Editor

JLLT edited by Thomas Tinnefeld
Journal of Linguistics and Language Teaching
Volume 7 (2016) Issue 2


Zur Bewertung der pragmatischen Kompetenz mazedonischer Fremdsprachenstudierender

Biljana Ivanovska (Štip, Republik Mazedonien) / Marija Kusevska (Štip, Republik Makedonien) / Nina Daskalovska (Štip, Republik Makedonien)


Abstract (English)
The objective of this article is to present an ongoing research project on the pragmatic competence (and its components) of L2-language students who are studying English and German at the Faculty of Philology, University „Goce Delchev“ in Stip, R. Macedonia. When it comes to L2 students' pragmatic skills, there are two main problems which have to be taken into consideration: the components of their interlanguage that should be measured, and the way that these components should be measured. The purpose of this study is to explore the components that L2 students need to acquire in order to develop their pragmatic abilities. The different views in the communicative and linguistic competencies also include linguistic, sociolinguistic and pragmatic competences. Pragmatic competence involves the students' knowledge about the principles according to which information is organized, structured and arranged (discourse competence), information that can be used to meet various communicative functions (functional competence) as well as the delivery of information according to interactional and transactional schemata (design skills).

Key words: pragmatic competence, Interim language, speech acts, L2 students


Abstract (Deutsch)
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, die Erforschung der pragmatischen Kompetenz und ihre Bestandteile bei Fremdsprachenstudierenden darzustellen und zu analysieren. Die Beschreibung der Entwicklung der pragmatischen Kompetenz von Fremd- und Zweitsprachenstudierenden wurde in vielen Arbeiten und Veröffentlichungen, die die interkulturelle und interimssprachliche Pragmatik behandeln, erforscht und analysier(z. B. Bardovi-Harlig 1999, Barron 2003, Blum-Kulka House & Kasper 1989, Cohen & Ishihara 2005, Ishihara & Cohen 2010, Kasper & Blum-Kulka 1993, McConachy & Hata 2013, Trosborg 2010, Wigglesworth & Yates 2007). In dieser Arbeit definieren wir zunächst die interimssprachliche Pragmatik. Dann beziehen wir uns auf die Probleme bezüglich der pagmatischen Kompetenzen und Komponenten, die für ihre Entwicklung relevant sind. Zum Schluss diskutieren wir die Instrumente und Methoden des Testens der interimssprachlichen pragmatischen Kompetenzen.
Stichwörter: pragmatische Kompetenz, Interimssprache, Sprechakte, L2-Studierende







1 Einführung

Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht die Analyse und Erforschung der Komponenten der pragmatischen Kompetenz bei Fremdsprachenstudierenden, wobei das Forschungsinteresse auf deren Bewertung gerichtet ist. Die Bewertung resultiert aus der Forschungsarbeit an dem Projekt „Die Rolle der expliziten Anweisung in der Entwicklung pragmatischer Kompetenz im Englischen und im Deutschen als Fremdsprache” („The role of explicit instruction in developing pragmatic competence in learning English and German as a foreign language”), das an der Philologischen Fakultät der Universität Goce Delčev zu Stip (Republik Mazedonien) durchgeführt wurde. Ziel dieses Projekts ist es, die Komponenten zu analysieren, die Fremdsprachenstudierende beherrschen müssen, um pragmatische Kompetenz zu entwickeln. Der vorliegende Beitrag stellt eine Beschreibung der ersten Phase unseres laufenden Forschungsprojekts dar, um die Entwicklung der pragmatischen Fähigkeiten der Fremdsprachenstudierenden zu erforschen und zu beschreiben. Wir definieren in diesem Zusammenhang zunächst die pragmatische Fähigkeit. Danach besprechen wir die Instrumente, die wir für die Sammlung der Daten verwendet haben, ebenso wie die Analyseverfahren. Schließlich wird ein Űberblick über die weitere Forschungsarbeit gegeben.

Die Teilnehmer an diesem Projekt sind Englisch- und Deutschstudierende an der Philologischen Fakultät der Unversität Goce Delčev zu Štip. Das Projekt wurde durch den hohen Stellenwert pragmatischer Kenntnisse angeregt, deren Anwendung es den Studierenden ermöglicht, in der Zielsprache angemessen zu kommunizieren bzw. zu agieren.

Ein Hauptziel des Fremdsprachenunterrichts ist es, die Lernenden darauf vorzubereiten, effektiv mit der erlernenden Sprache umzugehen und in dieser zu kommunizieren. Prominente Autoren der kommunikativen Methode sind seit Jahrzehnten der Ansicht, dass die Kenntnis von Wortschatz und Grammatik für eine erfolgreiche Kommunikation in der Zielsprache nicht hinreichend sei (z.B. Mitchell (1994), Richards & Rodgers (2001) und Savignon (2000). Die Studierenden sollten demnach so ausgebildet werden, dass sie in Bezug auf ihre Gesprächspartner und die Beziehungen mit ihnen die richtigen sprachlichen Mitteln auszuwählen imstande sind. Wenn wir dieses Ziel des Sprachunterrichts im Sinn haben, können wir erwarten, dass der Pragmatik eine führende Rolle beim Fremdsprachenlehren und -lernen zukommt. Leider verbleibt sie in der Praxis jedoch nur am Rande der Fremdsprachenvermittlung. In Sprachlehrwerke wird sie nur soweit miteinbezogen, wie es gerade als notwendig angezeigt ist, und die Autoren können nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn die modernen Methoden der Fremdsprachenvermittlung nicht befolgt werden bzw. wenn weiterhin in traditioneller Form unterrichtet wird, wobei die Grammatik die Hauptrolle spielt, der Wortschatz die zweite Stelle einnimmt und die Pragmatik unter die Teilmenge der übrigen Bereiche fällt.

Die Entwicklung der pragmatischen Kompetenz ist für die Lernenden besonders dann schwierig, wenn die jeweilige Fremdsprache in einer Umgebung erlernt wird, in der sie nicht der täglichen Kommunikation dient und die Lernenden keinen nachhaltigen Input bekommen, der es ihnen ermöglicht, ihre Kenntnis pragmatischer Kompetenz praktisch anzuwenden. Zudem existiert hinsichtlich der kommunikativen Kompetenzen der mazedonischen Englisch- und Deutschlernenden ein Mangel an gültigen Vorgaben: Im Fremdsprachunenterricht gibt es kaum Lehrpläne, in denen ein Schwerpunkt der kommunikativen Kompetenzen gelegt wird, und es existiert ein erheblicher Bedarf an effektiven Methoden zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit der Lernenden. Ziel unseres Projektes ist es, diese Lücke zu schließen.

2 Interimssprachliche Pragmatik

2.1 Definition des Begriffs
Im Bereich der interkulturellen und interimssprachlichen Pragmatik besteht eine lange Forschungstradition, in der man sich mit den Problemen der pragmatischen Kompetenz in Fremd- oder Zweitsprache beschäftigt hat (z.B. Bardovi-Harlig 1999, Barron 2003, Blum-Kulka, House & Kasper 1989, Cohen & Ishihara 2005, Ishihara & Cohen 2010, Kasper & Blum-Kulka 1993, McConachy & Hata 2013, Trosborg 2010 und Wigglesworth & Yates, 2007).  

