Volume 6 (2015) Issue 2
Die
Kategorie ‚Aspekt‘ im kontrastiven Sprachvergleich Koreanisch - Deutsch
Frank Kostrzewa
(Karlsruhe)
Abstract
(English)
Aspect
is
a grammatical category allowing a speaker to individually refer to an
action or event which can either be in progress or completed. Whereas
the Slavonic languages have developed a morphologically structured
system in order to denote aspect,
the Germanic or Romance languages only possess rudimentary forms of
aspect differentiation. In Korean, as an agglutinating language,
aspect
is
expressed by adding suffixes to the verb or by forming a complex verb
which contains an aspect verb. In some cases temporal adverbs are
needed for the disambiguation
of sentences with temporal aspectuality. Bhatt & Schmidt (1993,
71 ff.) claim the existence of a Rhenish
progressive form for
the German language, similar to the progressive forms in English. The
category aspect
should
be considered in close connection with the categories of action,
tense and
eventuality.
Key
words: Aspect,
aspectuality, German, Korean, agglutinating languages, action, tense,
eventuality
Der
Aspekt
ist eine grammatische Kategorie, die es einem Sprecher ermöglicht,
individuell auf eine Handlung oder ein Ereignis zu referieren, das
entweder bereits abgeschlossen oder aber im Verlauf befindlich ist.
Während in den slawischen Sprachen ein morphologisch strukturiertes
System zur Denotation des Aspekts besteht, sind die Formen der
Aspektdifferenzierung in den germanischen und romanischen Sprachen
eher rudimentär. Im Koreanischen als einer agglutinierenden Sprache
wird der Aspekt durch das Anhängen von Suffixen an ein Verb oder
durch die Bildung komplexer Verben, die Aspektverben beinhalten,
markiert. In manchen Fällen werden zur Disambiguierung von Sätzen
mit temporaler Aspektualität Temporaladverbien benötigt. Bhatt & Schmidt (1993: 71ff) gehen für das Deutsche von der Existenz einer
rheinischen Verlaufsform aus, die den Progressivformen des Englischen
ähnelt. Die Kategorie des Aspekts sollte in engem Zusammenhang zu
den Kategorien Handlung,
Tempus
und Eventualität
betrachtet werden.
Schlüsselwörter:
Aspekt, Aspektualität, Deutsch, Koreanisch, agglutinierende
Sprachen, Handlung, Tempus, Eventualität
1 Einleitung
Nach Bußmann (2002: 46)
erlaubt die grammatische Kategorie des Aspekts einem Sprecher eine
individuelle Bezugnahme auf einen Vorgang, der entweder als perfektiv
oder aber als imperfektiv beschreben werden kann. Während in den
slawischen Sprachen die Opposition von Ereignis und Verlauf
morphologisch durchstrukturiert sei, wiesen Sprachen wie das
Deutsche, Englische oder Französische lediglich Rudimente einer
Aspektdifferenzierung auf. So differenziere das Französische auf der
Tempusstufe des Präteritums zwischen dem passé
simple
und dem imparfait
und das Englische in allen Tempora zwischen einer ‚simple‘ und
einer ‚progressive‘-Form. Im Deutschen dagegen dienten vorwiegend
lexikalische Zusätze und syntaktische Umschreibungen der Darstellung
der subjektiven Einschätzung eines Vorgangs. Bußmann (1983: 46)
beklagt
dabei eine
fehlende Differenzierung zwischen Aktionsarten und Aspekt. Häufig
würden in der Forschungsliteratur beide Termini synonym verwendet.
Kim-Renaud (2009: 108)
verweist auf die Möglichkeit der Aspektmarkierung im Koreanischen.
So könnten die entsprechenden Formen zum Ausdruck des Aspekts durch
Suffigierung an das Verb angehängt oder aber als ein komplexes Verb
gebildet werden, das inhärent Aspektverben enthalte.
Präteritumsmarker wie die Form -oss
었seien
zudem geeignet, sowohl Zeit als auch Aspekt zu markieren. Bezüglich
des Tempus werde auf diese Weise markiert, dass sich eine Handlung
vor einer bestimmten Referenzzeit ereignet habe, und hinsichtlich des
Aspekts, dass diese Handlung abgeschlossen sei.
