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JLLT edited by Thomas Tinnefeld

Journal of Linguistics and Language Teaching

Volume 12 (2021) Issue 2, 219-244


Sprachpraxis im Migrationskontext –

Sprachprofile am Beispiel Albanisch sprechender Migranten und Migrantinnen der dritten Generation in Deutschland und der Schweiz



Naxhi Selimi (Goldau, Schweiz)


Abstract (English)

This paper presents data-based language profiles that have been developed in an interdisciplinary multi-method approach. It also proposes the use of a multilevel profiling model and a language analysis grid that have been newly developed. Such data-based profiles for spoken Albanian, which serve as a basis for the development of level-differentiated language material, have been lacking until now. Without claiming to be exhaustive, the present article contributes to filling a research gap with its profiling and the development of a matching model and grid.

The profiles, described as beginner, semi-advanced and advanced, were developed with the help of interviews and questionnaire data from third-generation Albanian speakers (G3) in Germany and Switzerland (n=40). They serve as an empirical basis for the development of language material at different levels of proficiency. The beginner profile is characterised by low lexical and norm deviating morphosyntactic abilities. In contrast, the less complex everyday vocabulary and the low word formation development represent important features of the semi-advanced profile. Typical of this profile are also the mental leaps and repetitions by the speakers while attempting to explain conversational content in metalinguistic terms. In the profile advanced, the speakers are characterised by a varying vocabulary as well as their morphosyntactic and pragmatic competence. They form more complex paratactic-hypotactic sentences and use different types of words and forms of word formation. The largely standardised use of verb inflection, case, gender, tense and pronouns also stands out.

Keywords: Language profiles, Albanian, orality, first language, dialect, standard, Gheg, Tosk, vocabulary, grammar, diaspora, profiling model, language grid



Abstract (Deutsch)

In diesem Beitrag werden datengestützte Sprachprofile präsentiert, die in einem interdisziplinären Mehrmethodenansatz erarbeitet wurden. Zudem werden ein mehrstufiges Profilbildungsmodell und ein Sprachanalyseraster vorgeschlagen, die jeweils neu entwickelt wurden. Derart datengestützte Profile für das gesprochene Albanisch, die als Grundlage für die Entwicklung von niveaudifferenziertem Sprachmaterial dienen, fehlten bisher. Ohne einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben, trägt der vorliegende Artikel mit seiner Profilbildung und der Entwicklung eines dazu passenden Modells und Rasters zur Schließung einer Forschungslücke bei.

Die als Anfänger, Semifortgeschritten und Fortgeschritten bezeichneten Profile wurden mit Hilfe von Interview- und Fragebogendaten Albanischsprechender der dritten Generation (G3) in Deutschland und der Schweiz erarbeitet (n=40). Sie dienen als empirische Grundlage für die Entwicklung von Sprachmaterial in verschiedenen Kompetenzstufen. Beim Profil Anfänger sind die geringen lexikalischen und normabweichenden morphosyntaktischen Fähigkeiten charakteristisch. Im Unterschied dazu stellen der wenig komplexe Alltagswortschatz und die geringe Wortbildungsfähigkeit ein wichtiges Merkmal des Profils Semifortgeschritten dar. Typisch für dieses Profil sind zudem die Gedankensprünge und Wiederholungen beim Versuch, Gesprächsinhalte metasprachlich zu erläutern. Im Profil Fortgeschritten kennzeichnen sich die Sprechenden durch einen variierenden Wortschatz sowie ihre morphosyntaktische und pragmatische Kompetenz. Sie bilden komplexere parataktisch-hypotaktische Sätze und gebrauchen verschiedene Wortarten und Wortbildungsformen. Die weitgehend normgerechte Einsetzung von Verbflexion, Kasus, Genus, Tempus und Pronomina sticht ebenfalls hervor.

Stichwörter: Sprachprofile, Albanisch, Mündlichkeit, Erstsprache, Dialekt, Standard, Gegisch, Toskisch, Wortschatz, Grammatik, Diaspora, Profilbildungsmodell, Sprachraster



1   Einleitung

Derzeit leben über eine halbe Million Albanischsprechende aus drei Generationen im deutschsprachigen Raum (BFS 2019, DSB 2018, BSÖ 2020). Es wird davon ausgegangen, dass der Nutzen des Albanischen für die Sprechenden der dritten Generation, um die es hier geht, u.a. darin liegt, sich in Gesprächssituation zu Hause, außerhalb der Familie oder während des Aufenthalts im Herkunftsland ihrer Eltern den kommunikativen und sozialen Situationen entsprechend einzubringen. Die eingesetzten Varietäten entsprechen dabei in aller Regel nicht einer Standardnorm, sondern den lokalen sprachlichen Ausprägungen der Elterngenerationen.

Von wenigen, teils in die Jahre gekommenen Untersuchungen abgesehen (z.B. Schader 2006) sind uns keine Studien bekannt, die aktuelle Einblicke in die reale Sprachpraxis dieser meist aus Kosova und Nordmazedonien stammende Sprachgruppe erlauben. Aktuell fehlen empirische Studien, Modelle und datenbasierte Profile, die Auskunft über den Sprachgebrauch albanischsprechender Menschen geben und als Grundlage für die Erarbeitung von Praxisvorschlägen und Materialien zum Umgang mit dem Albanischen in der Diaspora verwendet werden können.

Diesem wenig erforschten Feld widmen sich die hier präsentierten Ergebnisse einer auf drei Jahre (2019-2022) angelegten SNF-Studie1. Im Fokus dieses Beitrags steht die Frage, ob sich anhand empirischer Daten Sprachprofile für gesprochenes Albanisch bilden lassen. Ziel ist es, die datenbasierten Profile als Grundlage für die Entwicklung von niveaudifferenziertem herkunftssprachlichem Material zu nutzen. Zu diesem Zweck wurden Albanischsprechende (n=40) der dritten Generation (G3) im Raum München und Zürich in den Blick genommen.

Im vorliegenden Artikel wird der Erarbeitungsprozess der hier präsentierten Sprachprofile sichtbar. Die Inhaltsanalyse aller Interviews mit Hilfe des Sprachrasters (s. Anhang) sowie die softwaregestützte Auswertung und Verdichtung gewonnener Interview- und Fragebogendaten (Kap. 5) bilden das Kernelement der Profilbildung und gewährleisten einen hohen Objektivierungsgrad der erarbeiteten Sprachprofile. Im Mittelpunkt der Datenanalyse stand nicht, was die Befragten zu den erhobenen Themenfeldern inhaltlich sagten, sondern wie sie dies lexikalisch, grammatikalisch und pragmatisch ausdrückten. Demzufolge verstehen sich die erarbeiteten Profile, die sich auf das gesprochene Albanisch beschränken, als experimenteller Versuch, einen Beitrag zu einem relevanten Forschungs- und Themenfeld zu leisten. Sie dürfen keineswegs kanonisiert werden und erheben auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Vielmehr sollen sie als Ausgangsbasis für weitere Forschungen, Fachdiskussionen und Entwicklungen rund um die Sprachpraxis in der Diaspora aufwachsender Sprecher des Albanischen dienen.

Im Folgenden werden zunächst in kontrastiver Perspektive solche Aspekte des Albanischen erörtert, die für die Profilbildung als relevant erachtet werden. Diesen folgen die Kriterien für die Profilbildung, die Forschungsmethode, die Ergebnisse und deren Diskussion (Kap. 3-6). Ein stringenter Ausblick (Kap. 7) mit Vorschlägen für weitere methodische, empirische und praktische Arbeiten rundet den Beitrag ab.


2  Charakteristika des Albanischen – ein Abriss

Die vorliegend skizzierte Aspekte des Albanischen dienen dem erwähnten Ziel dieses Beitrags und stellen im Hinblick auf die Analyse des Datenmaterials und der Profilbildung eine zentrale Komponente dar. Es sind Aspekte, die auch im Sprachraster (s. Anhang) stichwortartig festgehalten sind und die Basis für die Interview-Analyse auf der lexikalisch-grammatischen sowie pragmatischen Ebene bilden.


2.1 Dialekte des Albanischen

Aufgrund ihrer morphologischen und typologischen Eigenschaften gehört das Albanische zu der Gruppe flektierter indogermanischer Sprachen und umfasst zwei Hauptdialekte: Toskisch in Südalbanien, Griechenland (Çamëri) und Italien (Arbëresh) sowie Gegisch in Mittel- und Nordalbanien, Montenegro, Kosova, Serbien (Preshevatal) und Nordmazedonien (Lloshi 1997: 138f). Die albanische Standardsprache fußt auf dem toskischen Dialekt und ist durch phonetische Elemente des Toskischen und literarische Elemente des Gegischen gekennzeichnet (Shkurtaj & Shopi 2018: 186).


2.2 Register

Im Ausdruck sprachlich-kultureller Register gebrauchen G3-Sprecher und -Sprecherinnen verschiedene Wörter, lexikalische Einheiten, grammatische Besonderheiten oder parasprachliche Elemente, wenn sie sich zu den erfragten Interview-Inhalten äußern. Bemerkbar macht sich diese Vielfalt auch im Zusammenhang mit der Anrede Du vs. Sie, emotionalen Sprachausdrücken, dialektalen Elementen, vereinfachten oder unvollständigen Ausdrucksweisen bestimmter Wörter, Paraphrasierungen, Normabweichungen, informellen oder eher formellen Ausdrucksformen, Mischungen dialektal motivierter Wörter mit standardnahen oder deutschen Wörtern, Entlehnungen, lexikalisch, syntaktisch und rhythmisch ausgewählten Sprechweisen, Verständnisfragen, Fachausdrücken oder wenig geläufigen Wörtern, Phraseologismen sowie komplexen Satzkonstruktionen (z.B. Beci 2010: 23ff, Riehl 2014: 157f).