Dabei wird die interimssprachliche Pragmatik auf unterschiedliche Art und Weise wahrgenommen und definiert. Kasper & Blum-Kulka beschreiben die pragmatische Fähigkeit des Lerners als den Gebrauch und Erwerb von Sprachhandlungsmodellen durch Nichtmuttersprachler in einer zweiten Sprache (Kasper & Blum-Kulka 1993: 3). Kasper & Schmidt (1996) behaupten, dass dieses Modell auf der interkulturellen Pragmatik begründet wurde. Es existiert eine lange Reihe von Forschern, die Querschnitts- oder Langzeituntersuchungen zur interimssprachlichen Pragmatik durchgeführt haben - mit dem Versuch diese zu erklären und zu definieren, aber es war Bardovi-Harling (1999), die Bedenken dahingehend gezeigt hat, dass der Versuch, sie zu erklären und zu definieren, eine Aufgabe des Spracherwerbs ist. In Bezug auf diesen Forschungsschwerpunkt hat Barron (2003) in ihrem Buch Acquisition in Interlanguage Pragmatics sowohl die wichtigsten Informationen des Erwerbsvorgangs der pragmatischen Kompetenz dargestellt als auch deren Entwicklung präsentiert, die einen vernachlässigten Forschungsbereich der interimssprachlichen Pragmatik darstellt.

Crystal liefert eine umfassende Definition des Begriffs Pragmatik:
Pragmatics is the study of language from the point of view of users, especially of the choices they make, the constraints they encounter in using language in social interaction and the effects their use of language has on other participants in the act of communication. (Crystal 1985: 240)
Laut Crystals Definition ist nicht nur der Sprechakt für eine erfolgreiche Kommunikation entscheidend, sondern auch der soziale Diskurskontext wie Sprechfertigkeit und Höflichkeit oder auch die Verwendung von Metaphern und Ironie.

Im Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen (GeR) (Europarat 2001: 9) wird auch die Frage der Ausgrenzung der Kompetenzen behandelt. Der GeR schließt die kommunikative Kompetenz als auch die linguistische, soziolinguistische und pragmatische Kompetenz ein. Er bestimmt als soziolingustische Kompetenzen die folgende Kriterien: linguistische Marker sozialer Beziehungen, Höflichkeitskonventionen, Ausdrücke der Volksweisheit, Registerunterschiede, sowie Dialekt und Akzent. Die pragmatische Kompetenz beinhaltet die Kenntnisse der Studierenden gemäß den Prinzipien, nach denen Informationen organisiert, strukturiert und arrangiert sind (Diskurskompetenz), benutzt werden können, um kommunikative Funktionen zu erfüllen (Funktionskompetenz) und gemäß interaktionalen und transaktionalen Schemata angeordnet sind (Designkompetenz) (Europarat 2001: 123).

Motiviert durch diese Anregungen, begannen die Autorinnen des vorliegenden Beitrags ihr zuvor genanntes Projekt, das sich insbesondere auf die folgenden Schwerpunkte konzentriert:
  • Die Realisierung der Sprechakte BeantragenSich entschuldigen und Klagen in der Interimssprache der Englisch- und Deutschlernenden,
  • Den Vergleich der Sprechaktrealisation in der Zielsprache und in der Interimssprache der Lernenden,
  • Die Definition derjenigen Anlässe, die bei Fremdsprachenlernern zu pragmatischem Misserfolg führen und
  • Die Rolle der expliziten Anweisung in der Entwicklung der pragmatischen Kompetenz der Fremdsprachenlerner.
Im vorliegenden Beitrag werden wir zunächst die pragmatischen Voraussetzungen der Lernenden diskutieren, also die Kentnisse, über die die Lernenden verfügen müssen, um pragmatisch adäquat agieren zu können. Im Anschluss hieran besprechen wir die Instrumente, die zur Messung der pragmatischen Fähigkeit der Lernenden dienen. Schließlich weisen wir auf die nächste Phase unserer Forschungsarbeit hin.

2.2 Interimssprachliche und pragmatische Probleme

Die Bedeutung der pragmatischen Kompetenz im Bereich des Fremd- und Zweitsprachenerwerbs ist bereits eingehend behandelt worden, aber es ist offensichtlich, dass das Bewusstseinsniveau hinsichtlich der Fremdsprachenvermittlung noch immer recht niedrig liegt. Einschlägige Studien (z. B. Thomas 1983: 97, Tannen 1984) haben gezeigt, dass Muttersprachler die von Fremdsparchenlernern gemachten grammatischen und lexikalischen Fehler für normal und erwartbar halten, aber sie neigen zu der Auffassung, dass die Studierenden die gleichen, pragmatischen Normen besitzen und auf dieselbe Weise antworten, wie sie selbst es machen würden. Die größten pragmatischen Probleme stellen Missverständnisse zwischen den Sprechern dar: die rezeptive Teilnahme am Gespräch als Hörer, das Verstehen von Metasprache und Metapragmatik, das Verstehen und die (unzutreffende) Einschätzung von Ungesagtem, die Vermeidung von Sprechakten und schließlich das nonverbale Verhalten der Interaktionspartner.

3 Komponenten des Testens und Prüfens interimssprachlicher Pragmatik

Für die Sammlung von Daten und die Prüfung pragmatischer Kompetenzen ist die Festlegung einer Methode notwendig. Die angemessenste Methode für das Testen und Prüfen der pragmatischen Kompetenzen L2-Studierender ist wohl der Vergleich des Sprachverständnisses und der Sprachproduktion der Studierenden mit demjenigen von Muttersprachlern. Roever (2005) wählt in diesem Zusammenhang für seinen webbasierten Pragmatikkompetenztest drei Komponenten: den Sprechakt, die Implikatur und die Routine. Darüber hinaus sind zahlreiche interkulturelle Studien zur Erforschung von Sprechakten durchgeführt worden, so beispielsweise zu den Sprechakten Bitten, Sich entschuldigen, Sich beschweren, Vorschlagen (z. B. Beebe et al. 1990, Blum-Kulka 1982, Cohen et al. 1986, Gass & Neu 1996, House & Kasper 1987, Ikoma 1993, Kasper 1989, Olshtain & Weinbach 1987, Takahashi & Beebe 1987, 1993, Trosborg 1995).

3.1 Entwicklung von Tests zur Bewertung interimssprachlicher Pragmatik
Unter dem Begriff pragmatische Kompetenz (pragmatic competence) verstehen wir:
the knowledge of the linguistic resources available in a given language for realizing particular illocutions, knowledge of the sequential aspects of speech acts, and finally, knowledge of the appropriate contextual use of the particular language’s linguistic resources. (Barron 2003: 10)
Damit wird festgelegt, dass die pragmatische Kompetenz sowohl die Fähigkeit zur Realisierung von Sprachfunktionen als auch die Kenntnis sozial angemessenen Sprachgebrauchs einschließt. Obwohl gegebene Gespräche, in die Sprechakte eingebettet sind, zunächst unsystematisch erscheinen mögen, werden sie dennoch von sozialen und kulturellen Regeln beeinflusst. Diese Regeln schreiben die Strategien und sprachlichen Mittel vor, die in einem bestimmten Kontext verwendet werden können (Hudson et al. 1995, Roever 2005 und 2006b, Bouton 1988, 1994 und 1999).