Der
Plusquamperfekt-Marker -oss-oss었었
könne
anzeigen, dass ein Ereignis vor einem anderen in der Vergangenheit
stattgefunden habe. Gleichzeitig bestehe die aspektuelle Bedeutung
des Markers darin anzuzeigen, dass das vergangene Ereignis keine
Auswirkung mehr auf die Gegenwart habe.
Im Bereich der
Aspektmarker des Präsens kann zwischen einer Progressiv- und einer
Resultativ-Form differenziert werden. Beide Formen bedienen sich des
existentiellen Verbs iss-
(있)
, dem
die konnektive Verbform vorangeht.
2 Aspekt im
Koreanischen
2.1
Der progressive Aspekt im Koreanischen: ko
iss-ta
고있-다
Nach Kim-Renaud (2009:
109) dient im Koreanischen das Muster V (STEM) + ko
고+
iss
있
(Verb(stamm)
+ Konnektor + sein) zur Denotation der Progressivform. Bei dieser
Sequenz handele es sich um eine einzige verbale Einheit mit
imperfektiver aspektueller Bedeutung. Das Muster finde allerdings
ausschließlich im Zusammenhang mit Aktionsverben Verwendung:
Beispiele:
(1)
저-는
영문학-을
공부하-고
있-어요.
Cho-nun yongmunhak-ul kongbuha-ko iss-oyo.
Ich-TOP Engl.
Literatur-Obj. studieren-Konn. sein-Prog.-Dekl.-Hon
저는
영문학을
공부하고
있어요.
Ich
studiere englische Literatur.
(2) 아버지-가
서울-에서
일-하-시-고
계셔요.
Aboji-ka soul-eso il-ha-si-ko
keyes-eyo.
Vater-Subj
Seoul-Lok. Arbeit-tun-Hon-Konn. sein-Hon-Prog.-Dekl.-Hon
아버지가
서울에서
일하시고
계셔요.
Mein
Vater arbeitet in Seoul.
(Kim-Renaud
2009: 109)
Das Tempus des Verbs in
der Verlaufsform werde von der unmittelbar auf das Verb -iss
(있)
folgenden
Zeitmarkierung bestimmt. Sei diese Zeitmarkierung das Präsens, so
stehe das gesamte Verb in der Verlaufsform des Präsens. Die
Zeitmarkierung des Präteritums führe analog zu einem Präteritum in
der Verlaufsform.
Beispiel:
(3)
아이-가
책-을
읽-고
있-다.
Ai-ka
ch’aek-ul ilk-ko iss-ta.
Kind-Subj.
Buch-Obj. lesen-Konn. sein-Prog.-Dekl.-(keine Honorativmarkierung)
아이가
책을 읽고
있다.
Das
Kind liest gerade ein Buch.
(Kim-Renaud 2009: 109)
Grundsätzlich kann der
progressive Aspekt ausschließlich bei aktiven Verben markiert
werden.
2.2
Der resultative Aspekt: o
iss-ta
오
있-다
Kim-Renaud (2009: 110)
verweist auf die Möglichkeit der Denotation abgeschlossener
Handlungen durch die Markierung eines resultativen Aspekts. Der
resultative Aspekt denotiere den Status einer Handlung nach deren
Vollendung. Wenngleich der resultative Aspekt nur auf eine begrenzte
Anzahl von Verben anwendbar sei, so stelle er dennoch ein übliches
Vokabular-Item im Koreanischen dar. Zur Realisierung des resultativen
Aspekts dienten insbesondere die Konstruktionen ko
iss- (고
있)
und o
iss- (오
있).
In
einer begrenzten Zahl von Fällen könne die Form ko
iss- (고
있)
sowohl
einen resultativen als auch einen progressiven Aspekt denotieren und
sei auf diese Weise ohne einen disambiguierenden Kontext zwei- oder
mehrdeutig. Dies treffe insbesondere auf Verben des Tragens von
Kleidung zu, u.a.:
Beispiele:
(4)
아이-가
교복-을
입-고
있-다.
