Journal of Linguistics and Language Teaching
Volume 5 (2014) Issue 2
S. 259-268
S. 259-268
Bürgel
Christoph & Dirk Siepmann (Hrsg.): Sprachwissenschaft -
Fremdsprachendidaktik: Neue Impulse. Baltmannsweiler: Schneider Verlag
Hohengehren 2013 (Thema Sprache - Wissenschaft für den Unterricht; Bd. 6). 225
Seiten. (ISBN 978-3-8340-1208-1)
Der vorliegende Sammelband, der die wissenschaftlichen
Ergebnisse des ersten der von den beiden Herausgebern etablierten
Osnabrücker Symposien aus dem Jahre 2011 präsentiert, verfolgt die
Zielsetzung, eine weitergehende Verbindung zwischen der Sprachwissenschaft
einerseits und der Fremdsprachendidaktik voranzutreiben, und folgt damit einem
Trend, der sich seit einigen Jahren auf
diesem Gebiet abzeichnet. Auf diesem Hintergrund werden vier Bereiche genauer
untersucht. Bei diesen handelt es sich um:
• die von Phraseologie- und
Kollokationsforschung erarbeiteten und für die Erlernung von Fremdsprachen
nutzbaren Ergebnisse,
• die von der
Sprachwissenschaft für die Erstellung von Curricula und Lehrmaterialien
verwertbaren Erkenntnisse,
• Implikationen der Forschung
zum Zweitsprachenerwerb und zur Lernersprache und
• die mögliche Nutzung
übersetzungswissenschaftlicher und textlinguistischer Erkenntnisse für den
Fremdspachenunterricht.
Dabei soll sowohl der Forschungsebene - im Hinblick
auf eine engere Verbindung zwischen linguistischer Forschung und
sprachdidaktischen Handlungskonzepten - als auch der Ebene praktischen
Unterrichtens - einer verbesserten Integration sprachwissenschaftlicher und
prasixrelevanter Inhalte des Lehramtsstudiums - Raum gegebenen werden (Vorwort
(o.S.)). Hierfür bestehe die Notwendigkeit, die Ergebnisse der
Sprachwissenschaft mehr und besser als bisher verfügbar zu machen (ibid.).
Der Bereich Phraseologie- und Kollokationsforschung
- und somit auch der gesamte Band - wird durch den Beitrag von Heinz-Helmut
Lüger (Koblenz-Landau) eröffnet, der sich am Beispiel von Günter Grass'
Roman Ein weites Feld mit dem Thema Feste Wortverbindungen im
Übersetzungsvergleich (1-20) beschäftigt. Dabei geht er auf Probleme ein,
die sich bei der Übersetzung von Mehrwortverbindungen vom Französischen ins
Deutsche ergeben, wobei er Fragen der
Bedeutungskonstitution ebenso berücksichtigt wie die zu identifizierenden
Bedeutungsebenen und die Leistungen dieser Ausdrücke für den (Kon)Text. Der
untersuchte Roman von Günter Grass bietet sich dabei für eine Untersuchung wie
die vorliegende in besonderer Weise an, da er sich einer Lektüre auf lediglich
einer einzigen Sinnebene entzieht und
eine vielgestaltige Lektüre repräsentiert, die einen aktiven Leser
voraussetzt (1). Nach einer Abgrenzung des Gegenstandsbereiches - von
Wortpaaren, zweigliedrigen Vergleichen und phraseologischen Vergleichen über
prädikative Konstruktionen und verbale Phraseolexeme bis hin zu festgeprägten
Sätzen, geflügelten Worten und Slogans (2) - werden die Wichtigkeit und
Vielschichtigkeit dieser Mehrwortverbindungen gewürdigt. Diese
Vielschichtigkeit bewirke eine bereichernde Lektüre des Romans, jedoch erlange
mit ihr auch die Frage nach der Übersetzbarkeit dieser Wortverbindungen
Relevanz (4). Anhand allgemeiner Beispiele werden zunächst grundlegende
Übersetzungsprobleme aufgezeigt: Wortverbindungen, die in beiden Sprachen
vorhanden sind (z.B. dt. etwas auf dem Tablett servieren - fr. offrir qch
sur un plateau[1]) (5) und die in aller Regel unproblematisch zu
übersetzen sind. Ungleich problembehafteter sind solche Verbindungen, bei denen
kein solches zielsprachliches Äquivalent gegeben ist oder bei denen eine
semantische Verschiebung stattfindet (z.B. dt. Wasser auf die Mühlen der
Sozialdemokratie - fr. de l'eau au moulin de la social-démocratie) (6). Die
frequenteste Kategorie bilden solche Wortverbindungen, die mit Hilfe nicht
vorgeprägter Formulierungen übersetzt werden (dt. sich um Kopf und Kragen
reden - fr. se griller politiquement) (7). In solchen Fällen, in
denen kein zielsprachliches Äquivalent existiert, wird in der Übersetzung
bislang stilistisch vereinfacht (z.B. dt. Knall auf Fall - fr. à l'instant même) (7). Eine
weitere Kategorie stellen solche Übersetzungen dar, in denen eine
Null-Entsprechung im Deutschen durch eine Mehrwortverbindung im Französisch
wiedergegeben wird (8). Feste Wortverbindungen haben im untersuchten Korpus im
Wesentlichen zwei Funktionen - diejenige des Ausdrucks von Bewertungen und
Einstellungen und diejenige der Textverflechtung und Textbildung. Im Bereich
der erstgenannten Funktion stellt der Autor an den Beispielen Perlen vor die
Säue werfen und sich nicht die Bohne kümmern fest, dass es aufgrund
zielsprachlicher, oder kontextueller Gegebenheiten bisweilen geradezu unmöglich
ist, Bedeutungsverluste beim Übersetzen zu vermeiden (9ff). Im Bereich von
Textverflechtung und Textbildung - also der transphrastischen Verwendung von
Mehrwortverbindungen - wird herausgearbeitet, wie diese auf textlinguistischer
Ebene zur Eröffnung oder Beendigung von Äußerungssequenzen über die Themen Redefreiheit
(z.B. dt. kesse Lippe mit der nur quantitativ im Sinne von
'Geschwätzigkeit' zufriedenstellenden französischen Übersetzung avoir la
langue bien pendue) und persönliche Abhängigkeitsverhältnisse (z.B.