2.3 Wortschatz, Wortbildung, Mehrdeutigkeit der Wörter

2.3.1 Wortschatz

Das albanische Lexikon ist, bedingt durch die historischen Sprachverhältnisse, in den albanischen Sprachgebieten facettenreich und enthält vielfältige Entlehnungen und Internationalismen (Matasović 2012: 33). Auf lexikalischer Ebene existieren dialektbedingte Variablen, die synonym gebraucht werden, wie z.B. gocë, zarzavate, [Mädchen, Obst] im Toskischen und çik, perime im Gegischen (Ibrahimi 2018: 146, 150f, Shkurtaj 2016: 53ff, Camaj 1984 11).


2.3.2 Wortbildung

Zu den produktivsten Wortbildungsformen des Albanischen gehören Komposita (z.B. kryeqytet [Hauptstadt], zemërgjerë [grossherzig], bashkëbisedues [Gesprächspartner] und Affixe (punë – punoj – punëtor – punishtepërpunoj [Arbeit – arbeiten – Arbeiter – Werkstatt – bearbeiten] (Beci 2010: 148ff, Buxheli 2008: 53ff, Agalliu et al. 2002: 198).


2.3.3 Lexikalische Mehrdeutigkeit

Polyseme prägen das Albanische (këmbë [Bein als Körperteil, Tischteil]; nyje [Partikel, Seilknoten, Strassenknoten]). Wortspiele, also konventionelle Wortbildungsprodukte auf eine ironisch-spielerische Art aufzugreifen und entsprechend zu Ausgangsprodukten umzuformen, sind ebenfalls keine Seltenheit (i shtypur [Unterdrückter] wird zu shtypës [Unterdrücker] umgeformt).

Synonyme sind zahlreich und stellen oft soziologisch und stilistisch bedingte Varianten dar (grua / femër [Frau / Weib]).

Ähnlich oft kommen Homonyme vor (pullë [Briefmarke], pullë [Knopf, z.B. einer Bluse]; mbledhje [math. Addition] mbledhje [Versammlung], faqe [Backe] faqe [Heftseite]).

Antonyme haben ebenso eine wichtige lexikalisch-semantische Funktion:

  • gerade Antonyme: ngrohtë – ftohtë [warm – kalt]

  • ungerade Antonyme: as i gjallë e as i vdekur [weder lebend noch tot]

  • symmetrische Antonyme: mjek – pacient [Arzt – Patient]

  • wertneutrale Antonyme: i shëndoshë – i dobët [dick – dünn] ist im Albanischen wertneutral, im Deutschen hingegen abwertend, wenn sich das Wort auf Menschen bezieht

(Likaj & Hadaj 2019: 96ff, Buxheli 2008: 255ff).


2.4 Grammatik

2.4.1 Morphologie

Das Albanische verfügt über drei Genera (feminin, maskulin, neutrum) – im Gesprochenen werden vorwiegend feminin und maskulin gebraucht –, fünf Kasus (Nominativ, Genitiv, Akkusativ, Dativ, Ablativ) und zwei Numeri (Singular, Plural) (Agalliu et al. 2002: 88ff, Buchholz & Fiedler 1987: 651ff, Matasović 2012: 17f). Die determinierte Form der Nomina wird durch den angehängten Artikel angegeben (nxënës [ein Schüler], nxënësi [der Schüler]) (Schader 2020: 19ff, Beci 2010: 37ff, Memushaj 2012: 11ff, zur morphologischen Hypercharakterisierung, Likaj & Hadaj 2019: 36ff, zur morphologischen Besonderheit der Pluralbildung der Nómina, Hamp 2015: 531).

Auf der morphologischen Ebene verwendet Gegisch die Infinitivform (z.B. me punue [arbeiten]), während Toskisch (und Standardalbanisch) die Konjunktivform (të punoj) benutzt.

Das Partizip kennt im Toskischen ein Flexionssuffix, das im Gegischen fehlt (kapurkap [fangen]; përfunduar – perfunu [beenden]).

Das Futur des Toskischen do të lexoj [ich werde lesen] wird im Gegischen durch kam me lexue erweitert respektive ersetzt.

Die Sprechvarianten in Kosova tendieren eher zur Reduktion des Kasus, wobei im Nominalsystem die Fälle Akkusativ, Genitiv und Ablativ von besonderem Interesse sind (Ibrahimi 2018: 146, 150f, Shkurtaj 2016: 53ff, Friedman 1987: 15).

Im Albanischen unterscheidet man zwischen dem Nomen als Stammwort (z.B. vëlla, motër, gjysh, qytet, ditë, punë [Bruder, Schwester, Grossvater, Nacht, Stadt, Arbeit]), als abgeleitetes Wort (stër-gjysh, punë-tor, qytet-ar [Urgrossvater, Arbeiter, Bürger]) und als Kompositum (krye-qytet, at-dhe [Hauptstadt, Heimat]). Das Genus lässt sich nicht von vornherein aus der Lautgestalt des Wortes erkennen. Einige Typen von Nomina, die standardsprachlich männlich sind, werden in vielen dialektsprechenden Gebieten konsequent in weiblicher Form verwendet (shneta (shëndeti [die Gesundheit]), nera (nderi [der Ruhm]). Auch die Neutra hinterlassen ihre Spuren, so bei den substantivierten Adjektiven (t thatit [trocken], t lagtit [nass]).

Die Nomina bilden den Plural mit den Morphemen -ë, -e, -a, -na/-ra, -nj, -inj und -enj. Die Pluralbildung wird – ähnlich wie im Deutschen – durch Suffixe (z.B. derr – derra [Schwein – Schweine]) oder durch die Veränderung des Stammvokals (gardh – gjerdhe [Zaun – Zäune]) oder durch beide (thes – thasë [Sack – Säcke]) vorgenommen. Es stehen zusätzliche Möglichkeiten der Pluralbildung zur Verfügung, z.B. die Konsonantenveränderung k – q (bujk – bujq [Landwirt – Landwirte]), j – r (lepur – lepuj [Hase – Hasen]). Charakteristisch ist zudem das Wegfallen von ë bei der Bildung des Plurals: shok (shokë [Freunde]), qytetar (qytetarë [Bürger]). Andere Nomina bilden den Plural mithilfe der Qualität von Vokalen (dollap (dollapë [Wandschränke]), dyshek (dyshekë [Matratzen]), bisweilen auch: dollapa, dysheka). Evident ist auch die Pluralbildung der Substantive durch die Palatalisierung der Konsonanten (vom Gaumen gebildete Vokale) k (çardak [Veranda]) in ç (çardaçe) oder g (breg [Hügel]) in xh (brexhe). Substantive inlm Maskulinum, die in unbestimmter Form mit einem velaren Konsonanten (vom Hintergaumen gebildete Vokale) wie k (shok [Freund]), g (varg [Reihe]) oder h (krah [Arm]) enden, bekommen in der bestimmten Form anstelle der normgerechten Endung u ein i. Bsp.: shoki (shoku [der Freund]), vargi (vargu [die Reihe]), krahi (krahu [der Arm]) (vgl. Likaj/Hadaj 2019: 15f.).

Verbformen sind nach der Person, dem Numerus, der Zeit und der Diathese bestimmt. Je nach Gebiet haben sie unterschiedliche oder gar keine Endungen. Bei der Konjugation haben beispielsweise die meisten Verben in der ersten Person Singular die Endung i: hapi (hap [ich öffne]), hypi (hyj [ich trete ein]) oder u: rroku (kap [ich fange]). Manche Verben haben an Stelle von s ein t: mati (mas [ich wäge]), kputi (këpus [ich pfücke]), vaditi (ujis [ich giesse]). Die Hilfsverben jam (sein) und kam (haben) werden in verschiedenen Varianten verwendet: je, â, âsht, jemi, jena, ina, jini, jan (sein); kam, kie, ke, ki, kemi, kena, keni, kan, kini (haben) (Agalliu et al. 2002: 260f, Camaj 1984: 126).

Typisch für die Sprecharten in Kosova ist das Fehlen der einheitlichen Formen im Imperfekt. In diesen Sprechvarianten wird die sigmatische Form mit -sh gebraucht: lexojsha (lexoja [ich las]), folshna (flisja [ich sprach]), këndojshna (këndoja [ich sang]), lexojshim (lexonim [wir lasen]), hyjshum (hynim [wir traten ein]) (Likaj & Hadaj 2019:170).

Adjektive werden attributiv, prädikativ und adverbial gebraucht (z.B. shoqja e sjellshme – shoqja është e sjellshme – shoqja vallzon mirë [die anständige Kollegin – die Kollegin ist anständig – die Kollegin tanzt gut]). Man unterscheidet zwischen Adjektiven, die zwingend den Artikel verlangen, meist maskulin oder feminin (i gëzuar / e gëzuar [glücklich]), und solchen, die keinen Artikel verlangen (rrumbullak [rund]). Im Satz stehen die Adjektive in der Regel nach dem zugehörigen Nomen, wenn sie attributiv gebraucht werden (libri i bukur [das schöne Buch]). Die Partikel / Gegisch ma sind steigerbar (më / ma i madh [wörtlich: mehr; mehr gross], më i madhi (prej djemve) + Gen. [mehr der Grosse von (den Kindern)]. Für den Superlativ stehen mehrere Bildungen zur Verfügung (tepër, fort, shumë [zu viel, stark, gross]) (Schader 2020: 20, Agalliu et al. 2002: 49).

