man gemeinsam darüber diskutieren, warum nicht alle entdeckten Wörter und Texte auf Schildern, in Schaufenstern, an Häusern und Wänden, auf Plakaten und Aufklebern in Deutschland vollständig in deutscher Sprache gehalten sind. Oder aber umgekehrt: Warum nur einige (und zwar welche?) mehrsprachig daher kommen und nicht alle?

 

 

5   Extras

Wer sich eingehender mit der Forschung zu Linguistic Landscapes beschäftigen möchte, wird fündig zum Beispiel bei Auer 2010, Domke 2014, Pütz & Mundt 2019, Schmitt 2018, Shohamy & Gorter 2009, Ziegler et al. 2018 und Ziegler & Tophinke 2019 und in Linguistic Landscape – An international journal. Ausführliche Anregungen zu Linguistic Landscapes in der Deutsch- bzw. Fremdsprachendidaktik geben Ehrhardt & Marten 2018, Marten & Saagpakk 2017 und Badstübner-Kizik & Janíková  2018; für Hochschulstudierende Saagpakk & Marten 2020 (hierzu auch Dürscheid 2016). Anregend und zur Nachahmung empfohlen sind auch die Lingscape-App (Purschke 2018) sowie die StadtsprachenApp für Düsseldorf.

 

 

Bibliographie 

Auer, Peter (2010). Sprachliche Landschaften. Die Strukturierung des öffentlichen Raums durch die geschriebene Sprache. In: Deppermann, Arnulf & Angelika Linke (Hrsg.). Sprache intermedial. Stimme und Schrift, Bild und Ton. (= Jahrbuch 2009 des Instituts für Deutsche Sprache). Berlin & New York: de Gruyter, 271-298.

Badstübner-Kizik, Camilla & Věra Janíková   (Hrsg. 2018). ‘Linguistic Landscape’ und Fremdsprachendidaktik. Perspektiven für die Sprach-, Kultur- und Literaturdidaktik. Berlin, Bern & Wien: Peter Lang. (www.peterlang.com/view/title/65670).

Domke, Christine (2014). Die Betextung des öffentlichen Raumes. Eine Studie zur Spezifik von Meso-Kommunikation am Beispiel von Bahnhöfen, Innenstädten und Flughäfen. Heidelberg: Winter.

Dürscheid, Christa (2016). Reflexion über Sprache im DaF-Unterricht – am Beispiel von kleinen Texten. In: Freudenberg-Findeisen, Renate (Hrsg.). Auf dem Weg zu einer Textsortendidaktik. Linguistische Analysen und text(sorten)didaktische Bausteine nicht nur für den fremdsprachlichen Deutschunterricht. Hildesheim: Olms, 167-183.

Ehrhardt, Claus & Heiko F. Marten (Hrsg. 2018). Linguistic Landscapes – Sprachlandschaften. (= Der Deutschunterricht 4/2018). Seelze: Friedrich Verlag.

Marten, Heiko F. & Maris Saagpakk (Hrsg.) (2017). Linguistik Landscapes und Spot German an der Schnittstelle von Sprachwissenschaft und Deutschdidaktik. München: Iudicium.

Pütz, Martin & Neele Mundt (Eds.) (2019). Expanding the Linguistic Landscape. Linguistic Diversity, Multimodality and the Use of Space as a Semiotic Resource. Bristol: Multilingual Matters, 264-299.

Purschke, Christoph (2018): Sprachliche Vielfalt entdecken mit der Lingscape-App. In: Der Deutschunterricht  4/2018, 70-75.

Saagpakk, Maris & Heiko F. Marten (2020 i.E.). Die Analyse und Gestaltung von Sprache und anderen Zeichen im öffentlichen Raum: Linguistic Landscapes im Dienst der Förderung berufsrelevanter Kompetenzen. In: Haß, Ulrike, Vaiva Žeimantienė & Eglė Kontutytė (Hrsg.). Germanistik für den Beruf. (= Forum Angewandte Linguistik, Bd. 63.) Berlin, Bern u.a.: Peter Lang.

Schmitt, Holger (2018). Language in the Public Space. An Introduction to the Linguistic Landscape. Independently published (ISBN 978-1-9829-2542-0).

Schmitz, Ulrich (2017). Randgrammatik und Design. In: IDS Sprachreport 33.3, 8-17. (https://pub.ids-mannheim.de/laufend/sprachreport/pdf/sr17-3.pdf; 22.03.2020).

Scollon, Ron & Suzie Wong Scollon (2003). Discourses in place: Language in the material world. London u. a.: Routledge.

Shohamy, Elana & Durk Gorter (Eds. 2009). Linguistic landscape: Expanding the scenery. New York and London: Routledge.

Wood, David, Jerome S. Bruner & Gail Ross (1976). The Role of Tutoring in Problem Solving. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry 17.2, 89-100.

Ziegler, Evelyn, Heinz Eickmans, Hacı-Halil Uslucan, David H. Gehne, Sebastian Kurtenbach, Tirza Mühlan-Meyer & Irmi Wachendorff (2018). Metropolenzeichen. Atlas zur visuellen Mehrsprachigkeit der Metropole Ruhr. Duisburg: Universitätsverlag Rhein-Ruhr.

Ziegler, Evelyn & Doris Tophinke (2019). Einleitung: Die Stadt als öffentlicher Kommunikationsraum. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 47.2, 293-312.  (doi.org/10.1515/zgl-2019-0013; 22.03.2020).



Autor:

Prof. Dr. Ulrich Schmitz

Universität Duisburg-Essen

Institut für Germanistik

Universitätsstraße 12

45141 Essen

Deutschland

E-Mail: ulrich.schmitz@uni-due.de


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(1) Auch in den folgenden Beispielen unterstellen wir Deutsch als zu lernende Fremdsprache. Analoges gilt natürlich für alle Fremdsprachen auch in anderen Ländern.

(2) Dies ist das Foto Nr. 1570 aus der Datenbank des Projekts „Metropolenzeichen: Visuelle Mehrsprachigkeit im Ruhrgebiet“, gefördert vom Mercator Research Center Ruhr (MERCUR GZ: Pr-2012-0045, Laufzeit: 01.08.2013 - 31.08.2018. Darstellung wichtiger Ergebnisse in Ziegler u.a. 2018, dort auch zahlreiche weitere Fotos.

(3) Deswegen nennen wir unsere ratlose Person „Pat“: Picture and Text.

(4) Nämlich die Serifenlose Linear-Antiqua, Verkehrsschrift gemäß DIN 1451, Teil 2 (Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung vom 26. Januar 2001).

(5) Vgl. Auer (2010: 275) über ortsfeste Schrift, die Handlungs-Räume eröffne.

(6) Foto Nr. 5937 aus dem Projekt „Metropolenzeichen“.

(7) Foto Nr. 4049 aus dem Projekt „Metropolenzeichen“

(8) Foto Nr. 1869 aus dem Projekt „Metropolenzeichen“