jemanden am Haken haben, wobei der orientierungstiftende Charakter in der
französischen Übersetzung durch die Verwendung unterschiedlicher Entsprechungen
nicht erhalten bleibt) verwendet werden und somit zum Aufbau der jeweiligen
Handlungsebene beitragen. Auf diese Weise können Mehrwortverbindungen die Ebene
der Romanfiguren wie auch diejenige der Beziehung zwischen Autor und Leser zu
konstitutieren helfen. Generell geht mit der Verwendung von
Mehrwortverbindungen und dem mit ihnen verbundenen Hervorhebungseffekt somit
die Steuerung der Aufmerksamkeit des Lesers und letztlich eine Steigerung der
Attraktivität des jeweiligen Textes - hier also des ausgewählten Romans - einher. Heinz-Helmut Lüger gelingt es, diese
Zusammenhänge, die hier lediglich angedeutet werden können, auf gut
nachvollziehbare Art und Weise zu präsentieren.
Susanne Dyka und
Eva Scharf (Erlangen-Nürnberg) analysieren in ihrem Beitrag die Präsentation phraseologischer Angaben in
vier zweisprachigen Wörterbüchern Deutsch / Englisch und legen dafür das
Duden-Oxford Großwörterbuch Englisch (2005) (DudOx), Das große Oxford
Wörterbuch Englisch-Deutsch (22009) (GOW), das Langenscheidt
Collins Großwörterbuch Englisch (2008) (LCGwE) und das Pons
Großwörterbuch Englisch (2005) (PGW) zugrunde (21-42). In diesen
Wörterbüchern wurden 60 Lemmata hinsichtlich der Darstellung von
Mehr-Wort-Angaben (Schreibung der Autorinnen) analysiert. Dabei
konzentrieren die Autorinnen sich auf den deutsch-englischen Teil der
untersuchten Wörterbücher - somit auf denjenigen, der
sprachproduktionsorientiert ist (im Unterschied zum englisch-deutschen Teil,
der per definitionem nicht auf die Produktion, sondern vielmehr auf die
Rezeption zielsprachlicher Texte abhebt) (22f). Untersucht wurden die jeweils
zehn ersten Einträge von Adjektiven, Substantiven und Verben der zufällig
bestimmten Buchstaben B und H. Als phraseologische Angaben
wurden alle diejenigen Informationen gewertet, die den jeweils aufgeführten
Äquivalenten folgen und mindestens ein weiteres Wort zuzüglich zum Lemma
enthalten, wie auch solche Informationen, die in dem jeweiligen Wörterbuch als
Wendungen ausgewiesen sind (23). Da die quantitative Behandlung
phraseologischer Angaben tendenziell mehr oder minder proportional zu der Größe
des jeweiligen Wörterbuches ist (30ff), wollen wir uns hier auf die
qualitativen Ergebnisse beschränken. So konnte in den untersuchten
Wörterbüchern die Tendenz ermittelt werden, dass phraseologische Angaben
lediglich in Form von Mehr-Wort-Kombinationen dargestellt werden, nicht jedoch
- wie dies im Sinne der Anschaulichkeit wünschenswert wäre - in Form von
Satzbeispielen (34). Dabei ist jedoch auch das Problem zu benennen, dass in
Satzbeispielen Kollokationen vom Lerner oft nicht bemerkt werden (35) bzw. -
wie hier hinzugefügt werden kann - im Wörterbuch nicht als solche ausgewiesen
sind. Zudem wird nicht eindeutig zwischen freien Kombinationen einerseits und
Kollokationen andererseits unterschieden (35). Ein - auch aus Sicht des
Rezensenten - erhebliches Rezeptionsproblem wird durch die sogenannten
unechten Restriktionen generiert. Bei diesen handelt es sich um Fälle wie
den von den Autorinnen zitierten, bei denen, z.B. im LCGwE, in dem Eintrag
bärenstark das Äquivalent terrific angegeben wird und als Kollokation
ein ~es Buch angeführt wird. Anstelle des ebenfalls möglichen
Ausdrucks a terrific book wird jedoch der Ausdruck an amazing book
aufgeführt, was beim Lerner den Eindruck suggeriert, dass der Ausdruck a
terrific Book im Englischen nicht möglich sei - eine Information, die er
dann - missverständlich - im Sinn einer Verwendungsrestriktion umdeutet (35f).
Ein frequentes Problem ist schließlich, dass eine gegebene Mehr-Wort-Angabe nur
mit Hilfe eines Beispiels illustriert wird, dass zu ihr jedoch kein Äquivalent
angegeben wird (37). Als Konsequenzen für die Lexikographie ergeben
sich aufgrund dieser Ergebnisse nach Ansicht der Autorinnen u.a. eine mögliche
Aufnahme von Beispielen nur in der Zielsprache, nicht jedoch mit deutschen
Übersetzung, die Vermeidung unechter Restriktionen, die typographische
Kenntlichmachung echter Restriktionen und die - aus unserer Sicht sehr wichtige
- Forderung der Einführung der lexikographischen Kategorie Kollokation.