Pronomen werden flexibel gebraucht und stehen vor dem Verb (z.B. ecim [wir laufen] ist sofort identifizierbar als 1. Person Plural). Das unpersönliche es, das im Deutschen vorkommt, wenn unpersönliche Subjekte oder Objekte benannt werden, ist im Albanischen unbekannt (z.B. bie breshër [wörtlich: fällt Hagel = es hagelt]). Auch das sich (z.B. sich waschen, sich kämmen wie il bei den Reflexivpronomen des Deutschen) ist inexistent. Man sagt einfach: lahem, krihem! Das Possessivpronomen steht nach dem Nomen (lapsi im [mein Bleistift]). Das Demonstrativ- und Interrogativpronomen steht vor dem Nomen, während das Relativpronomen seinem Bezugswort folgt. Das Indefinitpronomen kommt oft vor (dikush [irgendjemand], shumëkush [mancher], askush [keiner], gjithfarë [allerlei]; thonë bzw. thuhet entspricht dem deutschen man: thonë se… / thuhet se… [wörtlich: sie sagen = man sagt; im Albanischen greift man auf die 3. Pers. Pl. Aktiv zurück) (Schader 2020: 21, 2016: 481f, Beci 2010: 73, Camaj 1984: 90f).


2.4.2 Satzsyntax

Das Verb mit seinen Valenzen bildet im Albanischen das Kernelement im Satz. Im Gegensatz zum Deutschen bleibt die Konstituentenfolge im Haupt- und Nebensatz gleich (Vajza din shumë, sepse lexon shumë [Das Mädchen weiss viel, weil es viel liest]). Verbale Teile bleiben (anders als im Deutschen) zusammen. Fragesätze werden durch die Fragepartikel a gebildet (A luajmë futboll, gegisch: a po lujm futball? (vgl. Çeliku et al. 2002: 112, Camaj 1984: 234).

Die Kasus können bis auf den Nominativ als Objektkasus auftreten. Konditional- und Finalsätze bildet man eher mit dem Konjunktiv. Infinitivsätze werden durch den Konjunktiv oder Ersatzformen des Infinitivs wiedergegeben (Shkoj në Kosovë t‘i vizitoj shokët; gegisch: Po shkoj n’Kosov me i vizitue shokt [Ich gehe in den Kosova, um die Freunde zu besuchen]) (Camaj 1984: 235).

Negationen im Satz werden durch den semantischen Kontext geregelt (Jo nëna, por babai [Nicht die Mutter, sondern der Vater]; Babai, jo nëna [Der Vater, nicht die Mutter!]). Das Negationsadverb steht vor dem Verb (Unë nuk shkoj! [Ich gehe nicht!]) (Beci 2010: 155ff, Çeliku et al. 2002: 60ff).


3 Kriterien für die Profilbildung

Im Vorfeld wurden folgende linguistische und methodische Kriterien festgelegt, die bei der Erarbeitung der Profile befolgt werden sollten:

  • Die Profile bezogen sich auf gesprochenes Albanisch, so wie die Befragten gewöhnlich sprechen.

  • Die Datenanalyse (inkl. Sprachrasteranalyse) beschränkte sich auf lexikalische, grammatische und pragmatische Aspekte, die der Profilbildung dienen, und berücksichtigte den realen mündlichen Sprachgebrauch der G3-Sprecher.

  • Interviews der ersten Generation (G1)2 bildeten die übergeordnete Norm als Vergleichsbasis der Profilbildung und somit auch den Rahmen für die sprachliche Analyse der G3-Interviews. Hierbei wurde beachtet, dass die sprachliche Sozialisation der G1 im Herkunftsland nicht a priori bessere Albanischkenntnisse garantiert, da die Sprachkompetenz jedes Individuums von verschiedenen Faktoren abhängt bzw. beeinflusst wird.

  • Die zu erarbeitenden Sprachprofile bildeten die Basis für die Entwicklung von Sprachmaterial für G3-Sprechende.

  • Die Profile wurden aufgrund der aus der Datenanalyse abgeleiteten Sprachmerkmale definiert.

  • Die Einzelschritte des methodischen Vorgehens – es wurde dem Mehrmethodenansatz gefolgt – bei der Profilbildung wurden dargestellt.


4 Methodisches Vorgehen

4.1 Stichprobe

Die Stichprobe bestand aus G3-Sprecher und -Sprecherinnen (n=40), die in Deutschland und der Schweiz geboren wurden, und zweisprachig (Albanisch-Deutsch) aufwuchsen, wobei sie zuerst Albanisch als Erstsprache und danach sukzessive Deutsch als Zweitsprache erlernten. 24 von ihnen waren weiblichen und 16 männlichen Geschlechts. Davon lebten 19 (13 weibliche und 6 männliche) Befragte in Deutschland und 21 (12 weibliche und 9 männliche) in der Schweiz. Zum Zeitpunkt der Befragung waren sie zwischen 12 und 23 Jahren alt. Diese Geschlechterverteilung ist zufällig. 31 Befragte gingen zur Schule, sechs arbeiteten als Angestellte und drei studierten an einer Hochschule. Ursprünglich stammen 36 von Ihnen aus dem Kosova, vier aus Nordmazedonien.

Die Befragten wurden nach dem Schneeballprinzip rekrutiert. Sie bzw. ihre Erziehungsberechtigten wurden zuerst telefonisch kontaktiert und über die Ziele der Studie informiert. Die Teilnahme an diesem Projekt wurde mit ihrer Bereitschaft verknüpft, zur Sprachpraxis interviewt zu werden und den Online-Fragebogen auszufüllen. Durch die individuelle Zustellung des Fragebogenlinks wurde eine Rücklaufquote von 100% gewährleistet.


4.2 Instrumente

Für die profilbezogene Datengewinnung wurden ein Onlinefragebogen3 mit einer fünfstufigen Ratingskala mit der Zusatzkategorie ‘weiss nicht‘ (Abb. 2) und ein halbstrukturierter Interview-Leitfaden mit aufeinander abgestimmten Fragekomplexen entwickelt und vor der Haupterhebung in einem Pretest erprobt. Neben soziodemographischen Daten enthielten die Instrumente Fragen rund um den Sprachalltag innerhalb und außerhalb der Familie sowie zu Sprachkenntnissen, zur Sprachmischung und zu sprachlichen Einstellungen. Für die Sprachanalyse auf lexikalischer und grammatischer Ebene wurde zudem theoriegestützt ein Analyseraster entwickelt (Anhang und Kap. 2).


4.3 Datenerhebung und Transkription

Die Daten wurden zwischen September 2019 und Mai 2020 erhoben. Nach der Zusage, an der Befragung teilzunehmen, erhielten die Teilnehmer und Teilnehmerinnen den Fragebogenlink per Mail. Zudem wurde mit ihnen ein Interviewtermin vereinbart. Die Interviews wurden bei ihnen zu Hause oder im öffentlichen Raum durchgeführt und dauerten zwischen acht und vierzig Minuten. Die aufgezeichneten Interviews wurden mit der MAXQDA-Software nach GAT 2 (Hagemann & Henle 2014) transkribiert.


4.4 Auswertung

4.4.1 Kategoriensystem

In Anlehnung an das achtstufige Kategorienbildungsmodell von Kuckartz (2018: 64) wurden die Haupt- und Subkategorien - ausgehend von der Forschungsfrage, ob sich anhand empirischer Daten Sprachprofile für gesprochenes Albanisch bilden lassen - deduktiv analog zur Leitfaden- und Fragebogenstruktur sowie induktiv am Interviewmaterial definiert. Bei deren interner Validität im Forschungsteam wurde auf die Übereinstimmung der Kategorienstruktur mit derjenigen der Erhebungsinstrumente geachtet. Auch wenn die Interviewtranskripte hinsichtlich ihrer Struktur überschaubar sind, wäre die Verlässlichkeit des Kategoriensystems besser gewährleistet worden, wenn mehrere Personen unabhängig voneinander die Interviewinhalte probeweise den Subkategorien zugeordnet und diese gemeinsam besprochen und bei Bedarf modifiziert oder fixiert hätten. Diese aus Ressourcengründen nicht realisierte interne Validität wurde ansatzweise durch die Grob- und Feinsequenzierung kompensiert. Die externe Validität hinsichtlich einer Generalisierung konnte mit Hilfe der Methodenkombination sowie durch die kommunikative Validierung im Forschungsteam (member checking) gewährleistet werden (Kuckartz 2018: 167ff).


4.4.2 Inhaltsanalyse

Die Datenanalyse erfolgte in mehreren Strängen. Hierfür wurden das sechsstufige Modell zur qualitativen Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018: 94)4, das vierstufige Modell der empirisch begründeten Typenbildung von Kelle & Kluge (2010: 92)5 sowie das im Anhang beigefügte Sprachraster herangezogen. Dadurch ergab sich eine mehrperspektivische Auswertungsform, die eine Verknüpfung qualitativ-quantitativer Inhaltsanalyse sowie einen Rückbezug auf geeignete Interviewpassagen ermöglichte (Burzan 2016: 28).