Angesichts der Tatsache, dass die Pragmatik ein sehr weites Fachgebiet ist, ist es nahezu unmöglich, einen einzigen Test zu konzipieren, mit dessen Hilfe die gesamte pragmatische Kompetenz der Studierenden bewertet werden kann. Hingegen ist es - in Analogie zum Testen im Allgemeinen - möglich, einen breiteren inhaltlichen Umfang zu kreieren und durch entsprechende Testserien eine substanzielle Bandbreite pragmatischer Kompetenz zu prüfen. Das Prüfen der pragmatischen Kompetenz als solcher ist jedoch so komplex, zeitaufwändig und wenig praktikabel, wie es das Testen der Sprachkompetenz insgesamt wäre. Abhängig von dem Testziel können verschiedene pragmatische Kompetenzen getestet werden (McNamara 2006: 65). Weil die Pragmalinguistik und die Soziopragmatik eng miteinander verbunden sind, ist es allerdings schwierig, einen Test zu konzipieren, der ausschließlich die Pragmalinguistik oder die Soziopragmatik testet und prüft. Unserer Meinung nach muss die Bewertung der pragmatischen Kompetenz sowohl die Pragmalinguistik als auch die Soziopragmatik einschließen.

Im Rahmen der Erstellung eines Test zur pragmatischen Kompetenz sind die folgenden Gesichtspunkte zu beachten:
  • der Sprecher
  • der Hörer
  • deren Vertrautheit
  • deren Solidarität
  • die Handlungsausführung
  • die Sprechaktsituation und
  • die soziokulturellen Variablen dieses Phänomens

3.2 Instrumente zur Bewertung der interimssprachlichen und pragmatischen Fähigkeiten

Es bestehen mehrere Instrumente, die derzeit für das Testen der pragmatischen Kompetenz verwendet werden, wie z. B. die Discourse Completion Task (DCT), Rollenspiele, Interviews und Multiple-Choice-Tests. Diejenigen Instrumente und Methoden, die wir bei der Bewertung der pragmatischen Kompetenz bei den Englisch- und Deutschstudierenden benutzt haben, seien hier kurz dargestellt und diskutiert. Da in der Bewertung der L2-Pragmatik die Tendenz einer Fokussierung auf die Sprechakte besteht, beschränken wir uns im Rahmen unseres Forchungsprojekts ebenfalls auf die Sprechakte. Wir beziehen uns dabei auf die folgenden Parameter:
  • Instumente, die zur Bewertung der pragmatischen Kompetenz verwendet werden können,
  • Kontextparameter, d.h. das Umfeld, zu dem der jeweilige Sprechakt gehört,
  • Parameter der Authentizität)
  • Parameter der Retrospektive)
In den von uns herangezogenen Studien werden zur Bewertung der pragmatischen Kompetenz der Studierenden hauptsächlich (mündliche oder schriftliche) DCTs und Rollenspiele verwendet. Die von den Studierenden gegebenen Antworten werden auf der Basis der folgenden Merkmale bewertet:
  • Fähigkeit zum Gebrauch des richtigen Sprechakts,
  • Charakteristik bzw. Modellhaftigkeit der Ausdrücke,
  • Angemessenheit der Redeanteile und der gegebenen Informationen,
  • Formalitätsgrad,
  • Direktheit und
  • Höflichkeit

3.3 Die Discourse Completion Task (DCT)

Discourse Completion Tasks (DCTs) sind bisher am meisten kritisiert worden (Beebe & Cummings 1996, Billmyer &Varghese 2000, Nurani 2009). Sie sind jedoch das meistbenutzte Instrument für die Messung und Bewertung der pragmatischen Kompetenz. Die DCTs sind vorteilhaft, weil sie Sprechakte elizitieren, die der realen Welt ähneln, und weil sie sich durch eine hohe Praktikabilität auszeichnen und sich auf eine große Anzahl von Testteilnehmern gleichzeitig anwenden lassen (McNamara 2006: 65). Obwohl oft behauptet wird, dass die DCTs nicht die Realität widerspiegeln, bieten sie dennoch wesentliche Vorteile. So weist McNamara (200667) darauf hin, dass:
although DCTs (and most multiple choice measures) measure knowledge and do not allow direct predictions of real-world performance, they can be thought of as measuring potential for performance, as knowledge is arguably a necessary precondition for performance. (McNamara 2006: 67)
Die von uns für die Bewertung der pragmatischen Kompetenzen unserer Fremdsprachenstudierenden verwendeten DCTs bestehen aus drei Teilen, und zwar in Bezug auf drei unterschiedliche Sprechakte: AnfragenSich entschuldigen und Sich beschweren. Für den Sprechakt Anfragen legten wir die Studien von Blum-Kulka & Olshtain (1984), Economidou-Kogetsidis & Woodfield (2012) und Olshtain & Cohen (1990) zugrunde, für den Spreachakt Sich entschuldigen diejenigen von Blum-Kulka & Olshtain (1984), Ogiermann (2009) und Trosborg (1995) und für den Spreaachakt Sich beschweren diejenige Trosborg (1995).

Um die vorhandenen Schwächen – die im Wesentlichen darin bestanden, den Studienrenden die Unklarheiten bestimmter Situationen und Szenarien zu erklären und zu veranschaulichen sowie ihnen die unbekannten Wörter und Wendungen zu erklären und zu übersetzen - zu beseitigen, wurde zunächst ein Vortest mit 20 Englischstudierenden durchgeführt. Nach dem DCT sollten die Studierenden die folgenden Fragen mit Ja oder Nein beantworten:
  • Die in der Situation gegebene Information reicht hin.
  • Die Situation und die Rollen der Gesprächsteilnehmer sind klar.
  • Die Situationen stellen mögliche Alltagssituationen dar.
  • Der situationale Kontext ist für die mazedonischen Studierenden geeignet.
Aufgrund der Bemerkungen der Studierenden wurde von uns beschlossen, dass:
  • manche Situationen zusätzlicher Erklärungen des Verhältnisses zwischen dem Sprecher und dem Hörer bedürfen, zum Beispiel, wenn sie Freunde wären, wie die Freundschaft ist, und wenn sie Bekannte wären, wie gut sie sich kennen;
  • von den Studierenden verlangt werden sollte, dass sie in jeder Situation etwas sagen. Allerdings hatten die Studierenden in manchen Situationen des sich Beschwerens und Entschuldigens das Gefühl, dass sie daran nicht teilnehmen wollten;
  • und dass die Beschreibungen zu zwei Situationen umgeschrieben werden sollten, da die meisten Studierenden diese nicht verstehen konnten.