Des Weiteren seien wünschenswert: die Nutzung eines partiell onomasiologischen
Ansatzes durch Zusammenstellung relevanter phraseologischer Angaben zu
umfassenden Einträgen (z.B. zu dem Lexem bath die Hinzufügung von
Informationen zu baden / Baden / Bad…), die ungleich prominentere
Berücksichtigung von Sprachkorpora als bisher und eine insgesamt ungleich
bessere Strukturierung phraseologischer Angaben, als es derzeit der Fall ist
(38f). Wenn die aufgrund dieser Analyse aufgezeigten Probleme auch lediglich
als ein erster Schritt in Richtung auf eine Verbesserung der lexikographischen
Situation bezeichnet werden können, so ist dies doch unzweifelhaft ein
wichtiger Schritt.
Auch der Beitrag von Krista Segermann (Jena)
"Zur didaktischen Relevanz einer inhaltsorientierten Lexiko-Grammatik des
Französischen" ist am Lerner orientiert (43-55). Bei dieser Grammatik, die
im Internet unter der Adresse www.kristasegermann.de frei zugänglich
ist, handelt es sich um ein Systematisierungs- und Nachschlageinstrument, das
sprachwissenschaftliche Forschungsergebnisse in kreativer Weise didaktisch
umsetzt, den Lernern von unmittelbarem Nutzen sein soll und von der Autorin
seit Jahren mit großer Tatkraft vorangetrieben wird. Die Grammatik basiert auf
dem Jenaer Bausteinkonzept. Dieses besteht aus den folgenden Bausteinen:
Subjekt~, Objekt~, Verb~, Umstands~, Attribut~, Prädikativ~, Pronomen-Verb~,
Infinitiv~, Verknüpfungs~, Frage~ und Redeformel~) (43ff). Bei deren
Bearbeitung und Füllung, die dem Prinzip vom Inhalt zur Form folgt,
steht jeweils der Lerner mit seinen potentiellen Kommunikationsbedürfnissen im
Vordergrund (47ff). Ziel der Grammatik ist dabei letztendlich eine anschauliche
Systematisierung der Grundstrukturen des Französischen und die Schaffung der
Möglichkeit der Bewusstmachung dieser für den Lerner (49). Technisch ist die
Grammatik untergliedert in ein nur dem Programmierer zugängliches Bauprogramm
und ein an den Lerner gewandtes, jedoch nicht interaktives Benutzerprogramm
(50ff). Dieses ist das eigentliche Nachschlage- und Lernwerk, das es dem Lerner
erlaubt, seine individuelle Textproduktion zu verbessern, und durch seine
interne Vernetzung der Erweiterung seines Wortschatzes Raum gibt. Dabei soll
die Beschäftigung mit den jeweiligen Sprachstrukturen die Erlernung der diesen
unterliegenden grammatischen Regeln ersetzen. Die Lexiko-Grammatik, die Lernern
eine wertvolle Hilfestellung geben kann, ist prinzipiell sowohl für das
Autonome Lernen als auch für eine Verwendung im Unterricht geeignet.
Den Bereich der Gestaltung von Curricula und
Lehrmaterialien eröffnet der Beitrag von von Thomas Herbst
(Erlangen-Nürnberg). In seinem Artikel Von Fledermäusen, die auch Schläger
sind, und von Gerundien, die es besser nicht gäbe (57-76) zeigt er
Möglichkeiten der Übertragung der Erkenntnisse der Korpuslinguistik und der
Konstruktionsgrammatik auf die Wortschatzdarstellung von Englischlehrwerken und
von Lernergrammatiken und geht dabei von einem fließenden Übergang zwischen den
Bereichen Lexik und Grammatik - einem "lexikogrammatischen
Kontinuum" (58) - aus. So reflektiere die Lehrwerkpraxis im Rahmen der
Lexik seit Langem die Situation, dass dort - im Unterschied zu Wörterbüchern,
die zu Einworteinträgen tendieren - unproblematisch auch solche
Mehrworteinträge aufgenommen werden wie at all oder of course,
die als Konstruktionen im Sinne Sinclairs zu verstehen sind (59f). Ein
erhebliches lexikographisches Problem ergibt sich immer dann, wenn - wie in
Lehrwerken allgemein üblich - einem englischen Lexem ein Beispielsatz mit einer
entsprechend aktualisierten Bedeutung beigegeben wird, jedoch in den zu dem
Lexem aufgeführten Bedeutungen auch solche semantischen Anteile vertreten sind,
die durch den Beispielsatz nicht abgedeckt werden (60ff). Eine solche
Darstellung kann bei den Lernern nur zu Verwirrung führen. In dieser Situation
plädiert der Autor für ein splitting, also die Aufgliederung der
gegebenen semantischen Information in Übereinstimmung mit dem jeweils gegebenen
Beispielsatz - also beispielsweise für das Verb to change in der
Bedeutung umsteigen die Angabe eines Beispielsatzes mit eben dieser
Bedeutung des Verbs (60ff). Im Rahmen der Grammatik spricht er sich für eine
striktere Trennung der Ebenen formale Einheiten als Bedeutungsträger,
formale Homonymie oder Polysemie und Funktionen von Formen innerhalb von
Konstruktionen aus (64f). Zudem sei von zentraler Bedeutung, dass in der
grammatischen Terminologie nur solche Begriffe berücksichtigt würden, die für
die jeweils gegebene Sprache auch von Relevanz sind. Für das englische
gerund erkennt Herbst diese Notwendigkeit nicht. Hier spricht er sich dafür
aus, keine Differenzierung zwischen gerund und participle mehr
vorzunehmen, da diese funktional nicht gerechtfertigt sei, denn es bestehe
zwischen beiden keinerlei morphologischer Unterschied, und ein Erkenntnisgewinn
sei aus dieser Differenzierung auch nicht abzuleiten (65ff). In Lehrwerken und
Curricula solle in Zukunft also auf diese terminologische Unterscheidung
verzichtet werden. In diesem Sinne spricht sich der Autor für eine
call-a-spade-a-spade-Grammatik aus, also eine solche, in der funktionale
Gesichtspunkte eine zentrale Rolle spielen (71f). Die hier analysierten
Bereiche sind nach Meinung Herbsts Anzeichen dafür, dass in der
Fremdsprachendidaktik die Erkenntnisse der modernen Linguistik in Zukunft weit
mehr als bisher beachtet werden müssen (73) - eine Auffassung, der voll
zuzustimmen ist.