Die in mehreren Schritten mit Hilfe der Software MAXQDA und R durchgeführte Inhaltsanalyse unserer Daten wird, angelehnt an die oben erwähnten Modelle, im nachstehenden Umsetzungsmodell zur Bildung von Sprachprofilen grafisch dargestellt und erläutert:


Abb. 1: Modell zur Entwicklung von Sprachprofilen mit Hilfe qualitativer und quantitativer Daten (Mehrmethodenansatz)

  1. Sequenzierung der Interviews: Die Transkripte wurden zunächst sprachlich im Gesamtkontext betrachtet, sequenziert und dem thematisch aufgebauten Kategoriensystem zugeordnet (Lamnek 2010: 293f). Dieser Schritt diente dazu, die Ähnlichkeit (interne Homogenität) und den Unterschied (externe Heterogenität) der zu ermittelnden Sprachprofile aufgrund der Sprachmerkmale zu charakterisieren (Kelle & Kluge 2010: 93). Als Merkmale dienten herbei ausgewählte, für die Vergleichsdimensionen bedeutsame sprachliche Aspekte, z.B. wie die Befragten zu Hause mit ihren Familienangehörigen und außerhalb der Familie in ihrer Freizeit sprechen, wie sie beide Sprachen (Albanisch und Deutsch) und deren Varietäten gewichten und wie sei mit dem Codeswitching umgehen. Diese Aspekte sollten Rückschlüsse auf G3-Sprachpraktiken der Befragten im Alltag ermöglichen.

  1. Memos zu den Interviewsequenzen: Die sequenzierten Interviews wurden mit 230 Memos versehen und mit Ankerbeispielen im Originalton belegt. Sie stellten ein nützliches Element der inhaltlichen Interviewanalyse dar und ergänzten die mit Hilfe des Sprachrasters erfolgte Analyse einzelner Interviews.

  2. Interaktive Segmentmatrix G3-G1-Interviews: Die vier sequenzierten G1-Interviews, die als übergeordnete Norm die Ausgangsbasis für die Inhaltsanalyse der G3-Interviews (n=40) bildeten, wurden den sequenzierten G3-Interviews gegenübergestellt und hinsichtlich der Sprachmerkmale verglichen.

  3. Zusammenfassung einzelner Interviews: Zusätzlich zu den Memos wurden die Interviews in diesem Zwischenschritt einzeln zusammengefasst und in lexikalisch-grammatischer Hinsicht analysiert.

  4. Kreuztabelle mit den Interviews: Zusätzlich zur qualitativen Analyse wurden die Interviews in einer Kreuztabelle quantifiziert und mit den Fragebogendaten in einem Excel-File zusammengetragen.

  5. Verknüpfung der Interviewkreuztabelle mit den Fragebogendaten: Die zusammengelegten Interview- und Fragebogendaten wurden mit allen Variablen gekreuzt (Abb. 3). Dieser Experimentierschritt stellte einen Überblick über alle möglichen Item-Kombinationen dar (Kluge & Kelle 2010: 97ff). Dazu ein Beispiel: Wenn viele G3-Befragte für Item Q24 (,zu Hause nur Albanisch sprechen’) einen hohen Wert angaben, dann gaben sie erwartungsgemäss für Q37 (,mit den Großeltern nur Albanisch sprechen’) einen hohen Wert an. Je höher der Wert beider Items war, desto stärker korrelierten sie.6

  6. Vergleich qualitativer und quantitativer Daten: Die statistische Analyse mittels der Kreuztabellen und die kontrastive Analyse der Interview-Segmente wurden im Hinblick auf die Profilschärfung verdichtet. Dabei wurde der Zusammenhang zwischen dem Sprachgebrauch zu Hause und dessen Anpassung an die Familienmitglieder anhand folgender Fragen analysiert: Was sagen G3-Befragte zum innerfamiliären Sprachgebrauch, d.h. wie sprechen sie mit den Eltern, Geschwistern, Großeltern? Kommt es zum Sprachwechsel und falls ja, welche Sprache dominiert? Ist der Codewechsel thema-, personen- und kontextabhängig?

  7. Interview-Analyse mit dem Sprachraster: Mit Hilfe des Sprachrasters (Anhang) wurden sämtliche Interviews analysiert, kommentiert und gemäss der erzielten Punktzahl einem Profil zugeteilt (Im nachfolgenden Kap. 5 wird für jedes Profil exemplarisch ein Interviewbeispiel gebracht.). Um die Profile für die Praxis nutzbar zu machen, wurden die für ein jeweiliges Profil passenden Fälle kontrastiv analysiert und aufgrund ihrer Merkmale (Profilbeispiele) zusammengelegt (Kelle & Kluge 2010: 101).

  8. Profilbildung: Die Profile wurden anhand der operationalisierten Merkmalkombinationen definiert. Hierzu dienten jene Fälle, die die Sprachspezifika generierter Profile als ,idealtypische‘ Konstrukte am besten repräsentierten (Kelle & Kluge 2010: 92, 105)7, sowie die interferenzstatistische Überprüfung der Einzelitems (Abb. 4).


5   Ergebnisse

Aus dem neunstufigen Analyseverfahren (Kap. 4.4.2) resultieren die als Anfänger A, Semifortgeschritte SF und Fortgeschritte F bezeichnen Profile. Sie charakterisieren sich durch typische Merkmale, wobei gewisse Merkmalsausprägungen in allen drei Profilen vorkommen, z.B. der zweisprachige Modus (Albanisch-Deutsch) im Alltag, die grundsätzlich positive Einstellung gegenüber den Sprachen, der Gebrauch regionaler und dialektaler Lexeme sowie festgefügter syntaktischer Wendungen wie folna statt folim / flasim [sprechen].

Die im nachstehenden Fragebogen-Auszug (Abb. 2) dargestellten Items bezüglich der Sprachpraxis im Alltag8 und die mit mit Hilfe der Software analysierten und in ein Excel-File exportierten Interviews (Schritt 6 im obigen Sprachprofilmodell) bildeten den quantitativen Ergebnisteil der Profilbildung (Abb. 3). Sie wurden mit den Sprachraster-Ergebnissen (Profilbeispiele unten) in einer statistischen Analyse in kreuztabellarischer Form verdichtet und aufgrund ihrer Merkmalsausprägungen den drei Profilen A, SF und F zugeteilt (Abb. 4).

II

Sprachpraxis im Alltag


2a.

So spreche ich in der Familie:

stimmt

stimmt eher

Teils / teils

stimmt eher nicht

Q24

nur Albanisch





Q26

mehrheitlich Albanisch





Q28

halb-halb





Q35

mit den Eltern nur Albanisch





Q37

mit den Großeltern nur Albanisch





Q39

mit den Geschwistern nur Albanisch





Q41

mit allen Familienmitgliedern gemischt, wobei Albanisch überwiegt





2b.

So spreche ich ausserhalb der Familie (ohne Ferien im Herkunftsland)

stimmt


stimmt eher

Teils / teils


stimmt eher nicht

Q44

mit Albanern nur Albanisch





Q46

mit Albanern gemischt, wobei Albanisch überwiegt





Q48

mit Albanern halb-halb











Abb. 2: Fragebogen-Auszug

Die Ergebnisse der nachstehenden Abb. 3 lesen sich wie folgt: Die Zahlen 1-4 stehen dabei für die Variablen des Interview-Leitfadens zu Sprachpraxis im Alltag als thematische Hauptkategorie: 1: zu Hause, 2: ausserhalb von zu Hause, 3: Sprachvarietät, 4: Codeswitching. Links von den Abbildungen 3 und 4 zeigen die Fragebogenitems (Q24…Q48) die Ausprägungen dazu (1: stimmt, 2: stimmt eher, 3: teils-teils, 4: stimmt eher nicht, 5: stimmt nicht; 1 und 2, sowie 4 und 5 wurden zusammengetan). Die im Fettdruck aufgeführten Zahlen in den einzelnen Feldern der Abbildungen 3 und 4 stellen die Verteilung aller Interview- und Fragebogen-Antworten zur Sprachpraxis im Alltag in Prozentwerten dar. Sie sind Ergebnis der Zusammenlegung der quantitativen Interview-Kreuztabelle mit den G3-Fragebogen-Daten in einer Excel-Tabelle (Pkt. 6 im Sprachprofil-Modell). Die Hauptkategorie Sprachpraxis im Alltag / Q7 im Fragebogen wurde mit allen Variablen der Interview-Daten gekreuzt, um zunächst eine erste Verteilungsübersicht aller G3-Daten (n=40) zu erhalten:

Abb. 3: Sprachpraxis im Alltag

Zur Messung der internen Konsistenz zwischen mehreren Items wurden Mittelwerte gebildet, die eine Skala darstellen sollten (Cronbachs Alpha). Für die Items Q24, Q26 (allgemeiner Albanischgebrauch zu Hause) ergab sich α = .65, für Q35, Q39 (Albanisch mit Eltern / Großeltern) α = .69 und für Q44, Q46 (Albanisch ausserhalb der Familie) α = .48. Während die ersten beiden Variantenbeispiele nahe beim erforderlichen Cronbachs Alpha-Koeffizienten9 um .70 liegen und mehr oder minder akzeptabel sind, liegt Letzteres deutlich darunter und ist mangelhaft. Die Skalenbildung mit den obigen Variablen entpuppte sich somit als ungeeignet für die Justierung der Sprachprofile.10 Deshalb wurde die interferenzstatistische Überprüfung auf Einzel-Items beschränkt.