Ai-ga
kyobog-ul ip-ko iss-ta.
Kind-Subj.
Uniform-Obj. tragen-Konn. sein-Prog.-Dekl-(keineHonorativmarkierung)
아이가
교복을
입고
있다.
Das
Kind trägt (gerade) eine Uniform.
(5)
아이가
교복을
입고
있다.
Ai-ga
kyobog-ul ip-ko iss-ta.
Das
Kind trägt eine Uniform.
Das
Kind zieht eine Uniform an.
Das
Kind hat eine Uniform an.
(Kim-Renaud
2009: 110)
Die Disambiguierung von
Verbformen erfolge zumeist über einen geeigneten Kontext oder die
Verwendung von Adverbien. Enthalte ein Satz beispielsweise das Adverb
chigum
지금
(jetzt),
dann stehe dieser Satz in der Verlaufsform des Präsens. Ein Adverb
wie tto또
(wieder)
würde hingegen einen resultativen Aspekt denotieren. Verben des
Tragens mit ambiger Bedeutung sind u.a.:
Beispiele:
(6)
안경-을
쓰-고
있-다.
An’gyong-ul
ssugo iss-ta.
안경을
쓰고
있다.
Eine
Brille tragen
(7)
신-을
신-고
있-다.
Sin-ul sin-ko
iss-ta.
신을
신고
있다.
Schuhe
tragen
(8)
모자-를
쓰-고
있-다.
Moja-lul
ssugo iss-ta.
모자를
쓰고
있다.
Einen
Hut tragen
(9)
장갑-을 끼-고
있-다.
Changgab-ul
kkigo iss-ta.
장갑을
끼고
있다.
Handschuhe
tragen
(10)
반지-를
끼-고
있-다.
Panji-lul
kki-go iss-ta.
반지를
끼고
있다.
Einen
Ring tragen
(Kim-Renaud
2009:110)
Ambige Verben, bei denen
es sich nicht um solche des Tragens handelt, sind u.a:
Beispiele:
Beispiele:
(11)
가지-고
있-다.
Kaji-go
iss-ta.
가지고
있다.
halten,
im Besitz sein von
(12)
모시-고/
데리-고
있-다.
Mosi-go/
teri-go iss-ta.
모시고
있다
jem.
begleiten,
in der Situation sein, sich um jem. zu kümmern
(13)
놀-고
있-다.
Nolgo
iss-ta.
놀고
있다.
spielen;
arbeitslos sein
(14)
장미-를
심-고
있-다.
Changmi-rul
sim-ko iss-ta.
장미를
심고 있다.
Rosen
pflanzen, einen Rosengarten besitzen
(Kim-Renaud
2009: 110)
Kim-Renaud (2009: 111)
erläutert, dass statische Verben in der Regel keinen progressiven
Aspekt besitzen können. Die häufig verwendeten Verben al-ta
알-다
(wissen)
und moru-ta
모르-다
(nicht
wissen)
könnten jedoch durch das Anhängen der Endung ko
iss-ta 고
있-다
einen
resultativen Aspekt erhalten:
Beispiele:
Beispiele:
(15)
알-고
있-다.
Al-ko
iss-ta → wissen
(16) 모르-고
있다.
Moru-ko
iss-ta → nicht wissen/kennen
(Kim-Renaud
2009: 111)
Bei einer begrenzten
Anzahl intransitiver Verben sei eine Denotation eines resultativen
Status mithilfe einer o
iss-
오
있-
Konstruktion
möglich.
Beispiele:
Präteritum:
(17)
민아-가
었-다.
Mina-ka s
(o)-oss-ta.
Mina-Subj. stehen-Prät.-Dekl.-(keine Honorativmarkierung)
민아가
섰다.
Mina stand auf.
Resultativ:
(18)
민아-가
서 있-다.
Mina-ka so
iss-ta.
Mina-Subj. stehen sein-Prog.-Dekl.-(keine Honorativmarkierung)
민아가
서있다.
Mina steht.
Präteritum:
(19)
미국-에
가-ㅆ-다.
Miguk-e
ka-ss-ta.