Peter Fenn
(Ludwigsburg) beschäftigt sich seinerseits mit einem grammatischen Thema und
stellt seinen englischsprachigen Aufsatz unter den Titel Applied linguistics
and the teaching of grammar in a university EFL setting (77-102). Der Autor
plädiert dabei für eine stärkere Vernetzung von Sprachwissenschaft, Angewandter
Linguistik, sprachpraktischer Ausbildung und Fremdsprachendidaktik, wobei die
Grammatikvermittlung - ihre Rolle und Funktion - in der Ausbildung künftiger
Englischlehrer hier im Mittelpunkt steht. Dabei geht er zunächst auf das
Verhältnis zwischen ‘reiner’ und angewandter Sprachwissenschaft ein und beklagt
die Abkehrung Ersterer von strukturalistischen Prinzipien, wobei die Angewandte
Linguistik strukturalistisch-deskriptiv orientiert blieb - ein Ungleichheitsverhältnis,
das nach Ansicht des Autors bestehende Antagonismen stärke (78f). Die deutsche
Englischlehrerausbildung kranke außerdem daran, dass sprachliche Gesichtspunkte
aus dem Blickfeld gerieten, da sich dort einerseits hauptsächlich auf Lehrer-
und Schülerverhalten konzentriert werde und andererseits fortgeschrittene
Lerner und ihre sprachlichen Bedürfnisse kaum berücksichtigt würden. Hinzu
komme bisweilen eine gewisse "Primitivität" grammatischer Erklärungen
(80ff). Die sprachpraktische Ausbildung an der Universität werde in vielen
Fällen im Sinne eines "practice by doing"-Ansatzes auf
Konversation mit einem Muttersprachler reduziert und sei weitgehend
fertigkeitsorientiert. Dabei seien konkrete und systematisch definierte
Sprachlernziele eher die Ausnahme als die Regel. Zudem würden sprachpraktische
Veranstaltungen bei Forschungsvorhaben meist außen vor gelassen (82ff). Nach
diesen durchaus pointiert formulierten Anmerkungen präsentiert Fenn eine
Analyse des englischen Present Perfect (85ff), die hier nicht im
Einzelnen nachgezeichnet werden kann. Hingewiesen sei hier lediglich auf die
Berücksichtigung der sogenannten Reichenbach notation, in deren Rahmen
die Parameter Sprechzeit, Handlungszeit
und Referenzzeit von Bedeutung sind und die - nachdem sie
jahrzehntelang unberücksichtigt geblieben ist - nun endlich in die Vermittlung
des Englischen Eingang finden solle
(91ff). Nach seinen Schlussfolgerungen präsentiert Fenn - gleichsam als Zugabe
- unter dem Titel Theory in practice - puzzles to ponder on (93ff) eine
Reihe von Beispielsätzen, die er nach Reichenbach analysiert. Wenn der Autor in
seinem Beitrag auch bisweilen sehr deutlich wird, so zeigt er doch Bereiche der
Lehrerausbildung auf, die ein erneutes Nachdenken wert sind.
Claudia Polzin-Haumann (Saarbrücken) stellt das im Rahmen einer Kooperation
der Universität der Großregion SaarLorLux (Universität des Saarlandes,
Universität Luxemburg und Université de Lorraine, Campus Metz) innerhalb eines Hauptseminars
durchgeführte Pilotprojekt Mehrsprachigkeit - Umgang mit Wissen in
multilingualen Kontexten - La gestion du savoir dans des contextes plurilingues
vor (103-116). Im Mittelpunkt dieses Projektes standen offene Desiderata der
Mehrsprachigkeitsforschung und Fragen der Sensibilisierung Lehramtsstudierender
- und somit künftiger Fremdsprachenlehrer - für die vielfältigen Aspekte der
Mehrsprachigkeit in Kommunikation, Wissenstransfer und Wissenskommunikation.
Den Schwerpunkt der ersten Seminarsitzung in Luxemburg bildeten Fragen des
institutionellen Umgangs mit Sprachenvielfalt, deren schulischer Frühbeginn und
deren Implementierung in Bildungsinstitutionen. Im Mittelpunkt der
Blockveranstaltung in Metz standen soziologische, soziokulturelle und
soziolinguistische Gesichtspunkte - gerade auch im Verhältnis zwischen
Standardsprache und Dialekt (Lëtzebuergisch). In der dritten Veranstaltung in
Saarbrücken wurden die in Luxemburg zuvor gemachten Sprachaufnahmen wie auch
ein gemeinsam entwickelter Fragebogen analysiert und zudem eine Einführung in
das Konzept EuroComRom als Beispiel des interkomprehensiven
Sprachenlernens gegeben (109f). Die Evaluation des Seminars durch die
Studierenden war positiv, wobei sie besonders seinen internationalen und
interdisziplinären Charakter würdigten (110ff). Die Ergebnisse des Projekts
sind aus der Sicht der Autorin vielversprechend für das Saarland und die
Großregion SaarLorLux, könnten aber durchaus auch für andere Regionen anregend
sein (113).