Abb. 4 zeigt die Merkmalsausprägungen der Sprachprofil. Die Buchstaben A=Anfänger, SF=Semi-Fortgeschrittene und F=Fortgeschrittene stehen für die drei untersuchten Profile. Die Zahlen hingegen lesen sich wie in Abb. 3. Lesebeispiel: Im Item Q24 gab 28% der Befragten des Profils A an, zu Hause teils-teils (Albanisch-Deutsch), 18% mehrheitlich Albanisch und 2% vorwiegend Deutsch zu sprechen.11 Nach Familienmitgliedern differenziert gaben 44% der Befragten des Anfängerprofils (A) in Item Q37 an, mit den Großeltern nur bzw. mehrheitlich Albanisch zu sprechen. Wenn viele G3-Befragte für Item Q24 (zu Hause nur Albanisch sprechen) einen hohen Wert angaben, dann gaben sie erwartungsgemäß für Q37 (mit den Großeltern nur Albanisch sprechen) einen hohen Wert an. Je höher der Wert beider Items war, desto stärker korrelierten sie:

Abb 4: Darstellung der Profilverteilung in den einzelnen Items

Die aus der Inhaltsanalyse einzelner Interviews (Kap. 4.4.2) abgeleiteten profilspezifischen Merkmale werden in den nachstehenden drei exemplarisch präsentierten Profilbeispielen aufgelistet. Die hier dargestellten Interview-Aussagen dreier Befragter dienen der Veranschaulichung jeweiliger Profile und wurden zufällig aus der Profilübersicht ausgewählt (Anhang). Die drei Befragten waren zum Interviewzeitpunkt Schülerinnen – Elmi (Profil A), 12 Jahre, besuchte die Grundschule im Raum München. Naki (Profil SF), 14 Jahre, besuchte die Sekundarschule und Dishi (Profil F), 19 Jahre, ging auf das Gymnasium im Raum Zürich. Sie wurden in Deutschland bzw. der Schweiz geboren und verwenden im Alltag beide Sprachen (Albanisch-Deutsch).


Profil Anfänger (A)

Typische (manifeste und latente) Sprachmerkmale

Wortschatz:

  • Der konsequent gebrauchte gegische Dialekt enthält archaische bzw. idiolektale Elemente; sobald einzelne Wörter in Standard gebraucht werden, entstehen Normabweichungen.

  • Der sehr geringe rezeptive, produktive und potenzielle Wortschatz beschränkt sich auf einfache Alltagswörter und sog. Chunks und enthält kaum Mehrwort-Einheiten, die als solche in Gesprächen gebraucht werden. Fragen werden oft mit po/jo [ja / nein] beantwortet.

  • Bei der Schilderung einer Handlung, eines Zustands oder einer Situation werden keine lexikalischen Alternativen (z.B. Synonyme, Hyperonyme, kohäsive Assoziationen, Mehrwort-Ausdrücke) herangezogen.

  • Codeswitching (AL-DE) prägt das albanische Vokabular; es werden oft deutsche Wörter herangezogen, in einzelnen Interviews dominiert sogar die deutsche Sprache.

  • Die Einstellung gegenüber Albanisch und Deutsch ist positiv.

Grammatik:

  • Die Sprache wird intuitiv als Idiolekt der Herkunftsregion gebraucht; Wortformen werden dabei kaum beachtet.

  • Die syntaktische Einfachheit zeigt sich deutlich in der geringen Nebensatz-Produktion und den einfachen parataktischen Sätzen; der Albanischgebrauch wird durch syntaktische Reduktion (z.B. Kombination zweier einfacher Sätze) gekennzeichnet.

  • In den kurzen, überwiegenden Hauptsätzen kommt häufig eine normabweichende Wortstellung im Satz vor.

  • Verbflexionen werden bisweilen normabweichend gebraucht (falscher Kasus, Tempus, Pronomina).

Beispiel M-A-G3-ELMI09-LI:

Elmi verfügt im Albanischen über einen unzureichenden rezeptiven und produktiven Wortschatz. Dies zeigt sich darin, dass sie oft mit po/jo [ja / nein] antwortet, kurze Sätze (mehrheitlich Hauptsätze) formuliert und in mehreren Aussagen im Interview deutsche Wörter oder Worteinheiten (Konstituenten) verwendet. Beispielsweise fragt die Interviewerin: „… qysh flet?“ [wie sprichst Du?] (Pos. 2). ELMI versteht das Wort flet [sprechen] als flejt [schlafen], weil beide Verben ähnlich klingen, sich jedoch durch den Endlaut semantisch unterscheiden (Pos. 3). Erst als die Interviewerin das Verb flet durch die dialektale Variante fol [sprechen] ersetzt, versteht Elmi es und beantwortet die Frage korrekt. Sofern der Leser beide Sprachen (DE-AL) versteht, sind ELMI's Aussagen verständlich, trotz morphosyntaktischer Abweichungen (beispielsweise gebraucht sie anstelle der 1. Pers. Sing. die 3. Pers. Sing.; Pos. 135).

Elmi gibt an, beide Sprachen zu sprechen, wobei sie mit dem Bruder mehrheitlich deutsch spreche. „ichPERS.RON., 1. PERS. SING. versuche es mal [përpiqemMED.PASS.] shumADV. mePRÄP. folV shqipADV.“ (Unë përpiqem të flas shqip [Ich versuche es mal, viel Albanisch zu sprechen]; M-A-G3-ELMI09-LI, Pos. 9-10).

Auf die Frage, ob Elmi sich als Albanerin oder als Deutsche fühle, antwortet sie mit „sowohl als auch“. Dies begründet sie damit, dass sie sprachlich besser Deutsch könne, in der Familie und mit Verwandten werde jedoch je nach Person und Situation albanisch gesprochen, wie dieser Aussagesatz illustriert: „unPERS.PRON., 1. PERS. SING. duketMED.PASS. gjysADJ. gjermanADV. edheKONJ. gjysADJ. shqipeADV.“ (Më duket se [flas] gjysë gjermanisht dhe gjysë shqip [Mir scheint es, halb deutsch und halb albanisch]; M-A-G3-ELMI09-LI, Pos. 45). Auch wenn man die Bedeutung dieser Aussage versteht, ist sie in morphologischer Hinsicht normabweichend; statt mit dem Personalpronomen un [ich] Nominativ hätte der Satz mit dem Personalpronomen mua [mir] Dativ beginnen sollen. Zudem fehlt die Konjunktion m’duket [Mir scheint es].

Elmi nimmt sich in Deutschland als Deutsche wahr und meint, dass die Einheimischen sie auch als Deutsche wahrnehmen: „jam tu dok m’duket si nji gjermank“ [Mir scheint es, ich sehe aus wie eine Deutsche] (M-A-G3-ELMI09-LI, Pos. 108).

Codeswitching kommt in Elmis Interview oft vor, z.B.: „edhe për qato une jam tu thon une unë ich bin hier aufgewachsen“ [Und deshalb sage ich, ich, ich bin hier aufgewachsen] (Pos. 134); „jedes land osht e mir“ [jedes Land ist schön] (Pos. 138); „ka wert“ [hat Wert] (M-A-G3-ELMI09-LI, Pos. 139). Im Satz „jedes land osht e mir“ gebraucht ELMI den Artikel e (feminin) anstelle des Artikels i (maskulin). Sie scheint nicht zu erkennen, dass im Nominativ Singular Maskulinum der Artikel i verlangt wird. Auch im Umgang mit dem Kasus ist Elmi unsicher; zu Beginn ihres Interviews verwendet sie z.B. das Genus falsch: „vllaznit e mia“ [meine Brüder] fem. statt mask. „vllaznit e mi“.


Profil Semifortgeschritten (SF)

Typische (manifeste und latente) Sprachmerkmale

Wortschatz:

  • Der konsequent in gegischem Dialekt gebrauchte Wortschatz ist wenig komplex; Synonyme, Antonyme, Phraseologismen etc. kommen nicht vor, geläufige Wortarten (Nomen, Adjektiv, Verb, Adverb) hingegen schon.

  • Bei abstrakten thematischen Inhalten, die Fachwissen und metasprachliche Fähigkeiten erfordern, ist die Wortentfaltung nur ansatzweise erkennbar und durch Wiederholungen sowie Gedankensprünge gekennzeichnet.

  • In den Aussagen bzw. Antworten finden sich wenig isoliert nebeneinander stehende Sätze, die jedoch im Gesamtkontext des Satzes sinnvoll sind und entsprechend semantisch korrekte Informationsfolgen ergeben.

  • Über die häufigste Konjunktion dhe, edhe [und] hinaus werden weitere (meist) adversative Konjunktionen gebraucht, die durch die Entgegensetzung der Sachverhalte in den miteinander verbundenen Sätzen dazu beitragen, dass die Aussagen lebhaft sind.

  • Codeswitching kommt vor allem bei komplexeren Satzverknüpfungen vor: Es wird mitten im Satz oder am Ende eines Satzes auf das Deutsche umgeschaltet, wobei Sprachmischungen dieser Art deutlich seltener sind als im Profil Anfänger.