Amerika-Lok gehen-Prät.-Deklarativ-(keine
Honorativmarkierung)
미국에
갔다.
X ging nach Amerika.
Resultativ:
(20)
미국-에
가 있-다.
Miguk-e
ka iss-ta.
Amerika-Lok
gehen sein/Prog.-Dekl.-(keine Honorativmarkierung)
미국에
가 있다.
X
ist in Amerika.
Präteritum:
(21)
벽-에
사진-이
걸려-었-다.
Pyok-e
sajin-i kolly-oss-ta.
Wand-Lok
Foto-Subj. hängen-Prät.-Dekl.
벽에
사진이 걸렸다.
Ein
Bild wurde an der Wand aufgehängt.
Resultativ:
(22)
벽-에
사진-이
걸려
있-다.
Pyok-e sajin-i kollyo
iss-ta.
Wand-Lok Foto-Subj. hängen sein-Prog.-Dekl.-(keine
Honorativmarkierung)
벽에
사진이 걸려 있다.
Ein
Bild hängt an der Wand.
(Kim-Renaud
2009: 111)
Das Verb salda
살다
(leben)
kann in Abhängigkeit vom Vorhandensein oder Fehlen des progressiven
Aspektmarkers ko
iss-ta 고
있-다die
Bedeutungen sein
Leben verbringen, bestreiten bzw.
am Leben
sein aufweisen.
In diesem Fall ist der Aspektmarker bedeutungskonstituierend und
-differenzierend.
Beispiele:
(23)
지-금
서울-에서
살-고
있-다.
Chigum
soul-eso sal-ko iss-ta.
Jetzt Seoul-Lok leben-sein am Leben-Dekl.
지금
서울에서 살고 있다.
X lebt jetzt in Seoul.
(24)
지금
서울-에
살-아
있-다.
Chigum
soul-e sal-a iss-ta.
Jetzt Seoul-Lok leben sein-Dekl.
지금
서울에 살아 있다.
X ist am Leben in Seoul.
(Kim-Renaud
2009: 111)
Martin (1992: 244)
differenziert die koreanischen Endungen in die semantischen
Kategorien Status,
Tempus,
Stil
und Modus.
Hinsichtlich der Aspektmorpheme unterscheidet er zwischen dem
Indikativ, Subjunktiv, Retrospektiv, Prospektiv und Prozessiv. Lie
(1991: 32) stellt fest, dass die Kategorie Aspekt
unter den Kategorien des Verbs zumeist mit der Kategorie Tempus
verglichen und in Anlehnung an diese definiert und beschrieben werde.
Durch die Kategorie Aspekt
des Verbs
könne etwas über ein Geschehen zum Ausdruck gebracht werden, das
allerdings nicht zum Ausdruck gebracht werden müsse.
Martin (1992, 84) betont,
dass in prozessiven Indikativformen (no’ta)
der Akzent niemals auf dem Aspektmarker liegen könne. In anderen
Aspektkategorien sei diese Akzentuierung jedoch möglich.
Hinsichtlich der Bedeutung der Aspektmorpheme verweist Martin (1992:
244f) bezüglich des Subjunktivaspekts auf die Denotation eines
Vorschlags oder einer unmittelbaren Sequenz. Der Retrospektivaspekt
referiere auf ein vergangenes Ereignis, das aus der Perspektive des
Sprechers oder einer anderen Person betrachtet werden könne. Der
Prospektivaspekt verweise auf eine Handlung oder einen Status, der
erst noch erreicht werden müsse. Dies werde durch einen Wunsch, eine
Verpflichtung oder eine Erwartung zum Ausdruck gebracht. Der
Prozessivaspekt wiederum fokussiere auf eine Handlung, die auf dem
Weg sei.
Die unterschiedlichen
Tempus-Aspekt-Konstellationen können nach Martin zu folgenden
Transformationen führen:
Present
→ Past
(25)
본다Ponta
→ 봤다Pwassta
(I looked at it).
(26)
좋다
Cohta
→ 좋았다
Cohassta
(It was good).
Past
→ Past-Past
(27)
본다Ponta
→ 봤다Pwassta
→ 봤었다Pwassessta
(I looked at it (but I have forgotten what it looked like)).