4 Die erste Untersuchungsphase

4.1 Allgemeine Ergebnisse

Die Ergebnisse des Schnelleinstufungstests (English / German placement test) waren wie folgt:
  • Für Englisch-Studierende:
          C2: 9        B2: 52     A2: 7
          C1: 36      B1: 35
  • Für Deutsch-Studierende:
          C2: 7        B2: 29     A2: 7
          C1: 5        B1: 11

Im weiteren Verlauf unserer Studie wurde wir ausschliißlich mit den Niveaustufen B2 und C1 gearbeitet. Alle Studierenden, die den DCT abgeschlossen hatten, führten auch das Rollenspiel durch. In Tabelle 1 ist die Anzahl der DCT-Antworten und der Rollenspiele für jeweils jede Stufe dargestellt. Im Anschluss an die Rollenspiele erhielten führten wir mit den Studierenden 37 retrospektive Interviews durch:


Sich entschuldigen
Auffordern
Sich beschweren
Total
B2




DCT- Antworten  
*ES-277
ES-275
ES-265
ES-817

**DS-154
DS-156
DS-145
DS-455
Rollenspiele
ES-31
ES-41
ES-45
ES-117

DS-11
DS-8
DS-3
DS-22
C1




DCT-Antworten
ES-185
ES-185
ES-186
ES-556

DS-17
DS-18
DS-18
DS-53
Rollenspiele
ES-21
ES-27
ES-21
ES-69

-
-
-

-
* ES: Englisch-Studierende ** Deutsch-Studierende
Tab. 1: Anzahl von DCT-Antworten und Rollenspiele: Niveaustufe B2 und C1

Die relative Leistung (L) ist der Grad, mit dem der Sprecher dem Hörer seinen Willen hinsichtlich eines höheren Ranges innerhalb einer Organisation, der Stellung im Beruf, oder der Notwendigkeit des Hörers aufzwingt, um eine bestimmte Aufgabe oder Arbeit durchzuführen. Soziale Distanz (D) ist der Bekanntheitsgrad und der Grad an Solidarität, die die Gesprächspartner untereinander aufweisen.

Tabelle 2 zeigt die Verteilung der Variablen der Leistung, der sozialen Distanz und den Grad der Auferlegung über die DCT-Aufgaben:

Situation
Kontextuelle Einbettung
Autorität
Soziale Distanz
Grad der Auferlegung

Entschuldigung

1.
Ein Buch aus der Bibliothek entleihen1
+
+
mittel
2.
Das Buch eines Professors zurückgeben2
+
+
hoch
3.
Im Gepäckausgabe­bereich den falschen Koffer nehmen3
-
+
mittel
4.
Eine Einkaufstasche fällt im Bus aus dem Gepäcknetz und trifft einen anderen Fahrgast.4
-
+
mittel / hoch / niedrig
5.
Einen Termin verabreden5
-
-
hoch / niedrig / mittel
6.
Eine Seminararbeit abgeben6
-
-
hoch

Aufforderung

1.
Ein Projekt einreichen7
+
+
mittel
2.
Eine Einladung, einen Vortrag zu halten,aussprechen8
+
+
hoch
3.
Um eine Mitnahmemöglichkeit im Auto bitten9
-
+
mittel
4.
Um Feuer bitten10
-
+
mittel
5.
Sich ein Vorlesungsskript ausleihen11
-
-
mittel
6.
Sich Geld von einem Freund leihen12
-
-
hoch

Beschwerde

1.
Eine kritische Bemerkung über eine erteilte Note machen13
+
-
hoch
2.
Mit seinem Arzt eine falsche Verordnung besprechen14
+
+
hoch
3.
Eine laute Party abhalten15
-
+
mittel
4.
Diszipliniert in einer Schlange stehen16
-
+
mittel
5.
Jmd. mit Verspätung abholen17
-
-
mittel
6.
Eine kleine Delle am Auto bemerken18--
hoch

Tab. 2. Autorität, soziale Distanz, Grad der Auferlegung in den DCTs und Rollenspiel-Aufgaben

Einige dieser Variablen sind schwer zu bestimmen, weil wir keinen vollständigen Kontext haben, und für das Rollenspiel wußten wir auch nicht, wie die jeweils andere Person reagieren würde. Es war besonders schwierig, über die Auferlegung zu entscheiden. Zum Beispiel betrachteten manche Studierende die Situationen für die Verabredung eines Termins als hohe Auswirkung der Handlungsausführung; andere hingegen betrachteten diese Situation als niedrige Auswirkung der Handlungsausführung.

Die Auferlegung hängt von anderen Faktoren ab, z.B.: vom Plan des Hörers, von der momentanen Stimmung des Sprechers oder auch von den jeweiligen Umständen.

Die Wahrnehmung der Auferlegung kann auch kulturell eingeschränkt werden. Was in einer Kultur als eine hohe Auswirkung der Tatbegehung betrachtet wird, und was in einer anderen Kultur als geringe Auswirkung angesehen wird, ist eine derzeit noch ungeklärte Frage. Die Wahrnehmung der Auferlegung oder der Auswirkung ist darüber hinaus von der Persönlichkeit der Gesprächspartner abhängig. Einige Sprecher können die Situation des Hinunterfallens der Einkaufstasche19 aus dem Gepäcknetz eines Busses als hohes Vergehen anzeigen, weil sie es vor allem als ihre Schuld betrachten; für andere kann dieses Vergehen lediglich eine geringe oder minderschwere Auswirkung darstellen, weil sie es nicht als ihre Schuld ansehen.


4.2 Direkte und indirekte Strategien

Wir legen hier die Klassifikation der neun Strategien von Blum-Kulka (1982, 1987) und House & Kasper (1989: 18) zugrunde, die für den Ausdruck der Aufforderung verwendet werden können. Fünf von ihnen sind direkte Strategien, zwei sind konventionell-indirekt und zwei sind unkonventionell indirekt. Die Strategien werden nach dem Grad der Direktheit gestaffelt und sie schließen sich gegenseitig aus. Im Folgenden geben wir einen Űberblick über die drei wichtigsten Strategien:

Direkte Strategien: 
  • Der Modus des Verbs markiert die illokutionäre Kraft in der
    Äußerung als eine Anfrage (mood derivable): Lass mich in Ruhe! Bitte, bewegen Sie Ihr Auto! Die Speisekarte, bitte.
Die grammatische Art der Illokution bestimmt die illokutionäre Macht der Aufforderung. Die prototypische Form ist der Imperativ, aber auch der Infinitiv oder der elyptische Satz ist häufig zu verwenden. 

In unserer Forschung treten hier oft direkte Fragen auf, z.B.: Welche Flüge haben Sie nächste Woche nach Paris?
  • Die Verwendung expliziter Performative: Die illokutionäre Macht ist mit Hilfe des passenden illokutionären Verbsexplizit ausgedrückt : Ich bitte Sie, mir zu helfen. 
  • Verwendung von hedged perfomatives (modifiziert performative Äußerungen): Hierbei wird das illokutionäre Verb von einem Modalverb oder von einem Verb, das eine Absicht ausdrückt, modifiziert: Ich möchte dich fragen; Ich muss dich fragen.
  • Ausdrücke zur Verpflichtung des Hörers (obligation statement)Hier wird die illokutionäre Absicht von dersemantischen Bedeutung der Lokution abgeleitet. Diese Ausdrücke drücken eine moralische Verpflichtung einer Person aus, die die Aufforderungentgegennimmt. Sie müssen / sollen / können Ihr Auto wegfahren.
  • Ausdrücke der Wünsche und Notwendigkeit: Ich möchte Ihr Buch für einekurze Zeit ausleihen. Ich brauche eine Pause.