  • Der emotionale Bezug zum Albanischen wird zwar betont, die Sprache selbst jedoch nicht bewusst gepflegt (Diskrepanz zw. Wunsch und tatsächlicher Sprachpflege).

Grammatik:

  • Es kommen durchschnittlich mehr parataktische als hypotaktische Sätze vor. Die Homogenität in der Produktion von Hauptsätzen ist demnach höher als diejenige in der Produktion von Nebensätzen. Es werden tendenziell mehr Hauptsatz-Variationen als Hauptsatz-Nebensatz-Variationen gebraucht, wobei letztere in unterschiedlichem Grad vorkommen. Selbiges gilt für Subjunktionen, Konstituenten und Satzarten (Konditional-, Reflexiv-, Relativ-, Temporalsätze).

  • Die Wortstellung im Satz ist teilweise normabweichend.

  • Schwierigkeiten zeigen sich teilweise im Umgang mit Infinitiv- und Finalsätzen. Beispielsweise wird anstelle der Präposition për [für] die Subjunktion për të [um zu] gebraucht, die Verbstellung wird nicht immer normgerecht verwendet. Bisweilen werden Satzteile (z.B. Subjekt / Verb) getilgt, ebenso werden Haupt- und Nebensatz teilweise verschmolzen.

  • Die Verbflexion wird - von wenigen Ausnahmen abgesehen - normgerecht gebraucht, der Kasus auch; die Pronomina hingegen werden nicht immer adäquat eingesetzt.


Beispiel Z-A-G3-NAKI07-LI:

Naki kann sich im Interview verständlich ausdrücken und verwendet eher eine einfache Sprache mit einem moderaten Grundwortschatz. Die formulierten Sätze sind grammatisch mehrheitlich normgerecht und stellen eine Vielfalt sprachlicher Ausdrücke dar, die semantisch weitgehend korrekt sind. Allerdings wechselt Naki situativ den Code, wenn sie Albanisch spricht, wie der folgende Beispielsatz illustriert: „kur duhet t'i kallxoj diçka ene nuk dua njerzt qer ta ndegjojn (.) thom (.) ee lueg kshyre at çiken aty (.) ajo (.) sie gseht komisch uus“ [Wenn ich jemandem etwas erzählen soll und nicht möchte, dass andere Leute es hören, sage ich, eh (lueg) sieh das Mädchen dort, sie (sie gseht komisch uus) sie sieht seltsam aus!] (Z-A-G3-NAKI07-LI, Pos. 28). Dieser semantisch korrekte und kohärent formulierte parataktische Konditionalsatz enthält auf der syntaktischen Ebene eine Abweichung: Bei der Konstituente „nuk dua njerzit tjer ta ndegjojn“ statt „nuk dua ta ndegjojn njerzit tjer“ sollte das Verb ndegjojn [hören] (3. Pers. Pl., Präs.) vor dem Nomen (Objekt) njerzit [Leute] stehen. Semantisch passt das Verb kuptojn [verstehen] besser zum Satzkontext als ndegjojn [hören].

Naki besucht eigenen Aussagen zufolge seit dem Kindergarten den ergänzenden Albanischunterricht und schätzt ihre Schreibkompetenz in Standardalbanisch als gut ein. Generell schätzt sie ihre mündliche Kompetenz im Dialekt höher ein als ihre schriftliche Kompetenz (Z-A-G3-NAKI07-LI, Pos. 47-50).

Naki gebraucht beide Sprachen (AL-DE) und setzt diese je nachdem, mit wem sie gerade spricht, adäquat ein. Sie hat Bezug zum Deutschen und zum Albanischen, wobei sie sich im Deutschen kompetenter fühlt: „amoKONJ. kurADV. folV mePRÄP. ataPRON., 3. PERS. PL. (-) duhetREFL. t'PART. foliV (-) shipADV.“ (Por, kur flas me ta, duhet të flas shqip [Wenn ich aber mit ihnen spreche, muss ich albanisch sprechen]; Z-A-G3-NAKI07-LI, Pos. 70).

Die Emotionen in lustigen Situationen macht sie eher von der Bezugsperson abhängig. Beispielsweise lacht sie mehr, wenn sie mit ihrer besten Freundin zusammen ist. Im Gespräch sprechen sie beides (Deutsch und Albanisch), wobei sie das Albanische gewissermaßen als Geheimsprache heranziehen, wenn sie nicht möchten, dass die anderen ihrem Gespräch folgen (Pos. 28). Hierzu ein weiteres Beispiel: „kurADV. nukADV. domiV qertPRON. mePRÄP. naPERS.PRON. SUPPL., 1. PL. AKK.INTERJ. kuptuaV at'heresADV. folimV shqipADV.“ (Kur nuk duam të na kuptojnë tjerët, atëherë flasim shqip [Wenn wir nicht möchten, dass andere uns verstehen, dann sprechen wir albanisch]; Z-A-G3-NAKI07-LI, Pos. 85-90). Diese Aussage ist morphologisch einwandfrei. Syntaktisch hingegen sollte das Pronomen qert [andere] nach dem Verb kuptua [verstehen] stehen. Der Rest dieses Konditionalsatzes ist normgerecht.



Profil Fortgeschritten (F)

Typische (manifeste und latente) Sprachmerkmale

Wortschatz:

  • Die Sprache, die Gegisch und Standard umfasst, ist klar und zeugt von ausreichenden lexikalischen und grammatischen Fähigkeiten: die Antworten bestehen aus mehreren Satzkombinationen (Hauptsätze, Nebensätze), sind kohärent und enthalten strukturelle Mittel der Kohäsion, mit denen gesprächsinterne Bezüge expliziert werden.

  • Zur Beschreibung von Situationen, Zuständen oder Objekten werden adäquate Fachausdrücke gebraucht; Synonyme sind vorhanden.

  • Codeswitching kommt kaum vor, eine Ausnahme stellen feste Ausdrücke wie Schulamt [Enti Shkollor] dar.

  • Insbesondere im Vergleich zum Profil Anfänger, bei dem lineare Satzmuster vorkommen, sind die in längeren Interviewpassagen gebrauchten Perioden mehrgliedrig, dynamisch und beinhalten korrekt verwendete veränderbare und unveränderbare Wortarten. Zudem kommen verschiedene Wortbildungsformen (z.B. Kompositum, Präfix, Suffix) vor.

  • Die Übereinstimmung des emotionalen Sprachbezugs mit der tatsächlichen Sprachpflege und dem Sprachbewusstsein sind erkennbar.

Grammatik

  • Die Verknüpfung eigenständiger Sätze (Parataxe) mit Konjunktionen (Syndese) und ohne Konjunktionen, d.h. mit Hilfe der Intonation und Bedeutung (Asyndese) sowie hierarchisch geordnete Teilsätze (Hypotaxe) kommen vor.

  • Die syntaktische Komplexität zeigt sich im Gebrauch des kontextbezogenen Nebensatzes in hypotaktischen Satzgefügen und verschiedenen Graden sowie in deren Verbindung mit dem Hauptsatz. Perioden umfassen kombinierte und kontextadäquat miteinander verbundene Sätze, in denen verschiedene Wortarten und Zusätze, korrekte Satzstrukturen und Flexion sowie Selbstkorrektur ersichtlich sind.

  • Die Satzgefüge sind deutlich weniger fehlerträchtig als beim Profil Anfänger und deuten auf eine gezielt eingesetzte Satzverknüpfungsstrategie in mündlicher Kommunikation hin.

  • Auf der morphologischen Ebene werden Verbflexion, Kasus, Genus, Tempus und Pronomina normgerecht und kontextadäquat eingesetzt.

Beispiel Z-A-G3-DISHI00-LI:

Dishi's Interview ist sprachlich und inhaltlich kohärent und enthält zahlreiche Satzkombinationen. Ihr albanischer Wortschatz ist gross und vielfältig. Auch in morpho-syntaktischer Hinsicht ist das Transkript normgerecht.

Dishi gebraucht beide Sprachen situationsadäquat. Sie pflegt das Albanische mit den Familienangehörigen und mit Albanern außerhalb der Familie. Im Unterricht spricht sie Deutsch. Ihre Sprachsituation schildert sie in sechs parataktischen und hypotaktischen Sätzen in ihrer ersten Interview-Passage (Pos. 2). Dabei gebraucht sie vorwiegend den Regiolekt bzw. gegischen Dialekt, der in der Herkunftsregion ihrer Eltern in Kosova gebraucht wird. Die Sätze, die hier aus Platzgründen nur exemplarisch dargestellt und analysiert werden, enthalten verschiedene Wortarten und sind morpho-syntaktisch korrekt. Der nachstehend zitierte Hauptsatz besteht beispielsweise aus diesen Gliedern: „n'PRÄP. jetenN eADJ.-ART. perditshmeADJ. (.) perPRÄP. shembullN n'PRÄP. shkollN foliV shumADV. gjermonishtADV.“ (Në jetën e përditshme, për shembull në shkollë, flas shumë [më tepër] gjermanisht [Im täglichen Leben, zum Beispiel in der Schule, spreche ich mehr Deutsch]; Z-A-G3-DISHI00-LI, Pos. 2).