Der Beitrag von Thorsten Piske
(Erlangen-Nürnberg) zum fremdsprachlichen Frühbeginn eröffnet den dritten
Themenereich des Bandes zu Zweitsprachenerwerbsforschung und Lernersprache. Der
Autor analysiert die Faktoren Alter, sprachlicher Input,
Geschlecht und Motivation im Hinblick auf die Ausspracheentwicklung
und die Grammatikkenntnisse von Zweitsprachenlernern (117-144). Auf der Basis
der Forschungsergebnisse der letzten zwei Dekaden ist zwar ein möglichst frühes
Einsetzen des Fremdsprachenunterrichts von erheblicher Bedeutung (121f), noch
wichtiger als dieses ist - nicht zuletzt für die Erlernung einer möglichst
guten Aussprache - jedoch das Vorhandensein eines quantitativ intensiven und
qualitativ hochstehenden fremdsprachigen Inputs (123ff), wobei hier durch
bewusstmachende Übungen ein weiterer
Effizienzgewinn erzielt werden kann (127). Der Faktor Geschlecht spielt
für die Erlernung der Fremdsprache im Sinne eines möglichst gering ausgeprägten
Akzents hingegen wohl keine ausschlaggebende Rolle (128f). Der Faktor
Sprachlernbegabung ist zwar als solcher eher als diffus zu werten, jedoch
bringt die generelle Fähigkeit zur Imitation fremder Laute Sprachlernern allem
Anschein nach Aussprachevorteile (129). Die Motivation der Lerner spielt
hingegen für die Entwicklung einer möglichst akzentfreien Aussprache nahezu
keine Rolle (130). Hinsichtlich des muttersprachlichen Hintergrundes der
Schüler sollten Ausspracheübungen besser mit Blick auf diesen differenziert
werden, als dass allen Schüler die gleichen Übungen präsentiert würden. Für den
Erwerb grammatischer Kenntnisse sind solche Faktoren ungleich bedeutsamer als
das Alter der Lernenden wie der zeitliche Umfang des Verweilens in
fremdsprachigen Lernumgebungen, die Qualität des dabei erhaltenen Inputs und
die Häufigkeit der Verwendung der Fremdsprache durch die Lernenden (131ff). Auf dem Hintergrund
dieser Forschungsergebnisse spricht Piske sich u.a. für eine Ausweitung des
Immersionsunterrichts an Grundschulen aus (138). Die hier dargestellten
Ergebnisse könnten - wenn sie konsequent auf die Praxis angewandt würden - zu
einer erheblichen Effektivitätssteigerung des Fremdsprachenunterrichts führen,
zumal Immersionsunterricht prinzipiell auf allen Lernstadien und in jedem
Lernalter vorstellbar ist, was hier hinzugefügt sei.
Sabine Diao-Klaeger (Lyon) und Britta Thörle (Siegen)
stellen in ihrem Beitrag die ersten Ergebnisse einer Pilotstudie zu der
Verwendung von Diskursmarkern im Spracherwerb des Französischen vor - einem
Bereich also, der bisher von der Spracherwerbsforschung weitgehend
vernachlässigt worden ist (145-160). Diskursmarker wie ben, quoi,
voilà oder et donc sind von erheblicher Bedeutung für das
gesprochene Französisch, da sie Diskurs strukturierende Funktionen haben und
nicht zuletzt als Signale des sogenannten turn taking dienen (146).
Diskursmarker stellen für Lerner jedoch spezielle Probleme dar, da sie formal
unbestimmt sind, unterschiedlichen Wortarten angehören und mit üblichen
linguistisch-schulgrammatischen Mitteln (z.B. Weglassprobe, Erfragung oder Negationstest) nicht identifizierbar sind (146). Probanden der hier
dargestellten Untersuchung waren Studierende unterschiedlicher Fachrichtungen
(Lehramt Französisch bzw. Spanisch, wirtschaftswissenschaftliche Studiengänge
und andere (geisteswissenschaftliche) Studiengänge), die für das Folgejahr
einen Auslandsaufenthalt als Erasmusstudenten oder Fremdsprachenassistenten
geplant hatten. Diese mussten drei Aufgaben erledigen: die Versprachlichung
einer Bildergeschichte aus der Reihe Vater und Sohn, die Führung
eines Telefongesprächs mit einem
Muttersprachler und die Planung einer Reise im direkten Gespräch mit einem
Muttersprachler oder Nicht-Muttersprachler. Nach ihrer Rückkehr sollen den
Studierenden nochmals Aufgaben vorgelegt werden, um festzustellen, ob sich
durch den Auslandsaufenthalt in ihrem Gebrauch von Diskursmarkern Veränderungen
ergeben haben (149). Im Rahmen eines formbezogenen Ansatzes lassen sich zum
gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine belastbaren Aussagen zu Frequenz und
Variation der Verwendung von Diskursmarkern durch Lernende machen. Gleiches
gilt für das Verhältnis von Transfer und Interferenz (150f). Dagegen konnten am Beispiel von
bien bzw. très bien erste Tendenzen hinsichtlich einer
Übergeneralisierung von Diskursmarkern durch die Studierenden konstatiert
werden, was jedoch noch durch weitere Untersuchungen bestätigt werden muss
(152ff). In funktionaler Hinsicht konnten im Bereich des back-channeling
Strategien festgestellt werden, bei denen die fehlende Beherrschung von
Diskursmarkern durch nonverbale Signale oder die Wiederholung der Äußerungen des
Partners kompensiert wurden (155). Hinsichtlich der Beendigung von Gesprächen
mit Hilfe von Diskursmarkern wurden durchwachsene Ergebnisse ermittelt (155ff).