(28)
좋다Cohta
→ 좋았다Cohassta
→ 좋았었다
Choassessta
(It was good (and then something went wrong)).
(29)
지피다
Cipita
→ 지피었다Cipiessta
→ 지피었었다Cipiessessta
(so I thought, but, later it turned out to be something else).
(27)
Present → Future
(30)
본다
Ponta
→ 보겠다
Pokeyssta
(I will look at it), (He probably looks at it).
(31)
좋다Cohta
→ 좋겠다
Cohkeyssta
(It will be good), (It probably is good).
(32)
지피다
Cipita
→ 지피겠다
Cipikeyssta
(It will be a house), (It probably is a house).
Future
→ Future tentative
(33)
좋겠다
Cohasskeyssta
→ 좋을겄이다Cohulqkesita
(It will probably be good).
Past
→ Past Future
(34)
봤다
Pwassta
→ 봤겠다
Pwasskeyssta
(I will have looked at it), (He probably looked at it).
(35)
좋았다
Choassta
→ 좋았겠다Cohasskeyssta
(It will have been good), (It must have been good).
(36)
지폈다Cipiessta
→ 지폈겠다
Cipiesskeyssta
(It will have been a house), (It probably was a house).
Present
→ Retrospective
(37)
본다
Ponta
→ 보더라Potura
((When observed) he was looking at it).
(38)
좋다Cohta
→ 좋더라Cohtura
((According to my observations) it was good, it was found
to
be good).
(39)
지피다Cipita
→ 지피더라
Cipitura
((I noticed it was a house).
→ The
one who did the observing must be the speaker of the statement.
Past
→ Past Retrospective
(40)
본다Ponta
→ 봤다 Pwassta → 봤더라
Pwasstura (I found that he had been looking at it).
(41)
좋다
Cohta
→ 좋았다
Cohassta
→ 좋았더라Cohasstura
(I noticed it had once been good).
(42)
지피다
Cipita
→ 지폈다Cipiessta
→ 지폈더라Cipiesstura
(I remembered that it had been a house).
Past-Past
→ Past-Past Retrospective
(43)
본다
Ponta
→ 봤다
Pwassta
→ 봤었다
Pwassessta
→ 봤었더라
Pwassesstura
→ The
forms are rare in speech; when written they are sometimes used just
as
emphatic
forms.
Past
Future → Past Future Retrospective
(44)
본다
Ponta → 봤다 Pwassta
→ 봤겠다 Pwasskeyssta →
봤겠더라 Pwasskeysstura
((From
what I observed) he will have looked at it), He likely looked at it.
(Martin
1992: 304)
3 Aspekt im
Deutschen
Althaus et al. (1980:
640) weisen darauf hin, dass das Deutsche - im Gegensatz zu den
romanischen und slawischen Sprachen - keine Aspektsprache ist.
Während im Lateinischen und den romanischen Sprachen zumindest in
der Vergangenheit zwischen einem perfektiven und einem imperfektiven
Aspekt differenziert werde, wiesen die slawischen Sprachen in allen
Tempora einen perfektiven und einen imperfektiven Aspekt auf. Auch
das Englische differenziere zwischen simple
und
progressive-Formen.
Der Aspekt betreffe immer die Form eines Ereignisses und die
individuelle Sichtweise desselben.
Pinker (2007: 252)
betrachtet den Imperfektiv als ein Heranzoomen eines Ereignisses. Die
Ereignisgrenzen würden dabei außerhalb des Gesichtsfeldes liegen.
Beim Perfektiv dagegen schrumpfe beim Zurücktreten das ganze
Ereignis einschließlich etwaiger Ereignisränder zu einem Punkt
zusammen. Im Englischen stehe dabei dem imperfektiven Aspekt des
present
progressive
der perfektive Aspekt des simple
present gegenüber.
Pinker (2007: 254) hebt
hervor, dass der progressive Aspekt im Deutschen und Englischen nicht
über ein Suffix markiert werde. Einzelne Verben könnten jedoch aus
dem Kontext heraus als perfektiv interpretiert werden. Das Tempus
perfect
sei
dabei keineswegs identisch mit dem Perfektiv, das vielmehr eine
Mischung aus Tempus und Aspekt darstelle.