Neben der Wortvielfalt und verschiedenen Wortarten verwendet die Interviewte bewusst auch pragmatisch-diskursive Mittel und synonyme Erzählweisen, z.B.: „jaPRON. spjegojV gjermanishtADV. (-) jaPRON. pershkrujV gjermanishtADV.“ (Ja spjegoj gjermanisht, ja përshkruaj gjermanisht [Ich erkläre es ihm auf Deutsch, ich beschreibe es ihm auf Deutsch]; Z-A-G3-DISHI00-LI, Pos. 6).

Je nach Situation und Thema wechselt Dishi zwischen den Varietäten bzw. Sprachen und bezeichnet dies als typisches Phänomen im zweisprachigen Umfeld (s. Z-A-G3-DISHI00-LI, Pos. 15-20).

Dishi geht mit den Sprachvarietäten gekonnt um (s. Z-A-G3-DISHI00-LI, Pos. 12) und schätzt ihre Albanischkompetenz differenziert ein: mündlich ,sehr gut’, schriftlich ,gut’, allerdings in gegischem Dialekt (s. Z-A-G3-DISHI00-LI, Pos. 22). Sie misst beiden Sprachen einen hohen Stellenwert bei: „gjuhaN oshtV njiNUM. instrumetN shprehjeN. (…) gjuhaN gjermaneADJ. vlenV sidomosPART. ktuADV. n'PRÄP. zvicerrN (…) mePRÄP. shkuV n’PRÄP. kosovV eKONJ. mePRÄP. antarN t'PRÄP. familjesN mosPART. mePRÄP. ditV shqipenN nukADV. banV.“ (Gjuha është një instrument shprehjeje. Gjuha gjermane vlen sidomos këtu në Zvicër. Të shkosh në Kosovë e të mos dishë të flasësh shqip me anëtarët e familjes, nuk bën! [Die Sprache ist ein Ausdrucksinstrument. Die deutsche Sprache ist insbesondere hier in der Schweiz wichtig. Wenn man in den Kosova geht und jemand von den Familienmitgliedern das Albanische nicht kennt, ist das nicht schön!]; Z-A-G3-DISHI00-LI, Pos. 38). In diesem kurzen Fragment formuliert Dishi drei Hauptsätze: zwei Aussagesätze und einen Bedingungssatz. Alle drei Sätze sind wortreich und auf der morphosyntaktischen Ebene normkonform.


6  Diskussion

Dieser Beitrag hat zur Aufgabe, datenbasierte Sprachprofile für gesprochenes Albanisch zu entwickeln - mit dem Ziel, darauf aufbauend herkunftssprachliches Material in verschiedenen Niveaus für interessierte Sprecher der dritten Generation zur Verfügung zu stellen.12 Die Grundlage für die Profilbildung stellen die Interview- und Fragebogendaten von vierzig (n=40) G3-Sprechern und Sprecherinnen dar, von denen 19 in Deutschland und 21 in der Schweiz geboren wurden und bis zum Zeitpunk des Interviews in diesen Ländern lebten.

Aus der Datenanalyse in einem mehrstufigen Auswertungsverfahren (Abb. 1) resultieren die drei bereits erwähnten Profile, die aufgrund ihrer spezifischen Sprachmerkmale vorliegend als Anfänger, Semifortgeschritte und Fortgeschritte bezeichnet werden. Merkmale wie etwa der Gebrauch des gegischen Dialekts oder der Albanischgebrauch mit den Großeltern finden sich in allen drei Profilen, andere sind hingegen nur für das eine oder das andere Profil charakteristisch (Kap. 5). Die Interviews der Befragten wurden mit Hilfe der Software MAXQDA und R (Kap. 4.4.2) sowie des hierfür erarbeiteten Beurteilungsrasters (Anhang) einzeln inhaltlich analysiert und aufgrund erzielter Ergebnisse einem entsprechenden Profil zugeordnet.

Spezifische Merkmale des Profils Anfänger, dem knapp die Hälfte der Fälle (19) an der Zahl) zugeordnet wurden, sind die geringen lexikalischen und morphosyntaktischen Fähigkeiten sowie die oft aus einfachen Hauptsätzen und ja / nein bestehenden Antworten. Zudem ist der Gebrauch deutscher Wörter Codeswitching) als Ersatz für fehlendes albanisches Vokabular für dieses Profil prägend. Studien (Sie nennen am Satzende hier nur eine einzige Studie.) aus dem Fremdsprachenunterricht belegen, dass der Codewechsel u.a. mit sprachlicher Unsicherheit, aber auch mit der Konzentration auf den Inhalt und die Form des Gesagten zusammenhängt (Nardi 2006: 128ff, dazu auch Schader 2006; Riehl 2014; Ahearn 2012; Stavans & Hoffmann 2015).).

Unsere Daten dokumentieren, dass alle Befragten dieses Profils trotz ihres bescheidenen Albanisch eine enge emotionale Beziehung zu dieser Sprache haben und sich mit beiden Sprachen (Albanisch und Deutsch) identifizieren – für sie stellen beide Sprachen einen wesentlichen Teil ihrer Lebensgestaltung dar (Fürstenau 2009: 58). Bezüglich des Albanischen wird allerdings eine Dunkelziffer jener nicht ausgeschlossen, die trotz jährlichem Urlaub und direktem Kontakt zur Herkunftssprache höchstens über rudimentäre, meist rezeptive Albanischkenntnisse verfügen. Auch wenn dies nicht Untersuchungsgegenstand dieser Studie ist, stellt sich hierbei jedoch immanent die Frage, ob und inwieweit das Albanische in der Diaspora zunehmend vernachlässigt wird, wenn man bedenkt, dass jüngere G3-Interviewte, die den eigenen Aussagen zufolge in der Familie gemischt oder vorwiegend Deutsch sprechen und den Albanischunterricht nicht besuchen, über unzureichende L1-Grundkenntnisse verfügen und laut Anbietervereinen immer weniger den ergänzenden Albanischunterricht besuchen (LAPSH 2016). Dies kann eine Fossilierung bzw. Erosion oder gar den Verlust einer Sprache (z.B. L1 Albanisch, L2 Deutsch) zur Folge haben, wenn diese nicht aktiv gebraucht wird und zur brachliegenden Ressource mutiert (Riehl 2014: 88f).

Im Unterschied dazu bilden der wenig komplexe Alltagswortschatz – also die Verwendung der Sprache ohne die Berücksichtigung von Synonymen, Antonymen oder Phraseologismen –, die geringe Wortbildungsentfaltung sowie der vorwiegende Gebrauch geläufiger Wortarten ein zentrales Element des zweiten Profils, das hier als Semifortgeschrittene bezeichnet wird und zehn Befragte umfasst (Kap. 5 und Profilübersicht im Anhang). Charakteristisch für dieses Profil sind zudem die Gedankensprünge und Wiederholungen bei dem Versuch, abstrakte thematische Inhalte, die Fachwissen und metasprachliche Fähigkeiten erfordern, zu erläutern. Interessant ist darüber hinaus der Befund, dass die Befragten dieses Profils die Sprachen deutlich weniger als diejenigen des Anfängerprofils vermischen (mehr zu den Profilmerkmalen und Analysekriterien in Kap. 5 und im Beurteilungsraster im Anhang). Dabei fragt es sich, inwiefern die hier vermutete, bewusste Vermeidung des Codewechsels mit dem produktiven Wortschatz zusammenhängt. Die Interview-Analyse lässt die Vermutung zu, dass es Befragten dieses Profils gelingt, mit ihrem wenig komplexen Vokabular Fragen auf Albanisch zu beantworten, ohne dabei komplexere, morphosyntaktisch anspruchsvolle Sätze formulieren zu müssen.

Die elf Fälle, die dem Profil fortgeschritten zugeteilt wurden, kennzeichnen sich durch ihre klare, in sich stimmige und differenzierte Verwendung der albanischen Sprache, den variierenden Wortschatz sowie ihre bildungssprachliche und weitgehend normgerechte morphosyntaktische Kompetenz. Die Sprecher, die diesem Profil zugeordnet wurden, bildeten komplexere parataktische und hypotaktische Sätze und konnten Situationen, Zustände oder Objekte durch den Gebrauch adäquater Ausdrücke beschreiben – vorwiegend in gegischem Dialekt. Ihre Aussagen beinhalteten zahlreiche, meist korrekt verwendete veränderbare und unveränderbare Wortarten des Albanischen sowie produktive Wortbildungsformen (Kompositum, Präfix, Suffix). Als typisches Merkmal dieses Profils war zudem die Anwendung bestimmter fester Ausdrücke wie etwa Schulamt [Enti shkollor] in der Originalsprache Deutsch. Ansonsten vermieden sie das Codeswitching. Die weitgehend normgerechte Einsetzung von Verbflexion, Kasus, Genus, Tempus und Pronomina stach in diesem Profil deutlich hervor Kap.2.4 und Kap. 5).