Im Rahmen der beschriebenen Untersuchung war es bislang nur möglich,
"Auffälligkeiten" der Lernenden in ihrer Verwendung von
Diskursmarkern zu finden (157f). Exaktere Aussagen konnten bislang nicht
getroffen werden. Hinzu kommt, dass die vorliegende Darstellung der Ergebnisse
sich eher auf individuelle Verhaltensanalysen beschränkt als generalisierbare
Ergebnisse ermöglicht. Für Letztere wird man die weitere Entwicklung der
Pilotstudie abwarten müssen.
Marcus Callies (Bremen) beschäftigt sich ebenfalls mit
einem Lernerkorpus, und dies im Rahmen der Lernerkorpuslinguistik als Brücke
zwischen Sprachwissenschaft, Fremdsprachenerwerbsforschung und
Fremdsprachendidaktik (161-188). Bislang existiert keine zuverlässige
Definition der Notion fortgeschrittener Lerner bzw. near-native
competence. Ebenso ist bislang nicht wissenschaftlich erforscht, ab welchem
Zeitpunkt Lerner als fortgeschritten angesehen werden können, auf welche Weise
sie sich von Lernern mittleren Sprachbeherrschungsniveaus unterscheiden und
wodurch von Muttersprachlern (163). Antworten auf diese Fragen werden mit Hilfe
des Corpus of Academic Learner English (CALE) zu geben versucht, das
sieben wissenschaftliche Textsorten wie beispielsweise abstracts, research
papers oder summaries abdeckt (165). Die einzelnen Texte des Korpus
entstanden im Rahmen von Lehrveranstaltungen, an denen die beitragenden
Englischstudierenden teilnahmen. Lerner, die Texte zum Korpus beisteuern,
werden dabei über einen detaillierten, obligatorisch von ihnen einzureichenden
Fragebogen, mit deren Hilfe wichtige Parameter erfragt werden, hinsichtlich
ihres Sprachlernstandes erfasst (165). Auf der Basis von CALE sollen typische
Problembereiche und Einflussfaktoren sowie Charakteristika der Lernervarietäten
fortgeschrittener Sprecher erforscht werden (167). Im Anschluss an diese
einführende Darstellung wird eine Fallstudie vorgestellt, in der die in
wissenschaftlichen Texten geforderte Ausblendung des Autors, der sich möglichst
nicht mit Hilfe der ersten Person Singular bezeichnen soll, erforscht wird -
eine Sichtweise, die im englischen Sprachraum jedoch seit einiger Zeit im
Umbruch befindlich ist und in unterschiedlichen Fachrichtungen verschieden
gehandhabt wird (167ff). Die im Korpus
erhobenen Daten verweisen zum einen auf eine signifikante Überrepräsentation
der ersten Person Singular und Plural, zum anderen auf eine Überrepräsentation
formaler Subjekte wie it oder there, was - auch nach Aussage des
Autors - zunächst widersprüchlich erscheint. Gleichzeitig sind (unbelebte,
nicht-agentivische) Sachsubjekte im Korpus unterrepräsentiert (171ff).
Ergebnisse wie diese sollten nach Meinung des Autors Eingang finden in
Lehrmaterialien und in die Konzeption von Schreibkursen (Academic Writing)
(177). Abschließend stellt Callies einige wichtige Vorteile von Sprachkorpora zusammen, die gegenwärtig in
der Sprachwissenschaft - und nicht nur dort - eine immer größere Bedeutung
erlangen. Diese Vorteile beziehen sich im Wesentlichen auf die direkte
Anwendbarkeit von Korpusdaten auf Unterricht und Unterrichtspraxis - und
konkret auf die Erstellung von Unterrichtsmaterialien und die Bewertung
sprachlicher Leistungen im Hinblick auf Korrektheit und Idiomatizität. Des
Weiteren bieten Korpora Vorteile für die Unterscheidung zwischen korrektem und
falschem Sprachgebrauch, die sich nicht nur auf den Unterrichtsalltag, sondern
auch auf alle Ebenen der Lehrerausbildung beziehen lassen (177ff). Dabei
verweist Callies jedoch zu Recht auf die Diskrepanz, die zwischen der
Begeisterung der Korpuslinguisten zum einen und der Rezeption von Korpora durch
praktizierende Lehrer zum anderen besteht (179f). Andererseits können Korpora
zur Erfüllung vieler von Lehrern geäußerter Wünsche beitragen - wie z.B. einer
verbesserten sprachlichen Aktualität von Lehrwerken, der Schaffung besserer und
dabei normbezogener (elektronische) Nachschlagewerke und Hilfe bei der
sprachlichen Korrektur von Klausuren (180). Der wesentliche Vorteil von
speziellen Lernerkorpora, die bislang lediglich ein Schattendasein fristen,
besteht darin, die Schwierigkeiten (individueller) Lernergruppen ermitteln und
besser auf diese eingehen zu können. Der vorliegende Beitrag ist somit einem
Bereich gewidmet, dem in der Angewandten Linguistik und der
Fremdsprachendidaktik eine große Zukunft vorausgesagt werden kann - auch wenn
es zunächst noch mehr als bisher notwendig sein wird, dessen Vorteile weithin
bekanntzumachen.