Jungen & Lohnstein
(2006: 318) weisen darauf hin, dass die Bezeichnung Aspekt
ursprünglich
zur Differenzierung der perfektivischen und imperfektivischen
Verbflexion im Russischen geprägt worden sei. Die Begriffe
perfektivisch
oder
perfektisch
stammten
originär von den Grammatikern der Stoa, die hiermit das Konzept der
Vollendung eines Ereignisses denotierten. Grundlegend sei die
Erkenntnis gewesen, dass neben dem Tempus noch eine weitere Kategorie
von Bedeutung sei.
Vater (1992: 87)
betrachtet die Kategorie Aspekt
als eine - neben den Tempora - zweite Form der Grammatikalisierung
zeitlicher Relationen. Während es bei den Tempora um eine
Relationierung von Ereigniszeit und Evaluationszeit gehe, denotiere
der Aspekt die interne zeitliche Gliederung eines Ereignisses. Der
imperfektivische Aspekt des Englischen - wie in dem Satz John
was reading when I entered
- bringe
zum Ausdruck, dass ein Ereignis nicht ganzheitlich gesehen werden
könne, sondern als in sich gegliedert betrachtet werden müsse,
dergestalt, dass ein zweiter Vorgang zeitlich innerhalb eines ersten
Vorgangs zu lokalisieren sei.
Nach Comrie (1976: 52ff.)
existiert die Kategorie Aspekt
in der
deutschen Standardsprache nur unter der Annahme eines Perfektaspekts,
der im Deutschen durch das Perfekt bzw. Plusquamperfekt ausgedrückt
werde. Die beiden Tempora wiesen gleichzeitig auch aspektuelle Bezüge
auf.
Bhatt & Schmidt
(1993: 71ff.) gehen für die westdeutsche Umgangssprache von der
Existenz einer der englischen Progressive-Form
ähnlichen
rheinischen
Verlaufsform aus
(Ich bin
einen Brief am Schreiben).
Diese Form besitze auch ihre aspektuellen Entsprechungen im
Niederländischen. Coseriu (1976: 108) sieht die Kategorie Aspekt
in
einem engen Kontext mit den Kategorien Aktionsart
und
Tempus.
Diese
drei Kategorien seien als korrelative Kategorien zu betrachten. Im
Deutschen dienten insgesamt, so Bhatt & Schmidt (1993: 89), vor
allem Präfixe und Verbpartikeln der Markierung von Aktionsformen,
u.a.:
Der
Baum ist erblüht. → Präfix
Karl
hat das Papier verbraucht. → Präfix
Anna
ist aufgewacht. → Verbpartikel
Peter
hat das Buch angelesen. → Verbpartikel
Peter
hat das Brot aufgegessen. → Verbpartikel
Peter
hat den Wein ausgetrunken. → Verbpartikel
(Bhatt
& Schmidt 1993: 89)
Nach Bhatt & Schmidt
(1993: 89) können in den slawischen Sprachen die meisten
Aktionsarten (u.a. iterativ, inchoativ, terminativ) sowohl im
perfektivischen als auch im imperfektivischen Aspekt auftreten.
Daneben existierten jedoch auch Formen wie das Perfektiva
tantum oder
das Imperfektiva
tantum, bei
denen die betreffende Aktionsart nur in einem Aspekt
realisiert
werden könne.
Im
Deutschen
seien lediglich die inchoative (er-,
an-, auf-)
und die terminative Aktionsart (auf-,
aus-)
markiert. Alle weiteren Aktionsarten (durativ, punktuell,
semelfaktiv, resultativ) erführen in der Regel keine Markierung.