Soziodemografische Daten deuten darauf hin, dass die Befragten dieses Profils, die mehrheitlich junge Erwachsene waren, weiterführende Schulen (Sekundarstufe I oder Gymnasium) besuchten. Die jüngeren Teilnehmer dieses Profils besuchten seit mehreren Jahren den ergänzenden Albanischunterricht oder sprachen mit ihren Eltern und Großeltern zu Hause fast nur Albanisch. Daraus folgt die triviale Lesart, dass Teilnehmer im Grundschulalter, die ihre Herkunftssprache zu Hause pflegen und den herkunftssprachlichen Unterricht (HSU) besuchen, besser Albanisch sprechen als ihre Kameraden ohne HSU-Besuch und aktivem L1-Gebrauch. Generell jedoch verfügen junge Erwachsene, die anspruchsvolle Schulen (Mittel- und Hochschulen) besuchen oder optional später im Herkunftsland der Eltern arbeiten bzw. leben möchten, über bessere L1-Kenntnisse, selbst wenn sie den HSU nie besucht hatten (auch Selimi 2019). Relevant ist hierbei auch der datenbasierte Hinweis, wonach bei unseren Probanden der aktive L1-Gebrauch durch verschiedene Variablen motiviert war: ein ausgeprägtes Sprachbewusstsein, eine qualitativ bessere L1-Kommunikation in und außerhalb der Familie - insbesondere im Herkunftsland der Eltern - die bewusste Umwandlung rezeptiver L1-Kenntnisse in produktive Kompetenzen und die Anwendung adäquater Sprechstrategien (Oomen-Welke 2010: 33).

Zusammenfassend stellen die drei hier zugrundegelegten Profile eine empirische Grundlage für die Entwicklung von Sprachmaterial zum autodidaktischen Auf- und Ausbau vonAlbanischkenntnissen dar. Dadurch wird ein sprachliches Potenzial gefördert, das primär direkt betroffenen G3-Albanisch-Sprechern, aber auch Anderssprachigen wie etwa Deutschen und Schweizern neue sprachliche Perspektiven eröffnet und auch schweizerischen bildungs-gesellschaftlichen Bemühungen entspricht, sprachliche Vielfalt als unverzichtbare Ressource zu fördern und zu nutzen.



7  Ausblick

Die datenbasiert erarbeiteten Sprachprofile, die sich hier auf das gesprochene Albanisch beschränken, können prinzipiell auf die Schriftlichkeit erweitert werden. Es bietet sich an, die hier präsentierten Profile, das dazu entwickelte Profilbildungsmodell sowie das Sprachraster für andere Migrantensprachen zu adaptieren und weiterzuentwickeln.

Geplant ist, auf der Basis der vorliegenden Sprachprofile herkunftssprachliches Material zu entwickeln und Interessierten online zur Verfügung zu stellen. Die Praxisvorschläge aus den Bereichen Musik, Sport, Urlaub und Beruf sollen die Sprecher und Sprecherinnen der dritten Generation darin unterstützen, über diese Themen frei im Alltag zu kommunizieren und mit dem gesprochenen Albanisch selbstbewusst umzugehen. Zudem sollen die Beispiele sie dazu anspornen, Vielsprachigkeit als Potenzial zu erachten, das Albanische aktiv zu gebrauchen und es als Ressource bewusst zu pflegen.

Ferner bietet es sich an, über das Albanische hinaus zu prüfen, ob und gegebenenfalls wie die mitgebrachten Sprachressourcen der dritten Generation auf den unterschiedlichen Bildungsstufen und in den verschiedenen Bildungseinrichtungen aktiv mitberücksichtigt werden können, damit der Zugang zu verschiedenen Sprachen ermöglicht wird und Studierende beispielsweise einen direkten Zugang zu den Originalsprachen haben und dabei Originalliteratur benutzen (können) (Dannerer 2018: 80f).



Anhang

Raster zur Analyse mündlicher Sprachkompetenzen


Punktzahl und Profilzuteilung:

Die Maximale Punktzahl liegt bei 30 (entspricht 100%). Profil 1 = 0-15 Pt. (50%); Profil 2 = 16-23 Pt. (76%); Profil 3 = 24-30 (100%). Die Punktzahl der drei Profile ist bewusst breit angelegt und dient als Orientierungsrahmen bei der Interviewanalyse und -zuteilung einem der drei Profile (Anfänger, Semifortgeschrittene und Fortgeschrittene). Der Festlegung der Punktzahlen liegen das Rasch-Modell13 (Wright & Stone 1979: 96ff) und die Multi-Matrix unserer quantitativ-qualitativen Daten zugrunde. Daraus folgt: 25% (24-30 Pkt.) G3-Interviewter (n=40) verfügen über sehr gute, 25% (16-23 Pkt.) über mittlere und 50% (weniger als 30 Pkt.) über geringe mündliche Sprachkenntnisse.



Inhaltliche Gewichtung:

Wortschatz (Wortrepertoire und Wortbildung) 18 Pt.; Grammatik (Syntax und Morphologie) 12 Pkt.

Die übergeordnete Norm als Vergleichsbasis für die Festlegung der G3-Profile Anfänger, Semifortgeschrittene und Fortgeschrittene bilden vier analysierte G1-Albanischinterviews.


Tabellarische Darstellung der Profilzuordnung der Befragten

                     Anfänger                                Semifortgeschrittene                     Fortgeschrittene


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Autor:

Prof. Dr. Dr. Naxhi Selimi

Pädagogische Hochschule Schwyz

Fachdidaktik Deutsch und Deutsch als Zweitsprache

Zaystrasse 42

CH-6410 Goldau

Email: naxhi.selimi@phsz.ch


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1 Dieser Beitrag entstand im Rahmen des SNF-geförderten Projekts ‚Albanisch im Kontakt. Horizontaler Transfer und Identitätsstiftung in der Mehrsprachigkeitspraxis‘ (Projekt-Nr. SNF 100015L_182126 / 1); www.slav.uzh.ch; www.albanisch-im-kontakt.daf.uni-muenchen.de; www.phsz.ch. Für die hilfreichen Rückmeldungen und die statistische Unterstützung danke ich Barbara Sonnenhauser, Claudia M. Riel, Paul Widmer und Andrea Cantieni.

2 Hierbei wurden über die vierzig G3-Interviews hinaus vier G1-Interviews im Hinblick auf die

Sprachprofilbildung analysiert und als Vergleichsbasis herangezogen. Diese liegen dem Forschungsteam vor, werden hier aus Platzgründen jedoch nicht dargestellt.

3 Bei der Formulierung der Fragebogen-Items wurden die Übersicht mit diesbezüglichen Prinzipien von Riemer (2016: 160) sowie der validierte Fragebogen von Schader (2006: 411) in modifizierter Form herangezogen.

4 1. Datenauswertung entlang der Kategorien, 2. Zusammenhänge der Subkategorien innerhalb einer Hauptkategorie, 3. Zusammenhänge zwischen Kategorien, 4. Kreuztabellen: qualitativ und quantitativ, 5. Konfiguration der Kategorien, 6. Darstellung analysierter Interviews im Überblick.

5 1. Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen, 2. Gruppierung der Fälle und Analyse empirischer Regelmäßigkeit, 3. Analyse inhaltlicher Sinnzusammenhänge und Profilbildung, 4. Charakterisierung gebildeter Profile.

6 Mit MAXQDA ließen sich keine komplexen quantitativen Cluster und vor allem keine lexikalischen Verknüpfungen herstellen, weil Albanisch als Sprache von MAXQDA nicht erkannt wird. Deshalb wurde alternativ für die Ermittlung mehrerer Variablen und Ausprägungen die R-Software (R Core Team 2018) herangezogen (Kap. 5).

7 In diesem Zusammenhang werden in der Fachliteratur neben dem Ideal-, Proto- und Realtypus auch der Durchschnitts- und Extremtypus erwähnt. Während der Durchschnittstypus regelmäßige (vorliegend sprachbezogene) Erscheinungsformen innerhalb eines Falls erfasst, dient Letzterer bei stark heterogenem Datenmaterial dazu, extreme Gegensatzpole zu erläutern (Lamnek 2010: 206).

8 Die Darstellung aller in Kap. 4.2 erwähnten Fragenblöcke und eine vergleichende

Interpretation aller analysierten Einzelfälle (n=40) hätte den Rahmen dieses Beitrags gesprengt. Deshalb werden in Kap. 5 exemplarisch die Fragen zur Sprachpraxis sowie für jedes Sprachprofil ein Fallbeispiel präsentiert. Das Forschungsteam verfügt über alle mit dem Sprachraster und MAXQDA analysierten G3-Einzelinterviews.


10 Es sollte bereits mit den generierten Pretestdaten eine erste Skalenbildung mit mehreren

Variablen vorgenommen werden, um dabei die sogenannten Cronbachs Alpha-Koeffizienten vor der Haupterhebung der Daten zu überprüfen. Dieser Schritt wurde in unserer Studie vernachlässigt, was sich bei der Datenauswertung als methodische Einschränkung der interferenzstatistischen Überprüfung entpuppte.

11 Gemäss IEC-Norm 60559 (https://en.wikipedia.org/wiki/IEEE_754 ) wurde x.5 zu derjenigen

geraden Zahl gerundet, die am nächsten liegt; z.B. 11.5 wird auf 12, 12.5 wird ebenfalls auf 12 gerundet. Damit konnte der Rundungsfehler minimiert werden. Die abweichenden Prozentwerte in den einzelnen Abbildungen hängen mit den Rundungen zusammen. Vorliegend wurden sie aus Platzgründen auf eine ganze Zahl gerundet (z.B. 0.5 auf 1.5 usw.).

12 Das Unterstützungsmaterial, das sich auf die Themen Sport, Musik, Berufe und Urlaub bezieht, wird derzeit erarbeitet und ist voraussichtlich ab Frühsommer 2022 im Internet offen zugänglich.

13

Wright, Benjamin D. / Stone, Mark H. (1979): Best Test Design. Rasch Maesurement. University of Chicago: Mesa Press.