Die beiden Herausgeber der hier besprochenen Bandes
schließen diesen mit ihren Beiträgen ab. Diese konstituieren zugleich den
vierten Großbereich, der dem potentiellen Nutzen von Übersetzungs- und
Sprachwissenschaft für einzelne sprachliche Fertigkeiten gewidmet ist. Dirk
Siepmann beschäftigt sich dabei mit dem Sprachmitteln im
Fremdsprachenunterricht (189-208). Die von der KMK im Jahre 2012
beschlossene neue Prüfungsform Sprachmitteln wird zunächst problematisiert. Dabei geht Siepmann
von einer Gleichsetzung des Sprachmittelns mit dem Dolmetschen und Übersetzen
aus und votiert gegen eine Abgrenzung zwischen beiden Bereichen, wie sie
gegenwärtig in einschlägigen fremdsprachendidaktischen Artikeln und
Handreichungen propagiert wird (190ff). Dabei kann seiner Ansicht nach nicht -
wie häufig postuliert - davon ausgegangen werden, dass Ausgangs und Zieltext
sich beim Übersetzen und Dolmetschen "vollständig" zu entsprechen
hätten, bei der Sprachmittlung im Fremdsprachenunterricht hingegen lediglich
eine Ähnlichkeitsrelation zugrunde gelegt werde. Die Annahme einer
Identitätsrelation sei unrealistisch, da sowohl durch das Übersetzen und
Dolmetschen einerseits als auch durch die Sprachmittlung andererseits Inhalte
nur sinngemäß übertragen werden könnten, also keine Identitätrelation
hergestellt könne (194f). Hinsichtlich einer möglichen Antwort auf die Frage,
was das Adjektiv sinngemäß in diesem Zusammenhang bedeutet, sieht er die
Skopos-Theorie von Reiß und Vermeer als eine mögliche Lösung, die dem Zieltext
- nicht jedoch dem Ausgangstext - den Primat zuweist, wobei zugleich die
Unterscheidung zwischen wörtlicher und freier Übersetzung obsolet
wird, die Übersetzungskritik auf eine neue Basis gestellt und der linguistische
Äquivalenzbegriff durch denjenigen der Funktionsadäquatheit ersetzt wird. Eine
Übersetzung, deren Funktion sich von derjenigen des Originals unterscheidet,
kann dabei nur adäquat, nicht jedoch äquivalent sein (195f).
Siepmann betont, dass die Übersetzung auf diese Weise - ob man dies nun begrüße
oder nicht - (wieder) Einzug in den Fremdsprachenunterricht hält (196). Dabei
sieht er als Möglichkeit der Operationalisierung Gerzymisch-Arbogasts
Aspektmatrix an, in der zwischen der Makrostruktur und der Mikrostruktur von
Texten unterschieden wird (197). Diese Operationalisierung exemplifiziert er an
der Kulturspezifik - die in dieser Matrix Teil der Makrostruktur ist -, deren
Komplexität er anhand der Konzepte der amerikanischen eating utensil
etiquette und dem britischen Verständnis des Begriffes pudding
darstellt (197ff). Für die unterrichtliche Umsetzung des Spachmittelns seien
prinzipiell alle grundlegenden Erkenntnisse von Übersetzungswissenschaft,
Übersetzungsdidaktik und Schreibdidaktik von Bedeutung (200f). Global empfiehlt
Siepmann dabei den Primat gesamthafter Übungen zum Verständnis der Übersetzung vor Übungen zu Detailproblemen,
die Nutzung einer erheblichen Vielfalt an Übungen, eine generelle
Inhaltsorientierung aller Übungsformen, die Verwendung authentischen Spachmaterials
mit realistischen Übersetzungsaufträgen sowie ein Besprechen der Übungen und
eine schriftliche Fixierung der Lösungen (202). Im Anschluss werden die
Schwierigkeiten des schulischen Sprachmittelns anhand eines einschlägigen
Aufgabenvorschlages der KMK dargestellt und dessen prinzipielle Komplexität
herausgearbeitet wie auch die Notwendigkeit einer exakten Formulierung der
Arbeitsaufgaben und die Festsetzung eines realistischen Anspruchsniveaus
postuliert, wofür Fremdsprachendidaktik und Übersetzungswissenschaft
miteinander in Kommunikation treten müssen (202ff). Siepmann ist insgesamt
sicherlich Recht zu geben, auch und nicht zuletzt dann, wenn er fordert, dass
realistischere Zielsetzungen und ein realistischeres Anspruchsniveau bisweilen
zielführender sein können als zu hoch angesetzte Ziele (205).