Indirekte Strategien:
  • Konventionell-indirekte Strategien: Für die konventionelle Indirektkeit sind die wichtigsten Konventionen die pragmalinguistische, d.h. die Konventionen, die bestimmte sprachliche Mittel mit bestimmten pragmatischen Funtionenverbinden. Als konventionelle indirekte Strategien nennen wir her die folgenden: Vorschlagsformel – Wie wäre es..., Wie steht es..., Was hältst du von...? Warum räumst du nicht dein Zimmer auf?
  • Vorbereitende Massnahmen: Der Ausdruck enthält eine Bewilligung, einen Wunsch oder eine Möglichkeit für die Erfüllung der Aufforderung: Darf ich mir Ihre Notizen ausleihen? Können Sie vielleicht den Aufsatz bis Freitag fertig machen? 
Unkonventionell-indirekte Strategien:

In der unkonventionellen Indirektheit gibt es keine formellen Grenzen auβer denjenigen, die von den Grice'schen Gesprächsmaximen (1975) diktiert werden. Als unkonventionelle indirekte Strategien listen wir die folgenden auf: 
  • starker Hinweis (strong hint): Die illokutionäre Absicht wird nicht direkt von der Lokution abgeleitet; die Lokution bezieht sich auf die relevanten Elemente des geplanten illokutionären und / oder propositionalen Sprechakts. Solche Elemente werden grundsätzlich mit den Voraussetzungen für die Erfüllung der Aufforderung verbunden. Da sie unkonventionell sind, verlangen die Hinweise eine gröβere Aktivität der Schlussfolgerung des Gesprächspartners, z.B: Gehen Sie nach Hause? (mit der Absicht den Hörer nach Hause mitzunehmen);
  • milder Hinweis (mild hints)die Lokution beinhaltet keine Elemente, die für die geplante Illokution oder Proposition wichtig sind, unddamit lassen sie genug Platz für eine tiefere Kontextanalyse und frühere Erfahrung des Gesprächspartners, z.B. Ich habe es nicht erwartet, dass diese Sitzung so spät endet (mit der Absicht, mich nach Hause zu bringen).
In unserer Analyse kommt eine bestimmte Gruppe der sogennanten „grenzüberschreitenden“ Hinweise vor, die der Form nach den direkten Aufforderungen ähneln, obwohl bei den Ausdrücken die illokutionäre Absicht nicht direkt von der Lokution abgeleitet wird:
Anfragestrategie
B2
DCT 1
(formell)
(n=22)
DCT 2
(formell)(n=22)
DCT 3
(formell/ infor-mell)
(n=22)
DCT 4
(formell/infor-mell
(n=22)
DCT 5
(infor-mell)
(n=22)
DCT 6
(infor-mell)
(n=22)
Gesamt
(n=22)
Kann ich Kannst du / Können Sie (mir) (bitte) / Könnte ich ...?
18
10
13
14
21
18
94
Ist es möglich, …?
1
-
-
-
-
-
1
Erlauben Sie mir, …?
1
-
-
-
-
-
1
Kann ich (Sie) um etwas bitten?
1
1
-
-
-
-
2
Ich möchte mich erstmal entschuldi-gen.
1
-
-
-
-
-
1
Ich möchte
1
3
1
-
-
-
5
Geht es, wenn, ...?
1
-
-
-
-
-
1
Hätten Sie Zeit /  Haben Sie Zeit / Hast du 10 Minuten?
-
6
-
-
-
1
7
Es würde / Es wäre uns (eine Ehre, wenn Sie)...
-
3
-
-
-
2
5
Du musst...
-
1
-
-
-
-
1
Sie würden uns sehr helfen...
-
1
-
-
-
-
1
Möchten Sie ...
-
1
-
-
-
-
1
Es würde mich sehr freuen, wenn Sie...
-
1
-
-
-
-
1
Entschuldigung, ich habe eine Frage / ein Problem.
-
2
3
-
-
4
9
Ich wollte ...
-
1
-
2
-
-
3
Ich möchte / ich wollte dich (etwas) fragen / mit dir sprechen.
-
-
5
-
-
2
7
Entschuldigung, wohin fahren Sie? Mein Bus ist weg.
-
-
2
-
-
-
2
Seien Sie so nett ...
-
-
1
-
-

1
Darf ich etwas fragen?
-
-
1
-
-
1
2
Haben Sie / Hast du (Feuer)?
-
-
-
9
-
1
10
Ich rufe an, um zu fragen ...
-
-
-
-
1
-
1
Sei so freundlich ...
-
-
-
-
-
1
1
Tab. 3: Strategien bei den B2-Probanden


Strategie
DCT 1-2
(formell)
DCT 3-4
(formell / informell)
DCT 5-6
(informell)
Total
Direkte Ebene:
Ausdrücke in Befehlsform (mood derivable)
-
-
-
-
Explizite Performative
(explicit performatives)
2
3,77%
-
-
2
Modifiziert performative Äußerungen
(hedged performatives)
12
22,64%
9
21,95%
12
23,52%
33
VerpflichtendeAkte
(obligtion statements)
1
1,86%
-
-
1
Aufforderungsakte in Form von Wünschen
(want statements)
5
9,43%
3
7,31%
-
8
Konventionell-indirekte Ebene:
Als Vorschlag formulierte Formeln
(suggestory formulas)
-
-
-
-
VorbereitendeFragen
(query preparatories)
33
63,26%
27
65,85%
39
76,47%
99
Unkonventionell-indirekte Ebene:
Starker Hinweis
(strong hints)
-
-
-
-
Milder Hinweis
(mild hints)
-
2
4,87%
-
2

Tab. 4: Konventionelle und unkonventionelle Strategien

Die graphische Darstellung dieser drei Strategie-Ebenen ergibt die folgende Aufteilung:


Abb. 1: Strategische Ebenen


Die quantitative Auflistung der einzelnen Strategien ergibt folgendes Bild:
Abb. 2: Strategien der B2-Probanden

Die Wahl der Perspektive stellt bezüglich der Aufforderungsvariationen einen wichtigen Aspekt dar. Die Aufforderungen können auf den Sprecher gerichtet sein (Kann / Darf ich ein Glas Wasser haben?) oder auf den Hörer (Können Sie mir ein Glas Wasser bringen?); sie können von einer gemeinsamen Perspektive herasu ausgedrückt werden (Können wir das machen?) oder unpersönlich sein (Es muss gemacht werden).