Neben den Vorgängen,
Prozessen, Aktivitäten und Aktionen rechnen Bhatt & Schmidt
(1993: 89) auch die Zustände, Situationen und Eventualitäten zu den
aspektuellen Eigenschaften. Im Bereich der Eventualitäten
differenzieren sie zwischen den dynamischen (Ereignisse) und
statischen (Zustände) Eventualitäten (dynamisch:
Fritz
ist gerannt; Paul hat Chinesisch gelernt; Maria ist Auto gefahren;
Gerda hat Bier getrunken; statisch:
Fritz
hat im Park gewartet; Paul hat Chinesisch gekonnt; Maria hat ein Auto
besessen;
Gerda
war durstig).
Die Eventualitäten
können von keiner oder geringer zeitlicher Ausdehnung (punktuell:
Hans ist
in Leipzig angekommen; Maria hat Berlin verlassen; Gerda hat geniest;
Fritz hat das Rennen gewonnen)
oder aber von (größerer) zeitlicher Ausdehnung (durativ:
Hans ist
nach Leipzig gefahren; Maria hat sich in Berlin aufgehalten; Gerda
hat ein Bier getrunken; Fritz ist gerannt)
sein.
Eine weitere
Differenzierung der Eventualitäten ergibt sich, basierend auf der
Zielgerichtetheit und / oder der Endpunktorientierung eines
Ereignisses. Während telische Eventualitäten ein Ziel oder einen
natürlichen Endpunkt besitzen (Hans
ist nach Leipzig gefahren; Maria ist gestorben; Gerda hat ein Bier
getrunken; Fritz ist eine Meile gerannt),
fehlen diese Orientierungspunkte bei den atelischen Eventualitäten
(Hans
ist mit dem Zug gefahren; Maria ist in Berlin; Gerda hat Bier
getrunken; Fritz ist gerannt).
Heringer (1968: 81f.)
differenziert im Kontext der Ereignisse und Eventualitäten zwischen
ingressiven ('mit etwas anfangen') und egressiven ('mit etwas
aufhören') Verben. Dabei habe beispielsweise das Verb sterben
sowohl
eine ingressive Kommponente ('anfangen, tot zu sein') als auch eine
egressive Komponente ('aufhören zu leben').
Lie (1991: 142)
betrachtet die Aspektmarkierung im Deutschen im Kontext der
Tempusformen und differenziert dabei zwischen den periphrastischen
(Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I, Futur II) und den
nicht-periphrastischen (Präsens, Präteritum) Tempora. Den beiden
Futurformen
schreibt Lie (1991: 142) bezüglich ihrer aspektuellen
Nebenbedeutungen ein ähnliches Verhalten zu wie dem Präsens.
Hinsichtlich des Präsens stellt Lie (1991: 143) fest, dass seine
aspektuelle
Determination keineswegs nur in der Verbalform bestehe, sondern auch
eine Wirkung des Kontextes sei. Die einfachsten Kontexte, die
Auswirkungen auf die aspektuelle Lesart des Präsens haben könnten,
seien die Zeitadverbien. So sei die Verwendung des Präsens in
Verbindung mit gerade
so zu
verstehen, dass eine Handlung ohne Berücksichtigung ihres Anfangs
oder Endes bezeichnet werde. Eine Präsensverwendung in Verbindung
mit jetzt
könne
so verstanden werden, dass sich ein Ereignis nicht auf den in der
Rede definierten jetzt-Zeitpunkt
beziehe, sondern auf einen in unmittelbarer Zukunft liegenden
Zeitpunkt. Das Präteritum verhalte sich hinsichtlich seiner
aspektuellen Determination ähnlich wie das Präsens. Die
Vorzeitigkeit im Rahmen der primären temporalen Perspektive
sei nicht mit aspektuellen Nebenbedeutungen verbunden.
4
Fazit
Lie (1991: 45) betrachtet
den Aspekt
als diejenige Kategorie, die nicht
auf die Teilnehmer des bezeichneten Geschehens oder die
Mitteilungssituation bezogen ist und zudem nicht den Kategorien
Tempus,
Taxis, Status oder
Evidential
angehört.
Nach Coseriu (1976: 108ff.) können die temporalen und aspektuellen
Bereiche dadurch voneinander abgegrenzt werden, dass der Kategorie
Tempus
die
Elemente Zeitebene
sowie
primäre
und sekundäre Perspektive und
der Kategorie Aspekt
die
Elemente Schau,
Phase und
Resultat
zugeordnet
werden.