Im chronologisch letzten Beitrag des vorliegenden
Bandes analysiert Christoph Bürgel Textsortenmerkmale zur Förderung von
Lesekompetenz (209-225). Dabei verdeutlicht er Möglichkeiten der
Nutzbarmachung der Textlinguistik für die Lesedidaktik. Auf dem Hintergrund dessen, dass das Ziel des
Sprachunterrichts, die Lernenden zu einem selbständigen Umgang mit
authentischen Texten zu führen, bei weitem nicht immer erreicht wird, und im
Bewusstsein dessen, dass die Anwendung effizienter Lesestrategien und ein
solides Textsortenwissen den Leseprozess optimieren, ergibt sich für Bürgel das
Desiderat, typische Textsortenmerkmale herauszuarbeiten, die sich
lesemethodisch aufbereiten lassen (209ff). Zu diesem Zweck wählt er die
Textsorte Bericht und differenziert sie in die Darstellungsformen
Erzählung (für vergangene Ereignisse), Besprechung (für vergangene,
gegenwärtige und zukünftige Ereignisse) und Exposé (für Argumente,
Kommentare und Einschätzungen). Für die hier im Detail analysierte Textsorte
Konfliktbericht wird eine Konzentration auf die Darstellungsform
vorgenommen (211ff). Im Rahmen der Analyse je eines französischen (erzählenden)
und eines spanischen (besprechenden) Konfliktberichtes werden deren wesentliche
Merkmale herausgearbeitet (213ff). Im Sinne einer verallgemeinernden Analyse
ergibt sich die Textüberschrift mit ihrer Konzeptualisierungsfunktion als
wesentliches Layout-Merkmal. Hinsichtlich ihres Aufbaus folgen beide
analysierten Texte dem Muster Konfliktauslöser - Konfliktabwicklung -
Konfliktlösung. In dem erzählenden Bericht sind - bedingt durch seinen
linearen Aufbau - die Konnektoren, die Zeitangaben und die Tempora in ihrer
Verwendung signifikant, was lesedidaktisch von Relevanz ist, da diese Sprachmittel
dem Rezipienten eine Orientierung bei der Lektüre geben. Der besprechende
Bericht folgt dem Muster Konfliktzusammenfassung - Nacherzählung -
Jetztzustand, wobei die inhaltliche Ausgestaltung von Konflikten
kulturspezifisch ist. Auf der Basis seiner Analyse fordert Bürgel, als
zusätzliche Kriterien der Textsortenklassifikation auch die Darstellungsformen
Erzählung, Besprechung und Exposé in Betracht zu ziehen, was dann im
Rahmen einer "applikativen Textlinguistik" didaktisch für die
Rezeption und Produktion von Texten genutzt werden könne (219f). Im Hinblick
auf die lesedidaktische Einsetzbarkeit diese Erkenntnisse schlägt Bürgel die
Anwendung einer Filtermethode vor, die auf einer Ausdifferenzierung der beiden
Verfahren skimming und scanning beruht: Der erste Filterdurchgang
ist dabei der Layout-Durchgang, der zweite der Konnektoren-Durchgang
und der dritte der Tempus-Durchgang, wonach die Lerner in der Lage sind,
einen Bericht als narrativen, besprechenden oder exponierenden
einzustufen. Im Rahmen einer Unterrichtseinheit ergibt sich dann eine
Erarbeitungsphase, eine Übungsphase und eine Anwendungsphase
(220ff). Dabei ist Bürgel sich darüber im Klaren, dass Leseverstehensleistungen
nicht zuletzt auf vorhandener Fremdsprachenbeherrschung, Lesemotivation und
bestehendem Sachwissen basieren (223), womit er sicherlich Recht hat.
Insgesamt kann dem vorliegenden Band attestiert
werden, dass er seinem Untertitel - Neue Impulse - durchaus gerecht
wird. Zwar stammen die darin vereinigten Beiträge aus recht unterschiedlichen Bereichen und weisen somit
eine gewisse Heterogenität auf, jedoch sind die einzelnen Artikel lesenswert
und können sowohl dem Forscher als auch dem Lehrer die eine oder andere
Anregung geben. Dabei gelingt es den Herausgebern in ihrem Vorwort, die
einzelnen Beiträge logisch miteinander zu verknüpfen und sie in konsistenter
Form zu präsentieren. In Titel und Vorwort des Bandes wird dabei nicht zu viel
und auch nicht zu wenig versprochen: Der Leser bekommt in etwa, was er nach
deren Lektüre erwarten kann. Dies ist ein Verdienst der vorliegenden
Publikation. Für den Gesamteindruck des Bandes wäre es dabei noch vorteilhafter
gewesen, wenn die im Vorwort ausgewiesenen thematischen Großbereiche auch in
Kapitelform berücksichtigt worden wären und den Band dadurch auch
makrostrukturell noch lesefreundlicher gestaltet hätten.
Hinsichtlich der den Beiträgen vorangestellten
Abstracts ergibt sich eine Systematik, die sich dem Rezipienten nicht auf
Anhieb erschließt: Das Abstract des englischen Beitrags von Peter Fenn ist auf
Deutsch, alle anderen Abstracts der - deutschen - Artikel sind ebenfalls auf
Deutsch. Hier hätte man sich durchaus vorstellen könnten, die Abstracts zu den
deutschen Texten entweder auf Englisch oder in der jeweiligen Objektsprache -
also der Sprache, über die geschrieben wird - zu präsentieren.
Die Lesefreundlichkeit hätte zudem dadurch weiter
erhöht werden können, dass dem Band ein Sachregister beigegeben worden wäre.
Man kann zu Sachregistern stehen, wie man mag - hilfreich sind sie allemal,
zumal dann, wenn die anzunehmende Lektüre der Rezipienten nicht
notwendigerweise das gesamte Buch umfasst.
Schließlich hätte man für eventuelle Rückfragen und
zur besseren Orientierung derjenigen Leser, die nicht dem Hochschulkontext
angehören, die Adressen der Autoren beifügen können und gegebenenfalls - gerade
in Anbetracht der relativ begrenzten Anzahl an Autoren - ebenso deren
Kurzbiographien.
Die hier aufgeführten Punkte mögen als Anregungen und
Vorschläge verstanden werden, und nicht als Kritik - allenfalls als
konstruktive. Der Rezensent weiß aus eigener Erfahrung, mit wie viel
Detailarbeit die Herausgabe von Sammelbänden verbunden ist und dass es
unmöglich ist, einen solchen in "perfekter" Form vorzulegen. Sein
Bestreben war daher, einige Aspekte zu benennen, die in der zuvor beschriebenen
Weise für weitere mögliche Auflagen dieses Bandes oder für künftige
Publikationen gleicher oder ähnlicher Ausrichtung von Nutzen sein können.
Rezensent:
Prof. Dr. Thomas Tinnefeld
W3-Professur für Angewandte
Sprachen
Hochschule für Technik und
Wirtschaft des Saarlandes
Waldhausweg 14
66123 Saarbrücken
Deutschland
E-Mail:
thomas.tinnefeld@htw-saarland.de
[1] Aus
Gründen der besseren Lesbarkeit verweisen wir auf die jeweiligen Konstruktionen
hier im Infinitiv und nicht in der syntaktischen Form, in der sie in den vom
Autor zitierten Beispielen figurieren.