Da die Aufforderungen entgegengesetzt sind, könnte die Weglassung der Benennung des Gesprächspartners - als Urheber der Aufforderung – in bestimmten Situationen relativierend wirken. In der folgenden Tabelle ist die Distribution der Wahl der Perspektive dargestellt, die unsere Probanden gemacht haben:


Aufforderung mit Ausrichtung auf den Sprecher
Aufforderung mit Ausrichtung auf den Hörer
Aufforderung aus einer gemeinsamen Perspektive heraus
Unpersönliche Aufforderung
Kann ich / Könnte ich. ..?
26
Kannst du / Können Sie bitte …?
68
-
Ist es möglich, ...?
1
Darf ich etwas fragen?
2
Haben Sie / Hast du (Feuer)?
10
-
Geht es, wenn ...
1
Ich wollte ...
3
Seien Sie so nett ... / Sei so freundlich ...
2
-
-
Ich möchte / Ich wollte dich (etwas) Fragen / mit dir Sprechen.
7
Erlauben Sie mir ...
1
-
-
Entschuldigung ich habe eine Frage / ein Problem.
9
Hätten Sie Zeit / Haben Sie Zeit / Hast du 10 Minuten?
7
-
-
Ich möchte ...
5
Du musst ...
1
-
-
Kann ich Sie um etwas bitten?
2
Möchten Sie …?
1
-
-
Ich möchte mich erstmal entschuldigen.
1
Sie würden uns sehr helfen.
1
-
-
Ich rufe an, um zu fragen ...
1
Es würde / Es wäre uns (eine Ehre, wenn Sie) ...
5
-
-

Es wird mich sehr freuen, wenn Sie ...
1
-
-

Entschuldigung, wohin fahren Sie? Mein Bus ist weg.
2
-
-
56
35,67%
99
63.06%
0
0%
2
1,27%

Tab. 5: Distribution der Wahl der Perspektive der Probanden
(Sprachniveau der Studierenden: B2)



Abb. 3: Perspektive der B2-Probanden


4.3 Rollenspiel

Im Vergleich zu den DCTs sind Rollenspiele echten Sprechsituationen ähnlicher. Wie im echten Gespräch kann festgestellt werden:
there is a distributed responsibility among interlocutors for the creation of sequential coherence, identities, meaning, and events. (McNamara, 2006: 46)
Der Kontext, den Rollenspiele bieten, ist ausführlicher: Es gibt (mindestens) zwei Gesprächspartner, und ihre Rollen sind genauer beschrieben. Es gibt auch Überraschungsmomente. Obwohl der größte Teil des Gesprächs vorhergesagt wird, kann der Hörer nicht sicher sein, welche Strategien, formelhafte Wendungen und sprachliche Bedeutungen der Sprecher benutzen wird. Der Hörer kann auch von der Einstellung des Sprechers überrascht werden und muss gegebenenfalls seine eigenen Antworten daran anpassen. Die Gesprächspartner sollen Gesprächsstrategien anwenden wie z.B. Fragen nach Erklärungen, Paraphrasieren, Substitutieren oder auch Prägen neuer Wörter. Alle diese Faktoren nähern das Gespräch im Rollenspiel denjenigen der realen Welt an. Dennoch kann dabei kein Kontext begründet werden, wie er in der realen Welt existiert: Es besteht nicht die Gefahr, dass der Sprecher oder der Hörer sein Gesicht verliert; der Sprecher kann mutiger sein und mehr riskieren als im echten Leben.

Dennoch gibt es bei der Realisation von Rollenspielen einen wesentlichen Nachteil. So ist es recht schwierig, den Prozess der Datenerfassung zu organisieren. Es ist ebenso schwierig zu gewährleisten, dass diejenigen, die an dem Rollenspiel teilnehmen, eine vergleichbare Sprachbeherrschung aufweisen. Die meisten Studierenden fanden die Rollenspiele interessant, es gab jedoch auch solche Studierende, die sie als stressbeladen empfanden.

In unserer Forschung wurden neun Rollenspiele durchgeführt - drei für jeden Sprechakt. Es wäre interessant, die DCTs-Ergebnisse mit den Rollenspielergebnissen zu vergleichen. Dies ist in der folgenden Phase des Projekts vorgesehen. Somit liegen für diesen Bereich unserer Untersuhung noch keine Ergebnisse vor.

4.4 Der retrospektive mündliche Bericht

Kasper & Dahl (1991) haben bereits auf die Wichtigkeit des retrospektiven mündlichen Berichts zur einfacheren und besseren Bestimmung der möglichen Übetragungsnatur von L1- in L2-Sprachbenimm-Normen hingewiesen.

Ziel solcher Interviews ist zu bestimmen, ob die Studierenden sich in dem gegebenen Kontext der Interaktionsnormen bewusst sind: der Stärke, der gesellschaftlichen Distanz und der Schwere der Beleidigung bzw. des Zumutungsgrades. Zusätzlich können wir bestimmen, ob sich die Studierenden der Interaktionsnormen in der deutschen und mazedonischen Kultur bewusst sind (positive Höfflichkeit vs. negative Höflichkeit, Direktheit vs. Indirektheit), wie auch die Frage, wie die derzeitige Umgebung ihr Benehmen beeinflusst (z.B. das Klassenzimmer als nicht-natürliche Umgebung).

Für das retrospektive Interview wurde die folgende Liste an Fragen erstellt. Diese Fragen wurden unmittelbar nach dem Rollenspiel gestellt:
  • Sind Sie mit der Formulierung des Sprechakts zufrieden? Wovon wurden Sie beeinflusst (von der Situation, der Situationsbeschreibung, der wahrgenommenen Beziehung, der wahrgenommenen Stärke / der wahrgenommenen gesellschaftlichen Distanz / der Beleidigungsstufe, der Klassenzimmersituation, vom Druck der Gespächsaufnahme, dem Benehmen der Gesprächspartner)?
  • Glauben Sie, dass Sie vielleicht anders hätten reagieren sollten? Wenn ja, warum?
  • Würden Sie das Gleiche sagen, wenn Ihr Gesprächspartner eine andere Rolle hätte (Professor / Freund / Nachbar / Mutter / Bruder / Schwester)? Was würden Sie in diesem Falle sagen? Warum?
  • Sind Sie der Meinung, dass Sie etwas anders sagen würden, wenn Sie mit einem deutschen Muttersprachler sprächen? Wenn ja, warum?
  • Finden Sie, dass ein Muttersprachler die Entschuldigungen / Anfragen / Beschwerden auf dieselbe Weise formulieren würde? Warum würde er sie auf diese Weise formulieren?
  • Was würden Sie sagen, wenn Sie mit mazedonischen Gesprächspartnern sprechen würden? Wie unterschiedlich wäre dies von dem, was ein deutscher Muttersprachler sagen würde? Wovon hängen diese Unterschiede ab
  • Welcher Sprechakt ist Ihrer Meinung nach am schwersten / am leichtesten zu realisieren? Warum?
Aus Daten wie diesen kann hervorgehen, wie die Befragten jede Situation wahrnahmen und wie ihre Wahrnehmung die Antworten beeinflusste, also was sie sagen wollten gegenüber dem, was sie wirklich sagten, wie sie ihre Antworten planten und woran sie während der Durchführung des Rollenspiels dachten.