Wenngleich die Kategorie
Aspekt
insbesondere
in den slawischen Sprachen deutlich ausgeprägt und morphologisch
durchstrukturiert ist, so finden sich Formen der Aspektmarkierung
auch im Koreanischen und im Deutschen. Im Koreanischen werden die
Formen zum Ausdruck des Aspekts durch Suffigierung an das Verb
angehängt oder aber in Form eines komplexen Verbs, durch Integration
eines Aspektverbs, gebildet. Insbesondere wird auf diese Weise eine
Relation zwischen einem Ereignis und einer Referenzzeit hergestellt.
Zu differenzieren ist im Koreanischen insbesondere zwischen einem,
einen Ereignisverlauf markierenden, progressiven Aspekt und einem
resultativen Aspekt, der die Vollendung einer Handlung denotiert.
Durch die Verwendung von Zeitadverbien kann eine Disambiguierung von
Sätzen mit temporaler Aspektualität erfolgen. Die Möglichkeit der
Realisierung bestimmter Aspektformen ist auch an das Vorhandensein
bzw. Fehlen bestimmter Verbkategorien gebunden. So können statische
Verben in der Regel keinen progressiven Aspekt besitzen, während
durch intransitive Verben nur in Ausnahmefällen ein resultativer
Status denotiert werden kann. Bei der Transformation
aspektmarkierender Sätze ist die jeweilige
Tempus-Aspekt-Konstellation zu berücksichtigen.
Das Deutsche kann nach
Althaus et al. (1980: 640) - im Gegensatz zu den romanischen und
slawischen Sprachen - nicht als Aspektsprache betrachtet werden.
Während in den slawischen Sprachen die Kategorie Aspekt
morphologisch
durchstrukturiert sei, werde der Aspekt in den romanischen Sprachen
vornehmlich über die Tempora realisiert. Der Tempuskategorie
Präteritum
würde die Aspektkategorie imperfektiv
entsprechen.
Verbalperiphrasen seien als sekundärer Ausdruck der Aspektopposition
zu betrachten.
Wenngleich im Deutschen
und Englischen keine Aspektmarkierung über Suffixe erfolgt, so
können die auftretenden Verben dennoch aus ihrem Kontext heraus
oftmals als perfektiv oder imperfektiv interpretiert werden. Comrie
(1976: 52 ff) misst insbesondere den Tempora des Perfekts und des
Plusquamperfekts aspektuelle Bezüge bei. Bhatt & Schmidt (1993:
71 ff) gehen für das Deutsche von einer der der englischen
progressive
form ähnlichen,
sogenannten rheinischen
Verlaufsform aus
und sehen - wie Coseriu (1976: 108) - die Kategorie Aspekt
in
einem engen Kontext mit den Kategorien Aktionsart
(inchoativ,
terminativ, durativ, punktuell, semelfaktiv, resultativ)
und
Tempus.
Auch
die Eventualitäten
können nach Bhatt & Schmidt (1993: 71 ff) zu den aspektuellen
Eigenschaften gerechnet werden. Im Bereich der Eventualitäten
differenzieren sie zwischen dynamischen
Ereignissen und statischen
Zuständen sowie zwischen punktuellen
Eventualitäten
von keiner oder geringer zeitlicher Ausdehnung und durativen
Eventualitäten
von größerer zeitlicher Ausdehnung. Eine weitere Differenzierung
der Eventualitäten kann nach Bhatt & Schmidt (1993: 71 ff) auf
der Basis der Zielgerichtetheit bzw. Endpunktorientierung eines
Ereignisses vorgenommen werden. Während telische
Eventualitäten
ein Ziel oder einen natürlichen Endpunkt besitzen, fehlen diese
Orientierungspunkte bei den atelischen
Eventualitäten.
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Autor:
Prof.
Dr. Frank Kostrzewa
Pädagogische
Hochschule Karlsruhe
Institut
für deutsche Sprache und Literatur
Bismarckstr.
10
D-76133
Karlsruhe
E-Mail:
frank.kostrzewa@ph-karlsruhe.de