5 Zusammenfassung

In dem vorliegenden Artikel wurden die pragmatische Kompetenz, die relevanten Komponenten für ihre Entwicklung und die Mittel zur Bewertung der pragmatischen Kompetenz beschrieben. Dabei lag der Fokus auf ausgewählten Sprechakten. Wir haben sowohl den Aufgabenkomplex, den wir für unser Projekt entwickeltenals auch dessen Vor- und Nachteile beschrieben. In der nächsten Phase des Projekts wird der Vergleich der Performanz von mazedonischen Studierenden und Muttersprachlern analysiert und zur Lehrplanerstellung für die Vermittlung von Sprechakten übergegangen.

Das Projekt, auf das der vorliegende Beitrag sich bezieht, war sowohl durch einen Mangel an aktuellen Informationen über die kommunikativen Kompetenzen der mazedonischen Englisch- und Deutschstudierenden als auch durch den Bedarf an effektiven Methoden zur Stärkung kommunikativer Fertigkeiten motiviert. Unser Forschungsansatz umfasst die kontrastive Analyse von Sprechakten, das Untersuchungsdesign zur Bewertung der pragmatischen Kompetenz und das Curriculumdesign zur Entwicklung der pragmatischen Kompetenz. Das Projekt sieht die Bereitstellung von Lernmodulen im Internet vor, die auf diese Weise für die Studierenden verfügbar werden. Die Analyse der pragmatischen Kompetenzen der Studierenden nach Abslovierung der Module wird zeigen, inwiefern die ausdrücklichen Hinweise die Kommunikationsfähigkeit der Studierenden verbessern können.


Bibliographie

Bachman, Lyle (1990). Fundamental considerations in language testing. Oxford: Oxford University Press.

Bardovi-Harlig, Kathleen (1999). Exploring the interlanguage of interlanguage pragmatics: A research agenda for acquisitional pragmatics. Language Learning 49, 677-713.

Barron, Anne (2003). Acquisition in interlanguage pragmatics. Amsterdam: John Benjamins Publishing Company.

Beebe, L. M. and Cummings, M.C. (1996).” Natural speech act versus written questionnaire data: How data collection method affects speech act performance”. In S.M. Gass and J. Neu (Eds.). Speech Acts across Cultures (pp. 65-86). Berlin: Mouton de Gruyter.

Billmyer, K. and Varghese, M. (2000). “Investigating instrument-based pragmatic variability: Effects of enhancing discourse completion tests”. Applied Linguistics, 21/4, 517-552.

Blum-Kulka, Shoshana (1987). Indirectness and politeness: Same or different? Journal of Pragmatics 11 (2), 131-146.

Blum-Kulka, Shoshana (1992). The metapragmatics of politeness in Israeli society. In R. J. Watts, S. Ide, & K. Ehlich, Politeness in language: Studies in its history, theory and practice (pp. 255-280). Berlin: Mouton de Gruyter.

Blum-Kulka, Shoshana; House, Juliane & Kasper, Gabriele (1989). Cross-cultural pragmatics: requests and apologies. Norwood: Ablex Publishing Corporation.

Boxer, Diana & Cohen, D. Andrew (2004). Studying speaking to inform second language learning. Clevedon: Multilingual Matters Ltd.

Cohen, D. Andrew (2004). Assessing speech acts in a second language. In D. Boxer, & A. D. Cohen, Studying speaking to inform second language learning (pp. 302-327). Clevedon/Buffalo/Toronto: Multilingual Matters Ltd.

Cohen, D. Andrew & Ishihara, Noriko (2005). A web-based approach to strategic learning of speech acts. Minneapolis, MN: Center for Advanced Research on Language Acquisition, University of Minnesota.

Cohen, D. Andrew & Ishihara, Noriko (2005). Strategies for learning and performing L2 speech acts. Intercultural Pragmatics 2 (3), 275-301.

Coulmas, Florian (1981). Poison to your soul: Thanks and apologies contrastively viewed. In Conversational Routine (pp. 69-91). The Hague: Mouton.

Council of Europe. (2001). Common European Framework of Reference for Languages: Learning, teaching, assessment. Cambridge: Cambridge University Press.

Crystal, David (1985). A dictionary of linguistics and phonetics. 2nd edition. New York: Basil Blackwell.

Faerch, Claus. & Kasper, Gabriele (1983). Strategies in interlanguage communication. London: Longman.

Fraser, Bruce (2010). Pragmatic competence: The case of hedging. In G. Kaltenböck, W. Mihatsch, & S. Schneider, New Approaches to Hedging (pp. 15-34). Bingley: Emerald.

Hinkel, Eli (2011). Handbook of research in second language teaching and learning. New York, NY: Routledge.

Holmes, Janet (1990). Apologies in New Zeland English. Language in Society, Vol. 19, No. 2, 155-199.

Ishihara, Noriko & Cohen, Andrew (2010). Teaching and learning pragmatics: Where language and culture meet. London: Longman.

Kasper, Gabriele & Schmidt, Richard (1996). Developmental issues in interlanguage pragmatics. Studies in Second Language Acquisition, 18, 149-169.

Kusevska, Marija (1997). Speech acts: The act of complaining in English and Macedonian. MA-TESL thesis. Tempe, AZ, USA: Arizona State University.

Liu, Jianda (2004). Measuring interlanguage pragmatic knowledge of Chinese EFL learners. PhD dissertation. City University of Hong Kong.

McConachy, Troy & Hata, Kaori (2013). Addressing textbook representations of pragmatics and culture. ELT Journal 67 (3), 294-301.

McNamara, F. Tim & Roever, Carsten (2006). Language testing: The social dimension. Oxford, UK: Basil Blackwell.

Mitchell, Rosamond (1994). "The communicative approach to language teaching". In Swarbick, Ann. Teaching Modern Languages. New York: Routledge. pp. 33-42.

Nunan, David (1991). Communicative Tasks and the Language Curriculum. Tesol Quarterly (25)2. pp. 279–295.

Nurani Luisa (2009). Methodologica issue in pragmatic research: is discourse completion a reliable data collectiin instrument? In: Methodological Issue In Pragmatic ResearchJurnal Sosioteknologi Edisi 17 Tahun 8, Agustus 2009.

O'Keeffe, Anne, Clancy, Brian, & Adolphs, Svenja (2011). Introducing pragmatics in use. London/New York: Routledge.

Olshtain, Elite & Blum-Kulka, Shoshana (1985). Cross-cultural pragmatics and the testing of communicative competence. Language Testing 2 (1), 16-30.

Richards, Jack C.; Rodgers, Theodore S. (2001). Approaches and Methods in Language Teaching (2nd ed.). Cambridge, New York: Cambridge University Press. 

Roever, Carsten (2005). "That's not fair!" Fairness, bias, and differential item functioning in language testing. University of Hawaii.

Ross, Steven, & Kasper, Gabriele (2013). Assessing second language pragmatics. New York, NY: Palgrave Macmillan.

Savignon, Sandra J. (2000). "Communicative language teaching". In Byram, Michael. Routledge Encyclopedia of Language Teaching and Learning. London: Routledge. pp. 125–129.

Tannen, Deborah (ed.). 1984. Coherence in Spoken and Written Discourse. Norwood, NJ: Ablex.

Thomas, Jenny (1983). Cross-cultural pragmatic failure. Applied Linguistics 4 (2), 91-112.

Trosborg, Anna (2010). Pragmatics across languages and cultures. Berlin, New York: Walter de Gruyter GmbH & Co. KG.

Wigglesworth, Gillian, & Yates, Lynda (2007). Mitigating difficult requests in the workplace: What learners and teachers need to know. TESOL Quarterly 41, 791-803.

Yamashita, Sayoko (2008). Investigating interlanguage pragmatic ability: What are we testing? In E. Soler, & A. Martinez-Flor, Investigating pragmatics in foreign language learning, teaching and testing (pp. 201-223). Bristol/Buffalo/Toronto: MULTILINGUAL MATTERS.

Autorinnen:

Prof. Biljana Ivanovska
Universität “Goce Delčev”
Philologische Fakultät
Štip
Republik Makedonien
E-Mail: biljana.ivanovska@ugd.edu.mk

Marija Kusevska
Universität “Goce Delčev”
Philologische Fakultät
Štip
Republik Makedonien
E-Mail: marija.kusevska@ugd.edu.mk

Nina Daskalovska, Ph.D.
Universität “Goce Delčev”
Philologische Fakultät
Štip
Republik Makedonien
E-Mail: nina.daskalovska@ugd.edu.mk

1 Sie haben ein Buch aus der Bibliothek ausgeliehen und beim Lesen einige Bemerkungen darin notiert, die Sie vergessen haben, auszuradieren. Der Bibliothekar sieht Ihre Bemerkungen und beschwert sich über Sie. Sie antworten ihm: . . .

2 Sie haben sich von Ihrem Professor ein Buch ausgeliehen. Jetzt sollen Sie ihm das Buch zurückgeben, aber Sie können es nicht finden. Sie sagen zu ihm: . . .

3 Sie befinden sich am Flughafen an der Gepäckausgabe und nehmen Ihren Koffer vom Förderband. Eine Frau nähert sich Ihnen und sagt, dass Sie ihren Koffer genommen haben. Sie schauen auf den Koffer, den Sie in der Hand halten, und bemerken, dass es nicht Ihr Koffer ist. Sie sagen:. . .

4 Sie haben Ihre Einkaufstasche auf den Gepäckträger eines überfüllten Busses gelegt. Als der Bus bremst, fällt die Tasche hinunter und trifft einen anderen Passagier. Sie sagen: . . .

5 Eine Freundin hat einen Termin mit Ihnen verabredet, um für die Vorbereitung einer Prüfung ein paar Notizen von Ihnen zu bekommen. Sie hat eine Stunde lang auf Sie gewartet, aber Sie sind nicht erschienen. Sie ruft Sie an, und Sie sagen zu ihr: . ..

6 Ihre Freundin ist krank und geht heute nicht zur Uni. Aber sie muss heute ihre Seminararbeit abgeben. Sie bittet Sie, ihre Seminararbeit bei ihrem Professor abzugeben. Sie versprechen ihr, das zu tun. Am nächsten Tag ruft sie Sie an, und nachdem Sie ihre Telefonnummer im Handy gesehen haben, fällt Ihnen ein, dass Sie die Seminararbeit Ihrer Freundin völlig vergessen haben. Sie fragt, ob Sie ihre Seminararbeit abgegeben haben. Daraufhin sagen Sie: . . .

7 Sie müssen morgen eine Projektarbeit einreichen. Sie waren jedoch krank und haben sie noch nicht beenden können. Sie gehen zu Ihrem Professor, zu dem Sie eine gute akademische Beziehung haben, um eine Verlängerungsfrist zu bitten. Sie sagen, zu ihm: ...

8 Sie gehören zu einer Non-Profit-Organisation und haben sich entschieden, eine Berühmtheit für eine Rede auf einer Ihrer Veranstaltungen einzuladen. Die Mitglieder Ihrer Gruppe haben Sie dazu bestimmt, an diese Person heranzutreten und darum zu bitten, eine Rede über Umweltkatastrophen zu halten. Sie nähern sich der Person und sagen: ...

9 Sie befinden sich in einer Sitzung, die gerade zu Ende gegangen ist, und stellen fest, dass Ihr Bus gerade weg ist und es in der nächsten Stunde keinen anderen gibt. Das Ehepaar, das neben Ihnen sitzt, wohnt in der gleichen Straße wie Sie, und es ist mit dem Auto da. Sie würden gern mit ihnen fahren und sagen: . . .

10 Sie laufen in den Park. Sie wollen sich eine Zigarette anzünden, haben aber kein kein Feuerzeug dabei. Jemand sitzt in der Nähe rauchend auf einer Bank. Sie nähern sich ihm und sagen: . . .

11 Letzte Woche waren Sie krank und haben zwei Unterrichtsstunden verpasst. Da die Prüfung vor der Tür steht, möchten Sie Judith, eine Freundin von Ihnen, darum bitten, Ihnen ihr Vorlesungsskript zu leihen. Sie sagen:. . .

12 Sie suchen seit längerer Zeit eine Mietwohnung. Schließlich finden Sie eine, aber Sie müssen 300 € anzahlen. Zur Zeit verfügen Sie nur über 200 €. Sie treffen einen Kommilitonen und haben beschlossen, ihn zu fragen, ob er Ihnen das Geld leihen kann. Sie sagen zu ihm: ...

13 Sie erhalten die Ergebnisse der Abschlussprüfung und sind nicht zufrieden. Sie denken, Sie verdienen eine bessere Note. Sie gehen zu Ihrem Professor in die Sprechstunde und sagen: . . .

14 Ihnen wurde die falsche Dosis eines Medikaments verordnet. Als Sie mit der Einnahme beginnen, bekommen Sie einen Hautausschlag. Sie gehen zum Arzt und sagen: ...

15 Sie bereiten sich auf einen Test vor, den Sie morgen absolvieren müssen. Im Laufe des Abends fühlen Sie sich durch Partygeräusche aus der Wohnung über Ihnen gestört. Sie sind nicht mehr in der Lage, weiter zu arbeiten. Sie gehen nach oben, um sich über den Lärm zu beschweren und sagen: ...

16 Sie stehen für Konzertkarten an, als ein Junge sich vordrängt. Sie sagen zu ihm: ...

17 Ein Freund von Ihnen, mit dem Sie gern zusammen sind, soll Sie um 8:30 Uhr für die Schule abholen. Sie haben um 09.00 Uhr Unterricht, aber Ihr Freund ist um 08.55 Uhr noch nicht erschienen. Als er schließlich erscheint, sagen Sie zu ihm: . . .

18 Sie haben Ihrer besten Freundin Ihr Auto ausgeliehen. Nachdem sie Ihnen das Auto zurückgebracht hat und gegangen ist, entdecken Sie eine Delle im Schutzblech. Sie rufen sie an und sagen zu ihr: ...

19 Szene 1: “Sie haben Ihre Einkaufstasche auf den Gepäckträger eines überfüllten Busses gelegt. Als der Bus bremst, fällt die Tasche hinunter und trifft einen anderen Passagier. Sie sagen: . . . “